European Insolvency & Restructuring Insolvenzordnung
Stefan Huber

Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens

Der europäische Gesetzgeber hat mit der Restrukturierungsrichtlinie (EU) 2019/1023 vom 20.6.2019 den Mitgliedstaaten die Zielvorgabe gemacht, Entschuldungsverfahren zu schaffen, bei denen die Entschuldungsfrist maximal 3 Jahre beträgt. Die Frist zur Umsetzung dieser Zielvorgabe endet für die nationalen Gesetzgeber grundsätzlich am 17. Juli 2021. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung Ende August den Entwurf eines Geset­zes zur weiteren Verkürzung des Restschuld­befreiungsverfahrens in den Bundestag eingebracht (BT-Drs. 439/20). 

Europäischer Hintergrund

Die europäische Restrukturierungsrichtlinie umfasst neben den Vorgaben für Entschuldungsverfahren vor allem auch Vorgaben für präventive Restrukturierungsverfahren. Dieser Bereich ist von dem aktuellen Gesetzentwurf nicht erfasst. Vielmehr hat sich der deutsche Gesetzgeber aufgrund der Komplexität des Gesamtpakets zu einem stufen­weisen Vor­gehen entschieden. Insoweit bleibt der aktuelle Entwurf hinter der Richtlinie zurück. Auf anderer Ebene geht der deutsche Gesetzentwurf über den Anwendungs­bereich der Richtlinie hinaus: So sind natürliche Personen, die nicht unternehmerisch tätig sind, von der bindenden Zielvorgabe der Richtlinie ausgenommen, vom deutschen Regierungsentwurf hingegen erfasst. Auf diese Weise folgt der Entwurf einer in den Erwägungsründen der Richtlinie ausgesprochenen Empfehlung.

Der Referentenentwurf vom Februar 2020

Bereits der Referentenentwurf aus dem Februar 2020 sah eine Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre sowohl für natürliche Personen mit unter­nehmerischer Tätigkeit als auch für Verbraucher in gleicher Weise vor. Bestehende Unterschiede, wie sie sich in § 305 InsO finden, blieben allerdings unangetastet. Um ein Hinausschieben überfälliger Insolvenzanträge auf die Zeit unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes und eine daraus folgende punktuelle Überlastung der Insolvenzgerichte zu vermeiden, sah der Referentenentwurf eine ausgetüftelte Staffelung für den Übergang von der bestehenden Regelentschuldungsfrist von sechs Jahren auf die angestrebte dreijährige Entschuldungsfrist vor. Monatsweise sollte die Frist jeweils um einen Monat verkürzt werden, um schließlich unter Einbau eines rückwirkenden Elements im Juli 2022 bei einer Regelentschuldungsfrist von drei Jahren anzukommen, also erst ein Jahr nach der grundsätzlichen Umsetzungsfrist unter Inanspruch­nahme einer in der Richtlinie enthaltenen Sonderregelung für nationale Gesetzgeber, die bei der Umsetzung auf besondere Schwierig­keiten stoßen. 

Coronabedingte Beschleunigung

Kurz nach Bekanntwerden des Referentenentwurfs kam es zum coronabedingten Lockdown mit entsprechenden wirtschaftlichen Auswirkungen. In deren Folge verständigte sich der Koalitionsausschuss Anfang Juni auf ein Konjunktur- und Krisen­bewältigungs­paket. Dies sieht vor, dass die Verkürzung der Regelentschuldungsfrist auf drei Jahre möglichst weitgehend bereits all denjenigen zugutekommen soll, die coronabedingt Insolvenz anmelden müssen. Dementsprechend soll die neue Regelentschuldungs­frist unmittelbar mit Inkrafttreten des Gesetzes greifen – nach der Idealvorstellung des Regierungsentwurfs bereits für Insolvenzverfahren, deren Eröffnung ab dem 1. Oktober dieses Jahres beantragt wird. Dieses Ziel erscheint derweil recht mutig; am 7. September fand im Bundestag die erste Beratung statt, die mit einer Überweisung an den Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz endete. Dort ist eine öffentliche Anhörung für den 30. September vorgesehen. 

Ausgestaltung der von der Richtlinie belassenen Spielräume

Die Anhörung soll dazu dienen, nochmals einige der Aspekte zu erörtern, bei denen die europäische Richtlinie dem deutschen Gesetzgeber Gestaltungsspielraum lässt. Dies betrifft zunächst den gesamten Bereich der Verbraucherinsolvenzen. Entgegen den Regelungsvorschlägen des Referentenentwurfs befristet der Regierungsentwurf die Verkürzung der Regel­entschuldungsfrist für Verbraucher zunächst bis zum 30. Juni 2025. Über eine Verlängerung soll auf Grundlage eines Berichts über „etwaige Auswirkungen der Verfahrens­verkürzung auf das Antrags-, Zahlungs- und Wirtschaftsverhalten“ von Ver­brauchern, der bis Ende Juni 2024 erstellt werden soll, entschieden werden. 

Ein wirklich überzeugendes Argument für eine unterschiedliche Behandlung von natürlichen Personen mit unternehmerischer Tätigkeit und Verbrauchern findet sich in der Begründung des Gesetz­entwurfs allerdings nicht; ein solches dürfte sich auch dem im Jahre 2024 vorzulegenden Bericht nicht entnehmen lassen, weil dieser unternehmerisch tätige Personen gar nicht in den Blick nehmen soll. Diese Ausklammerung ist insofern konsequent, als die Richtlinie für diesen Personenkreis bindende Vorgaben macht, so dass der Handlungsspielraum des deutschen Gesetz­gebers hier deutlich eingeschränkt ist. Zugleich bedeutet dies aber auch, dass der Bericht keine vergleichende Analyse zwischen Verbrauchern und natürlichen Personen mit unter­nehmerischer Tätigkeit liefern kann. Letztlich spricht vieles dafür, eher über eine Reduzierung der im derzeitigen Gesetz noch im Detail bestehenden Unterscheide nach­zudenken als über die Neueinführung grund­legender Unterschiede bei der Ent­schuldungs­frist. 

Interessanter mag der vom Gesetzentwurf eingeforderte Bericht im Hinblick auf Erkenntnisse über die Auswirkungen der derzeit praktizierten dreijährigen Speicherung der Rest­schuld­befreiung in den Systemen der Wirtschaftsauskunfteien sein; denn hier verändert der Regierungsentwurf entgegen dem Referentenentwurf, der eine maximale Speicherdauer von einem Jahr vorschlug, nichts. In diesem Kontext mag eine Analyse von Bereichen, die für einen wahren Neustart zentral sind, bspw. die der Telekommunikations- und Mietverträge, eine hilfreiche Entscheidungsgrundlage für die Schaffung künftiger Regelungen bilden. 

Zum Schluss | Die Richtlinie lässt den nationalen Gesetzgebern die Möglichkeit, die Entschuldung von der Deckung der Verfahrenskosten oder von einer Teiltilgung der Schulden abhängig zu machen. Die zu erbringende Teiltilgung darf dabei allerdings nicht mit einem gesetzlich vorgegebenen, pauschalen Prozentsatz bestimmt werden, sondern muss den Umständen des jeweiligen Einzel­falls angepasst werden. Die Bundesregierung hat sich in ihrem Gesetzentwurf gegen die Aufstellung jeglicher Voraussetzungen dieser Art entschieden. 

Bei der ersten Beratung des Regierungsentwurfs im Bundestag Anfang September wurde von verschiedenen Seiten, die diesen Grundansatz durchaus positiv bewerteten, wiederholt angemerkt, dass es bedauerlich sei, dass nunmehr für den Tüchtigen keinerlei Belohnung vorgesehen sei; anders gewendet: Es fehlt ein Anreiz, sich während der Abtretungsfrist in besonderer Weise zu engagieren und so die Befriedigungsquote der Insolvenz­gläubiger zu erhöhen. Hier kreative Lösungen zu entwickeln, wurde dem Rechtsaus­schuss als Aufgabe mit auf den Weg gegeben. 

Möglichweise lassen sich Regelungs­ansätze finden, wenn man den Blick über das konkret laufende Restschuld­befreiungsverfahrens hinaus weitet: Der Regierungsentwurf verlängert die Frist, nach der ein weiteres Restschuldbefreiungsverfahren beantragt werden kann, auf elf Jahre und setzt die Entschuldungsfrist für ein solches weiteres Entschuldungsverfahren auf 5 Jahre fest, so dass die derzeit geltende Gesamtfrist von 16 Jahren bis zu einer zweiten Restschuld­befreiung unverändert bleibt. Hier stellt sich die Frage, ob ab einer bestimmten Befriedigungs­quote eine kürzere Frist angemessen ist. Ebenso mag man die Frage aufwerfen, ob ab einer bestimmten Befriedigungs­quote die Notwendigkeit für eine dreijährige Speicherung der Restschuldbefreiung in den Systemen der Wirtschafts­auskunfteien entfällt.