European Tax Jurisdiction Bundesfinanzhof
Jürgen Brandt

Rechtswegfragen in datenschutzrechtlichen Streitigkeiten zwischen Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung

Nach Auffassung des BFH ist ein Anspruch Steuerpflichtiger auf Auskunft zu Daten in Steuerfahndungsberichten sowie auf Löschung solcher Daten vor den Verwaltungsgerichten zu verfolgen; dagegen bejaht das OVG NW für Klagen auf Auskunft über Inhalte von „außerhalb regulärer Besteuerungsvorgänge geführter“ Sonderakten wie auch für Ansprüche auf Löschung der Inhalte die Zuständigkeit der Finanzgerichte.

Sachverhalte

Das Verfahren des BFH (II B 82/19) steht im Zusammenhang mit einem gegen die klagenden Steuerpflichtigen anhängigen Steuerstrafverfahren und dem darauf bezogenen Steuerfahndungsbericht, in dem die Steuerpflichtigen „als insolvenzerfahren“ bezeichnet werden und ausgeführt wird, sie „scheuten sich nicht, mit Argumenten aus der Reichsbürgerszene aufzuwarten“.  Den Antrag der Kläger auf Auskunft über die insoweit gesammelten Daten des Finanzamts wie auch auf deren Löschung –unter Bezugnahme auf  Art. 15 Abs. 1, Art. 4 Abs. 4 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung –DS-GVO–, Amtsblatt der Europäischen Union –ABlEU– Nr. L 119/1) lehnte das FA wegen Unanwendbarkeit der DS-GVO ab. Das daraufhin angerufene FG hat den Rechtsstreit nach § 17a Abs. 3, 4 GVG an das seiner Ansicht nach zuständige VG verwiesen, gegen diese Entscheidung aber die Beschwerde zugelassen.  Diese Beschwerde hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen.

Die Verfahren vor dem OVG NW betreffen  –vor dem FA erfolglos geltend gemachte– Ansprüche Steuerpflichtiger auf Auskunft über „außerhalb regulärer Besteuerungsvorgänge geführter“ Sonderakten zu ihrer Besteuerung (16 E 814/19) sowie auf Vernichtung der Sonderakten (16 E 812/19).  Das insoweit angerufene VG  hat für beide Verfahren die Zuständigkeit der Finanzgerichtsbarkeit angenommen und sie deshalb gemäß § 17a Abs. 3, 4 GVG an das für zuständig gehaltene FG verwiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das OVG NW als unbegründet zurückgewiesen.

Begründungen der Gerichte

Nach Ansicht beider Gerichte ist für die Entscheidung über den Rechtsweg für die Klagebegehren § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO maßgeblich, wonach für die  jeweils i.S. der Vorschrift unstreitig gegebenen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art die Zuständigkeit  der Verwaltungsgerichte eröffnet ist,  „soweit sie nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.“ 

Ob eine solche ausdrückliche Zuweisung für die Streitverfahren an die Finanzgerichtsbarkeit  entweder in § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO („öffentlichrechtliche Streitigkeit, soweit für diese durch Bundesgesetz oder Landesgesetz der Finanzrechtsweg eröffnet ist“) oder in § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO (als „öffentlichrechtliche Streitigkeit über Abgabenangelegenheiten“)  zu sehen ist,  wird von den beiden Gerichten mit unterschiedlichem Ergebnis geprüft. 

So hat der BFH zu Recht eine bundesgesetzliche Zuweisung an die Finanzgerichtsbarkeit durch § 32i Abs. 2 AO mangels einer von der Vorschrift vorausgesetzten und selbst vom Kläger nicht geltend gemachten Verletzung datenschutzrechtlicher Belange nach Maßgabe der DS-GVO wie auch deshalb verneint, weil die DS-GVO nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. d DS-GVO auf die Verarbeitung personenbezogener Daten  durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder  Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und  der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit –wie im Streitfall im Rahmen des Steuerstrafverfahrens– keine Anwendung findet.  

Zu Recht hat der BFH des Weiteren in dem Streitverfahren keine Abgabenangelegenheit i.S. des § 33 Abs. 1, Abs. 2 FGO gesehen. Denn zu den  Abgabenangelegenheiten gehören nicht Steuerstraf- und Bußgeldsachen und damit auch nicht die – im Streitfall betroffene – sich darauf beziehende Tätigkeit der Steuerfahndung von der Einleitung bis zur Einstellung eines solchen Verfahrens  (vgl. BFH-Urteil vom 02.12.1976 – IV R 2/76, BFHE 120, 571, BStBl. II 1977, 318; BFH-Beschluss vom 06.05.1997 – VII B 4/97, BFHE 182, 515, BStBl. II 1997, 543), selbst wenn die Steuerfahndung im Zusammenhang mit dem eingeleiteten Ermittlungsverfahren gemäß § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 Besteuerungsgrundlagen ermittelt.  Auf dieser Grundlage konnte der BFH eine Rechtsgrundlage für das Klagebegehren „Offenlegung der im Steuerfahndungsbericht wiedergegebenen Daten wie auch auf Beseitigung dieser Daten“ nur in § 45 Satz 1 BDSG sehen; mangels ausdrücklicher Zuweisung darauf bezogener Streitigkeiten im BDSG ist diese unstreitig öffentlichrechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art mithin zu Recht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO von der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu bescheiden.

Im Gegensatz dazu hat das OVG NW für das Streitverfahren  (16 E 812/19)  die Zuständigkeit der Finanzgerichtsbarkeit bejaht, weil ungeachtet des nicht im zeitlichen Anwendungsbereich des § 32i Abs. 2 AO eine Abgabenangelegenheit i.S. des § 33 Abs.1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 FGO angenommen werden kann. Denn der Zusammenhang des Löschungsbegehrens mit Abgabenangelegenheiten gemäß  § 33 Abs. 1 FGO (i.S. „aller mit der Verwaltung der Abgaben einschließlich der Abgabenvergütungen oder sonst mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften durch die Finanzbehörden zusammenhängenden Angelegenheiten“ –vgl. BFH-Beschluss vom 29.06.1993 – VI B 108/92, BFHE 171, 409, BStBl. II 1993, 760 m.w.N.; BVerwG, Beschlüsse vom 15. 10. 2012 – 7 B 2.12 -, juris, Rn. 13 und vom 17. 9. 2018 – 7 B 6.18 -, juris, Rn. 5) kann im Streitfall schon deshalb bejaht werden, weil über den Anspruch auf Löschung von personenbezogenen Daten aus Sonderakten oder die Vernichtung der Akten auf der Grundlage steuerverfahrensrechtlicher Regelungen zu entscheiden ist oder die begehrte Änderung des Akteninhalts im Steuerrechtsverhältnis wurzelt und insoweit mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften in Zusammenhang steht. 

Die darauf bezogenen  tatrichterlichen Feststellungen, nach denen die Sonderakte stets und unverändert Gegenstand des den Kläger betreffenden  (noch offenen) „Besteuerungsverfahrens“ war, stehen im Einklang mit der Auffassung des BFH, der für einen Löschungsanspruch hinsichtlich bestimmter Akteninhalte von einer Abgabenangelegenheit und damit von einer Zuständigkeit der Finanzgerichte dann ausgeht, wenn die aktenführende Behörde nach außen objektiv und eindeutig erkennbar  –wie im Streitfall II E 812/19-  außerhalb eines eingeleiteten Steuerstrafverfahrens ausschließlich im Besteuerungsverfahren tätig geworden ist (vgl. BFH, Beschluss vom 7.4.2020 – II B 82/19, NJW 2020, 2135 -zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt-  unter Bezugnahme auf BFH, Beschlüsse vom 29. 10. 1986 – I B 28/86 –, BFHE 147, 492, BStBl. II 1987, 440;  vom 06.02.2001 – VII B 277/00,BFHE 194, 26, BStBl. II 2001, 306). 

Soweit das OVG NW im Verfahren II E 814/19 die Zuständigkeit des FG unter Hinweis auf die im Streitfall anwendbare Regelung des § 32i Abs. 2 AO wegen Anwendbarkeit der DS-GVO auf mögliche Verstöße  gegen ihre datenschutzrechtlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit („reinen“ ) Besteuerungsverfahren (und damit nicht in Steuerstrafverfahren wie im Fall des BFH) bejaht hat, ist dies ersichtlich durch § 33 Abs. 1 Nr. 3 FGO vorgegeben.

Ob sich allerdings eine Zuweisung auf den Finanzrechtsweg auch für solche Streitfälle ergibt, in denen –anders als im Streitfall– nicht schon eine Zuweisung nach § 32i Abs.2 AO wegen Verletzung von Informationsansprüchen nach Art. 13 und 14 DSGVO gegeben ist, sondern ein etwaiger  Auskunftsanspruch allein nach einem Informationsfreiheitsgesetz wie § 4 Abs. 1 IFG NRW geltend gemacht wird, ist entgegen der Ansicht des OVG höchst zweifelhaft.  Denn nach der Rechtsprechung des BFH gehören Rechtstreitigkeiten gegen Finanzbehörden, die auf Auskunftsansprüche nach den Vorschriften der Informationsfreiheitsgesetze gestützt werden, in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte (BFH, Beschluss vom 16. 6. 2020 – II B 65/19 –, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt). Anderes folgt entgegen der Ansicht des OVG auch nicht aus der Regelung in § 32e AO, weil sie  für die Umsetzung ihres Anliegens,  einen materiell-rechtlichen Gleichlauf zwischen  informationsfreiheitsrechtlichen Ansprüchen und Art. 12 bis 15 DSGVO zu bewirken (vgl.  Beschluss des OVG NRW in ZInsO 2019, 1539, Rz 23), keine ausdrückliche  (aber von § 40 Abs. 1 VwGO vorausgesetzte) Zuweisung des Rechtsweges vornimmt  (BFH, Beschluss vom 16. 6. 2020 – II B 65/19 –, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt ; unter Bezugnahme auf Beschluss des OVG NRW in ZInsO 2019, 1539; Schober, in: Gosch, AO § 32e Rz 9; a.A. Krumm in Tipke/Kruse, a.a.O., § 32i AO Rz 6).

Bedeutung für die Praxis | Die Entscheidung des BFH in II B 82/19 schafft die erforderliche Klarheit für den Rechtsweg bei Streitverfahren mit Finanzbehörden über die Verletzung von Datenschutzrechten im Zusammenhang mit Maßnahmen der Steuerfahndung, indem sie –in Weiterentwicklung der bisherigen Rechtsprechung zur Abgrenzung von Bußgeld- und Strafverfahren einerseits und Ermittlungsverfahren andererseits– auch die im Zusammenhang mit steuerlichen Ermittlungsmaßnahmen gemäß § 208 Abs. 1 Nr. 2 AO Datenerhebungen und -verarbeitungen bis zum Abschluss des Steuerfahndungsverfahrens diesem Verfahren zurechnet. Entsprechendes gilt für die OVG-Entscheidung in 16 E 812/19, die auf der Linie der BFH-Rechtsprechung zur nicht immer einfach vorzunehmenden Abgrenzung von Verwaltungs- und Finanzrechtsweg in Datenschutz-Streitverfahren gegen die  Finanzverwaltung liegt.

Die im Ergebnis mit Blick auf die Anwendbarkeit des § 32i Abs. 2 AO –und damit auf die bejahte Zuständigkeit der Finanzgerichtsbarkeit–  zustimmungswürdige Entscheidung des OVG im Verfahren 16 E 814/19  beleuchtet mit ihren weitergehenden Ausführungen zur Zuständigkeit der Finanzgerichte selbst für auschließlich auf die Informationsfreiheitsgesetze gestützte Auskunftsklagen die Schwierigkeit der Abgrenzung von Verwaltungs- und Finanzrechtsweg im Anwendungsbereich dieser Gesetze und liegt ersichtlich auf „ Kollisionskurs“ zur BFH-Rechtsprechung, die ggfs. bei Entscheidungserheblichkeit zu einer Anrufung des gemeinsamen Senats  der obersten Gerichtshöfe des Bundes führen werden (vgl. BFH-Beschluss vom 16.6.2020 -II B 65/19).