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Karl-Martin Fischer

Der Brexit hat eine Geschichte – aber seine Zukunft ist ungewiss!

Nicht Viele wissen, dass das Brexit-Referendum vom 23. Juni 2016 schon das zweite seiner Art war. Das erste Referendum fand im späten Frühling des Jahres 1975 statt, also bereits gut zwei Jahre nach dem Beitritts Großbritanniens in den damaligen Vorläufer der Europäischen Union, und es endete mit einer überwältigenden Mehrheit für den Verbleib in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.

Erklärungsgründe für den Brexit

Die Mehrheit der britischen öffentlichen Meinung ist der Auffassung, dass Europa ein wirtschaftliches, aber kein politisches Projekt sein sollte. Die Tatsache, dass die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft auch zu Zeiten des britischen Beitritts schon ausdrücklich auf eine „immer engere Union“ gerichtet war, fand mitunter zu wenig Beachtung oder wurde einfach als unrealistische und daher irrelevante politische Absichtserklärung abgetan.

Als die immer engere Union dann tatsächlich kam – Stichworte „Vertrag von Maastricht“ 1992, Beginn der Schaffung einer Wirtschafts- und Währungsunion und „Vertrag von Lissabon“ 2007, Amt des Präsidenten der Europäischen Rates, Verbindlichkeit der EU Grundrechtscharta – stieg die Euroskepsis im Vereinigten Königreich stetig. Vor allem die konservative Partei wurde von dem Virus der Europhobie befallen und in verschiedene Lager gespalten. Sie ist es bis heute, vielleicht stärker als je zuvor.

Die Entscheidung der damaligen Labour Regierung, ab dem Beitritt der acht osteuropäischen Staaten im Jahr 2004 sofort die volle Freizügigkeit zu gewähren, führte zu einer Einwanderungswelle, die stärker war als prognostiziert. Die Konsequenzen waren für viele Menschen direkt spürbar – so gab es beispielsweise längere Wartezeiten bei Hausärzten und ortsnahe Kindergartenplätze standen nicht mehr ausreichend zur Verfügung.

Auf diesem Nährboden wuchsen sowohl die Euro- als auch die Einwanderungsskepsis vor allem in England deutlich an. Dies war die Ausgangslage, auf dem das Brexit-Votum vom 23. Juni 2016 entschieden wurde.

Regelungen zur Personenfreizügigkeit

Vor diesem Hintergrund ist es auch zu sehen, dass die derzeitige „May-Regierung“ lieber den Binnenmarkt insgesamt aufgibt als weiterhin Arbeitnehmerfreizügigkeit als eine der vier Grundfreiheiten zu akzeptieren. Und aus dieser politischen Entscheidung folgen erhebliche Herausforderungen für die Zukunft.

Die britische Regierung kündigt immer wieder an, dass die Personenfreizügigkeit enden wird. Unklar ist dabei derzeit jedoch, wie die Regelung für die Zeit nach dem Brexit (und einer eventuellen Übergangsphase) konkret aussehen wird. So gibt es hierzu lediglich einige Anhaltspunkte wie die Vorstellungen der britischen Regierung im Weißbuch aus Juli 2018, die politische Erklärung der britischen und der europäischen Seite vom 25. November 2018 sowie den Bericht des britischen Migration Advisory Committee aus September 2018.

Die Essenz aus diesen Papieren: Jedwede Vereinbarung zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union zu diesem Thema darf nicht zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten diskriminieren und muss auf Gegenseitigkeit beruhen. Kurzbesuche sollen auch künftig ohne Visum möglich sein. Dies gilt insbesondere für Geschäftsreisen. Besondere Regeln können gelten für Wissenschaft und Forschung, Studium, Jugendaustausch und Ausbildungszwecke. Eine Koordinierung der verschiedenen Sozialversicherungs-Rechtsordnungen wird ebenfalls als (nach wie vor) erforderlich angesehen.

Für längere oder dauerhafte Beschäftigung europäischer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Vereinigten Königreich wird am Ende des Prozesses wohl nichts Anderes gelten als für Personen aus anderen Teilen der Welt – so schlägt es jedenfalls das Migration Advisory Committee im September 2018 vor. Angedacht ist eine Doppelwirkung: einerseits Sicherstellung einer ausreichenden Arbeitskräfteversorgung für die britische Wirtschaft, zum Beispiel durch Abschaffung der zahlenmäßigen Deckelung der ausgestellten Visa, andererseits Verhinderung von Lohndumping durch Festlegung eines Mindestgehalts von GBP 30.000 brutto pro Jahr.

Herausforderungen sind gewaltig

Die Herausforderungen aus diesem Prozess – ganz besonders für die britische Seite – sind mannigfach, ihre Bewältigung grenzt ans Unmögliche. Ganz sicher müssen Abstriche an die Quantität und Qualität der zu leistenden Arbeit gemacht werden.

Ein wichtiges Werkzeug zur Bewältigung des Brexit gibt es allerdings bereits: den „European Union (Withdrawal) Act 2018“. Dieses Gesetz überführt sämtliches europäisches Recht, das am Tage vor dem Tag des Austritts im Vereinigten Königreich gegolten hat, in nationales britisches Recht. So verhindert man Regelungslücken in den europarechtlich geregelten Rechtsgebieten, die das britische Parlament unmöglich in der knappen Zeit hätte stopfen können.

Das Gesetz kann jedoch nicht alles leisten. So kann es zum Beispiel keine bilateralen Verträge ersetzen. Es kann nicht die Wiedereingliederung des Vereinigten Königreichs in das System des Welthandels gewährleisten – dafür sind zahlreiche gesonderte Vorbereitungen notwendig (siehe zum Beispiel den bereits verabschiedeten „Taxation (Cross Border Trade) Act 2018“, also der Sache nach das britische Zollgesetz, oder die Trade Bill, derzeit noch im House of Lords). Es kann auch nicht die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen gewährleisten – denn hierfür wäre volle Reziprozität erforderlich, die ein nationales Gesetz alleine nicht gewährleisten kann.

Ausblick | Der britischen Politik fehlt es derzeit vor allem an einer klaren Linie. Und solange dies so ist, wird die Zukunft des Brexit ungewiss sein. Ungewissheit bedeutet für die Wirtschaft Verluste. Die Zeit des Diskutierens ist für die Wirtschaft vor allem die Zeit des Wartens. Unternehmen, die im Vereinigten Königreich aktiv sind oder ein Engagement geplant hatten, sind verunsichert. Sie zögern ihre Investitionsentscheidungen hinaus, bis mehr Klarheit herrscht oder orientieren sich hin zu Ländern, die einen im internationalen Vergleich sicheren Rechtsrahmen bieten. Dies ist ein wesentliches Element der Tragödie, die der Brexit letztlich ist.