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Wolfgang Kessler

Ist § 8c Abs. 1 S. 2 KStG verfassungskonform?

Am 29.03.2017 erklärte das BVerfG (Az. 2 BvL 6/11) bereits § 8c S. 1 KStG a.F., der dem heutigen § 8c Abs.1 S.1 KStG entspricht, für mit dem Grundgesetz unvereinbar. Nach dieser Norm gehen Verlustvorträge einer Kapitalgesellschaft anteilig unter, wenn mehr als 25% der Anteile an dieser Gesellschaft veräußert werden (schädlicher Beteiligungserwerb). Dies verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. 

Entscheidung lässt Fragen offen

Das Gericht stellte zunächst eine rechtlich relevante Ungleichbehandlung von Kapitalgesellschaften mit schädlichem Beteiligungserwerb und solchen ohne schädlichen Beteiligungserwerb fest. Eine solche Differenzierung ist rechtfertigungsbedürftig. Je nach Art und Anknüpfungspunkt der Differenzierung reichen die Anforderungen dabei vom bloßen Vorliegen eines sachlichen Grundes bis hin zur Verhältnismäßigkeit der Differenzierung. Verwendet der Gesetzgeber eine typisierende Regelung, muss der gewählte Typus sich am tatsächlichen Regelfall orientieren. Der Gesetzgeber darf also keinen atypischen Fall zum Leitbild wählen. Zudem dürfen die tatsächlichen Anknüpfungspunkte für die Typisierung den Normzweck nicht verfehlen.

Im vorliegenden Fall musste das BVerfG auf die Anforderungen an die Rechtfertigung der festgestellten Differenzierung nicht näher eingehen, da sich bereits ein einleuchtender sachlicher Grund für die Differenzierung nicht finden ließ. Sowohl die Anknüpfung an die Vorgängerregelung des § 8 Abs. 4 KStG a.F. (i); als auch der der Norm zugrundeliegende Zweck der Missbrauchsbekämpfung (ii); sowie die vom Gesetzgeber angestrebte Beschränkung von Verlustabzügen bei Änderung der wirtschaftlichen Identität einer Gesellschaft (iii) und der Gedanke der Unternehmeridentität als Voraussetzung für den Verlustabzug (iv) reichen nach Ansicht des BVerfG nicht zur Rechtfertigung der Differenzierung aus. Generell und somit auch in diesem Zusammenhang nicht als Rechtfertigungsgrund ausreichend sind rein fiskalische Gründe (v).

Zwei sich aus der Entscheidung ergebende Folgefragen hat das Gericht allerdings ausdrücklich offengelassen: Erstens, ob der vollständige Verlustuntergang bei Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung (§ 8c Abs.1 S.2 KStG) ebenfalls gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt. Zweitens, ob die neugeschaffene Möglichkeit, einen Antrag nach § 8d KStG zu stellen, und die bislang ungenutzten Verluste in Gestalt eines s.g. fortführungsgebundenen Verlustvortrages „zu retten“, die Gleichheitswidrigkeit des anteiligen bzw. vollständigen Verlustuntergangs bei schädlichem Beteiligungserwerb (§ 8c Abs.1 S.1 bzw. S. 2 KStG) beseitigt. Beiden Fragen widmen sich die Verfasser ausführlich in einem in der Zeitschrift „DStR“ Heft 24/2017 erscheinenden Beitrag. Die Antwort auf die erste Frage soll nachfolgend kurz zusammengefasst werden.

Mögliche Gründe für die Ungleichbehandlung nach § 8c Abs. 1 S. 2 KStG

Als sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung nach § 8c Abs.1 S.2 KStG kommen dieselben Anknüpfungspunkte wie bei S. 1 in Betracht. Die Anknüpfung an § 8 Abs. 4 KStG a.F., der Gedanke der Unternehmeridentität sowie rein fiskalische Gründe können die Ungleichbehandlung auch in Bezug auf S. 2 nicht rechtfertigen, da sich für S. 2 insoweit nichts anderes als für S. 1 ergeben kann. Folglich verbleiben nur zwei Gründe, die potenziell geeignet sind, die Differenzierung durch S. 2 zu begründen: Die Missbrauchsbekämpfung und die Voraussetzung der wirtschaftlichen Identität der Gesellschaft für den Verlustabzug. Daher ist zu klären, ob S. 2 eine zulässige Typisierung des Missbrauchsfalles bzw. des Verlusts der wirtschaftlichen Identität darstellt.

Ausschluss von Mantelkäufen

Missbräuchlicher Fall der Verlustnutzung ist der Erwerb eines leeren „Verlustmantels“ und dessen späteres Auffüllen mit gewinnträchtigen Aktivitäten. § 8c Abs.1 S.2 KStG erfasst jedoch – wie S. 1 – typischerweise und nicht nur in Randbereichen auch Nicht-Missbrauchsfälle. Denn beide Sätze stellen allein auf den Wechsel der Anteilseigner ab und knüpfen somit gerade nicht an diejenigen Aktivitäten an, durch die sich der „Mantelkauf“ auszeichnet. Für den schlichten Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung sind aber zahlreiche Gründe jenseits der Nutzung eines Verlustmantels denkbar. Folglich ist das reine Abstellen auf den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung nicht am Regelfall der missbräuchlichen Verlustnutzung durch Mantelkäufe ausgerichtet.

Verlust der wirtschaftlichen Identität der Gesellschaft

Hinsichtlich des Verlusts der wirtschaftlichen Identität der Gesellschaft ist ebenfalls zu fordern, dass die vorgenommene Typisierung nicht an atypischen Fällen anknüpft. Eine unzulässige Typisierung läge vor, wenn der Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung typischerweise nicht zu einer Änderung der wirtschaftlichen Identität der Gesellschaft führt. Nach der vom BVerfG herangezogenen Definition bestimmt sich die wirtschaftliche Identität einer Kapitalgesellschaft insbesondere nach dem Unternehmensgegenstand, dem Betriebsvermögen und dem Geschäftsbetrieb. Daneben könnten die Anteilseigner die Identität der Gesellschaft prägen.

Eine Mehrheitsbeteiligung vermittelt zwar typischerweise die Möglichkeit, prägenden Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben und mithin erheblich auf das Sachsubstrat der Gesellschaft einzuwirken. Für die Mehrheitsbeteiligung muss jedoch ebenfalls das gelten, was das Gericht schon zutreffend in Bezug auf die Minderheitsbeteiligung herausgearbeitet hat. Nicht schon die bloße Möglichkeit der Herbeiführung von Änderungen lässt die Gesellschaft wirtschaftlich als eine andere erscheinen, sondern erst deren tatsächliche Durchführung.

Es ließe sich lediglich anbringen, auf Seiten des Erwerbers werde regelmäßig die Intention vorliegen, seinen neuerlangten Einfluss auf die Gesellschaft zu nutzen; etwa um Synergieeffekte zu erzielen. Allerdings sind die Motive für den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung vielseitig. So gibt es neben strategischen Investoren auch Finanzinvestoren, deren Erwerb lediglich mit dem Ziel der späteren, gewinnbringenden Veräußerung erfolgt und die keinen Einfluss auf die strategische Ausrichtung sowie das Tagesgeschäft der Gesellschaft nehmen wollen. Daher ist zweifelhaft, ob sich die wirtschaftliche Identität der Gesellschaft im Nachgang des Erwerbs einer Mehrheitsbeteiligung typischerweise ändern wird.

Fazit | Ob der vollständige Verlustuntergang nach § 8c Abs.1 S.2 KStG mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, ist zu bezweifeln. Erstens erfasst der Tatbestand typischerweise auch Nicht-Missbrauchsfälle. Zweitens ändert sich typischerweise nicht bereits durch den Beteiligungserwerb die wirtschaftliche Identität der Gesellschaft, denn diese wird in übergeordneter Weise durch das Betriebsvermögen bzw. den Geschäftsbetrieb geprägt. Ebenfalls kann nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass die neuen Mehrheitseigner in identitätsändernder Weise auf die Gesellschaft Einfluss nehmen werden, denn dafür sind die potentiellen Motive für einen solchen Erwerb zu unterschiedlich.

Ref. iur. Julian M. Egelhof und Dominik Probst, M.Sc. sind Wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.