European Insolvency & Restructuring Insolvenzordnung
Andreas Piekenbrock

Die Zulassung juristischer Personen als Insolvenzverwalter – wie lange noch § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO?

Ein neues Jahr bietet immer auch die Gelegenheit für einen Ausblick auf mögliche Entwicklungen in der Zukunft. Daher soll hier eine Frage erörtert werden, um die es in den letzten Jahren ruhiger geworden ist, die aber im Lichte der EuInsVO neu zu stellen ist: Die Beschränkung auf natürliche Personen in § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO.

Amtsgerichts-Entscheidung sorgte für Disput

In dieser Frage kam es vor knapp drei Jahren zu einem bemerkenswerten Disput: Der BGH (Beschl. v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, BGHZ 198, 225) und das BVerfG (Beschl. v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, BVerfGE 141, 121) haben die Regelung in einem Inlandsfall für verfassungskonform erklärt. Das AG Mannheim (Beschl. v. 14.12.2015 – 804 AR 163/15, ZIP 2016, 132) hat dagegen eine spanische Gesellschaft auf die Vorauswahlliste genommen, weil der Ausschluss juristischer Personen aus anderen EU-Mitgliedstaaten mit dem Gebot der Rechtsformneutralität in Art. 15 Abs. 2 lit. b, Abs. 3 lit. b, c der Dienstleistungs-Richtlinie 2006/123/EG (ABl. Nr. L 376, S. 36) unvereinbar sei. Dass diese Richtlinie auch Insolvenzverwalter erfasst (a.A. Sabel/Wimmer, ZIP 2008, 2097, 2101), entspricht offenbar auch der Auffassung des deutschen Gesetzgebers, der daher Art. 102a EGInsO geschaffen hat.

Hinweis | Dass die Bereichsausnahme für die Ausübung öffentlicher Gewalt (Art. 62, 51 AEUV) hier nicht einschlägig ist, ergibt sich aus der EuGH-Rechtsprechung zu den Notaren (EuGH, Urt. v. 24.5.2011 – C-54/08, Slg. 2011, I-4355 = NJW 2011, 2941 – Kommission/Deutschland).

Gleichwohl ist die Mannheimer Entscheidung von einem Mitglied des IX. Zivilsenats mit Empörung aufgenommen worden; in seiner Anmerkung zu dem BVerfG-Beschluss fragt sich Pape (WuB 2016, 626, 628), wie ein (kleines) AG dazu kommt, „den mit der Verfassung in Einklang stehenden Gesetzeswortlaut der InsO zu ignorieren, der nicht etwa auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht, sondern nach intensiver Diskussion in das Gesetz aufgenommen worden ist und nach der Rechtsprechung des BVerfG den Anforderungen der Art. 3, 12 GG vollauf genügt.“ Dabei ist die Antwort ganz einfach: Im sogenannten Vertikalverhältnis gilt auch für Richtlinien der Anwendungsvorrang des Unionsrechts, wenn sie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind; das ist seit 45 Jahren bekannt (vgl. nur EuGH, Urt. v. 4.12.1974 – 41/74, Slg. 1974, 1337 – van Duyn); ob sich eine der Dienstleistungs-Richtlinie entsprechende Aussage schon aus der primärrechtlichen Gewährleistung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) ableiten lässt, ist daher nicht entscheidend.

Dass ein Instanzgericht das nationale Recht ohne Vorlage der Auslegungsfrage an den EuGH unangewendet lassen darf, auch wenn ihm innerstaatlich bei verfassungsrechtlichen Zweifeln keine Verwerfungskompetenz zusteht (Art. 100 Abs. 1 GG), ist auch schon lange bekannt (EuGH, Urt. v. 19.1.2010 – C-555/07, Slg. 2010, I-365 = NJW 2010, 427 – Kücükdeveci). Tatsächlich war das AG Mannheim sogar an einer Vorlage gehindert, weil es bei der Entscheidung über den Listen-Antrag nicht als Gericht im Sinne von Art. 267 Abs. 1 AEUV gehandelt, sondern einen (Justiz-)Verwaltungsakt erlassen hat (vgl. EuGH, Beschl. v. 12.1.2010 – C 497/08, Slg. 2010, I-101 – Amiraike Berlin GmbH). Die eigentliche Sachfrage harrt daher weiterhin der Entscheidung durch den EuGH.

Gruppen-Koordination im europäischen Kontext

Neuen Schwung könnte die etwas abgeflaute Debatte durch das deutsche und das europäische Konzernrecht erhalten. Im deutschen Recht folgt aus der Verweisung auf § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO in § 269f Abs. 3 InsO, dass auch zum Verfahrenskoordinator nur natürliche Personen bestellt werden können. In einem (europäischen) Gruppen-Koordinationsverfahren kann dagegen jede Person, die „nach dem Recht eines Mitgliedstaates geeignet ist, als Verwalter tätig zu werden“, zum Koordinator bestellt werden (Art. 71 Abs. 1 EuInsVO). Damit erlangt die Möglichkeit, in einem anderen EU-Mitgliedstaat zum Verwalter bestellt werden zu können, auch für den innerstaatlichen deutschen Bereich unmittelbare Bedeutung.

Dass juristische Personen beispielsweise in Österreich (§ 80 Abs. 5 IO), Frankreich (Art. L 811-7 Code de commerce), Spanien (Art. 27 Abs. 2 Ley Con-cursal) und Italien (Art. 28 Abs. 1 lit. b Legge fallimentare) zu Verwaltern i.S.v. Art. 2 Nr. 5 EuInsVO i.V.m. dem Anhang B bestellt werden können, ist daher nicht nur für den (akade-misch-esoterischen) Rechtsvergleicher von Interesse. Vielmehr muss ein deutsches Insolvenzgericht, bei dem ein Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Mitglieds einer europäischen Unternehmensgruppe beantragt bzw. eröffnet worden und ein Antrag auf Eröffnung eines (europäischen) Gruppen-Koordinationsverfahrens gestellt worden ist (Art. 61 Abs. 1 EuInsVO), die im Antrag vorgeschlagene Person (Art. 61 Abs. 3 lit. a EuInsVO) auch dann zum Koordinator ernennen, wenn es sich um eine juristische Person handelt.

Beachte | geeignet ist, kein Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Gruppenmitglieds eröffnet worden ist. Damit könnte sogar eine deutsche GmbH, die in Spa-nien in Abteilung 4 des „Registro Público Concursal“ eingetragen ist (Art. 27 Abs. 2, 3 Ley Concursal), von einem deutschen Insolvenzgericht zum Koordinator in einem deutsch-französischen Gruppen-Koordinationsverfahren bestellt werden. Da § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO in einem solchen Fall per se nicht anwendbar ist, kommt es auf den Anwendungsvorrang der Dienstleistungsrichtlinie oder von Art. 56 AEUV nicht an.

Wenn deutsche Insolvenzgerichte aber ohnehin schon juristische Personen zum Koordinator in einem europäischen Gruppen-Koordinationsverfahren ernennen müssen, muss man auch innerstaatlich für Art. 12 Abs. 1 GG die Frage der Verhältnismäßigkeit des Ausschlusses juristischer Personen neu stellen. Denn es ist nicht begründbar, warum eine juristische Person zum Koordinator in einem europäischen Gruppen-Koordinationsverfahren ernannt werden kann, aber nicht zum (deutschen) Verfahrenskoordinator soll bestellt werden können.

Ausschluss „nur“ wegen juristischer Person

Im nächsten Schritt muss man sich fragen, ob ein vom Schuldner vorgeschlagener vorläufiger Sachwalter nach §§ 270b Abs. 2 Satz 2, 270a Abs. 1 Satz 2, 274 Abs. 1, 56 Abs. 1 Satz 1 InsO nur deshalb nicht bestellt werden kann, weil es sich um eine juristische Person handelt. Schließlich kommt man zum Kern des § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO, wenn es um die Frage geht, ob das Gericht einen vom vorläufigen Gläubigerausschuss einstimmig vorgeschlagenen (vorläufigen) Insolvenzverwalter nach §§ 56a Abs. 2 Satz 1, 56 Abs. 1 Satz 1 InsO (ggf. i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO) nur deshalb nicht bestellten kann, weil es sich um eine juristische Person handelt.

Zum Schluss | Dass der EuGH die Ablehnung einer Gesellschaft aus einem anderen EU-Mitgliedstaat billigen würde, ist im Lichte der bisherigen Judikatur höchst unwahrscheinlich. Die Ablehnung einer deutschen Gesellschaft würde das Unionsrecht als bloße Inländerdiskrimierung zwar nicht tangieren. Gleichwohl ist die unionsrechtliche Gewährleistung bei der Anwendung der Freiheitsgrundrechte zu beachten, hier also bei Art. 12 Abs. 1 GG. Wenn eine bestimmte Tätigkeit für juristische Personen aus anderen EU-Mitgliedstaaten eröffnet werden muss, ist der Ausschluss vergleichbarer deutscher Entitäten im Zweifel nicht (mehr) verhältnismäßig. Wir werden sehen, ob uns das neue Jahr dieser Erkenntnis ein Stück näherbringt.