European Tax Jurisdiction Europäische Union

Klimawandel mit „Fußabdruckbesteuerung“ bekämpfen?

Das berühmte Zitat von Bundeskanzler Scholz aus dem Jahr 2022 über eine Zeitenwende gilt gleich für zwei Bereiche. Wir erleben nicht nur einen dramatischen Wandel in der Geopolitik, sondern auch in Klima und Umwelt und letztlich möglicherweise in der Lebensfähigkeit der Erde. Wir sind Zeugen und Beteiligte einer Klima- und Umweltkrise, die auch eine Zeitenwende markiert. Kaum jemand zweifelt derzeit daran, dass alles getan werden muss, um eine große Katastrophe zu vermeiden. Klar ist aber auch, dass ein einzelnes Mittel nicht ausreichen wird. Ein Bündel von Maßnahmen im Bereich der rechtlichen Regulierung und Durchsetzung sowie der technischen Innovation ist notwendig. Dieser Artikel befasst sich mit dem steuerrechtlichen Beitrag dazu.

Es folgt ein kurzer historischer Überblick. Dann erörtere ich die Möglichkeit, das Steuerrecht im Interesse verschiedener gesellschaftlicher Entwicklungen einzusetzen. Es bietet u.a. die Möglichkeit, umweltbelastendes Verhalten unattraktiv zu machen. Allerdings hat sich das Problem inzwischen verlagert: von der gelegentlichen Verschmutzung hin zur Gefahr einer allgemeinen Erschöpfung der natürlichen Ressourcen und einer fatalen globalen Erwärmung. Der Artikel schließt mit einem Vorschlag für ein neues steuerliches Instrument, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

Vom Club of Rome zur EU und zum IPCC

Bereits vor fünfzig Jahren wies der Club of Rome auf die Umweltkrise hin. In seinem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ zeigte er die Gefahren des Wirtschaftswachstums für die Umwelt auf. Unbegrenzter Ressourcen- und Nahrungsmittelverbrauch könnte zu Engpässen führen.

Kurz nach dem Erscheinen des Berichts des Club of Rome verabschiedete die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft das erste Umweltaktionsprogramm. Zu dieser Zeit war es noch stark auf wirtschaftliche Projekte ausgerichtet. Als die Europäische Union gegründet wurde, erweiterte sie ihre Arbeit in diesem Bereich. Nach Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union setzt sich die EU für eine nachhaltige Entwicklung der Erde (Absatz 5) auf der Grundlage eines hohen Maßes an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität ein (Absatz 3). Artikel 191 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union führt dies weiter aus und bezieht die Bekämpfung des Klimawandels in seine Politik ein.

Der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) der Vereinten Nationen stellt in seinem jüngsten, am 20. März 2023 angenommenen Synthesebericht fest, dass sich die globale Erwärmung schneller vollzieht als bisher angenommen und ihre Auswirkungen bereits sichtbar sind. Es sind dringende, systemweite Veränderungen erforderlich, um eine klimaresistente Zukunft mit einem Netto-Nullwachstum zu sichern.

Hilfszwecke bei der Besteuerung

Die Besteuerung steht in keinem direkten Zusammenhang mit Klima, Umwelt und Nachhaltigkeit. Der Zweck der Besteuerung besteht darin, dass der Staat Mittel zur Finanzierung von Ausgaben aufbringt, die im öffentlichen Interesse erforderlich sind.  Dabei sind die Steuerbehörden im Prinzip neutral, was die Herkunft der Steuerbemessungsgrundlage angeht. Die Gewinne eines Krankenhauses werden ebenso besteuert wie die einer stark verschmutzten Fabrik oder eines Drogenkuriers.

Dennoch greift der Steuereintreiber auf verschiedene Weise in die wirtschaftlichen Transaktionen ein. Er tut dies, weil er durch eine höhere oder niedrigere Besteuerung die Entscheidungen der Steuerzahler beeinflussen kann. In vielen Ländern werden beispielsweise steuerwirksame Abzugsbeiträge aufgrund von Investitionen des Steuerzahlers gewährt. Manchmal werden auch Steuerabzüge gewährt, die nicht direkt mit dem Erwerb von Einkommen zusammenhängen. Beispiele hierfür sind steuerliche Abzugsbeträge bei der Einkommenssteuer für Bildungsausgaben und eine Steuerbefreiung für Kunstgegenstände bei der Vermögenssteuer.

Steuerexperten bezeichnen diese als „Nebenzwecke“ der Besteuerung. Es kann sich dabei um verschärfte Steuern handeln; in diesen Fällen will der Steuereintreiber von bestimmten Verhaltensweisen abhalten. In anderen Fällen handelt es sich um eine fiskalische Form der Subvention; dann spricht man in Anlehnung an den englischen Begriff auch von „tax expenditures“ (Steuerausgaben). Nützliche Nebenzwecke sind oft wirtschaftlicher oder sozialer Natur. Beispielsweise ist einer der Zwecke einer Verbrauchssteuer auf Tabakwaren die Verhinderung des Rauchens und dient somit der öffentlichen Gesundheit.

Umweltsteuern: „Der Verursacher zahlt“

Regelungen, die vor allem dem Umweltschutz dienen, genießen traditionell viel Wohlwollen. Inzwischen gibt es viele verschiedene Arten von Umweltsteuern: Abfall-, Energie-, Luftverkehrs- und Düngemittelsteuern. Außerdem gibt es Steuern auf Kohle und Verpackungen sowie eine Wasserverschmutzungssteuer. Aus Umweltschutzgründen werden Autos manchmal höher besteuert (weil ihr Motor schwer und sehr umweltschädlich ist) oder subventioniert (wenn sie elektrisch betrieben werden). Umweltsteuern sind vor allem in den 1970er Jahren entstanden und haben für Furore gesorgt, wenn auch nicht immer mit großem Erfolg. Auch die Gewinn- und Umsatzsteuern enthalten Bestimmungen zur Förderung umweltfreundlicher Geschäftspraktiken.

Bisher galt für Umweltsteuern vor allem das Prinzip „der Verursacher zahlt„. Dies bedeutet, dass die betreffende Steuer zwei miteinander verknüpfte Bedingungen erfüllen muss.

Die erste ist, dass es eine „Verschmutzung“ gibt. Was dies bedeutet, ist nicht genau definiert und wird natürlich immer vom nationalen Gesetzgeber entschieden. Im Allgemeinen handelt es sich um Situationen, in denen einem in der natürlichen Umwelt vorhandenen System eine nützliche Eigenschaft entzogen wird. Eine Verschmutzung liegt beispielsweise vor, wenn das Wasser nicht mehr trinkbar ist oder der Boden keinen Nährstoff mehr enthält, der die Pflanzen ernährt. Wenn aber keine „Verschmutzung“ vorliegt, sondern z. B. eine übermäßige Nutzung, ist kein Platz für eine Umweltsteuer in diesem Sinne.

Die zweite Bedingung ist, dass es möglich sein muss, einen Verursacher zu identifizieren. Theoretisch ist das derjenige, der bestimmte Stoffe in die Umwelt einleitet, aber das ist nicht immer klar. Welches Schiff oder Unternehmen hat zum Beispiel Abfälle in den Fluss oder das Meer eingeleitet? Aus welchen Quellen stammen die vielen umweltschädlichen Chemikalien in der Luft? Inwieweit trägt der einzelne Mensch zu der „Plastiksuppe“ in den Meeren bei? Auf Probleme dieser Art stieß bisher zum Beispiel die Einführung einer so genannten Kilometerabgabe. In vielen Fällen gibt es auch keinen einzelnen Verursacher, sondern eine Kette. Sind die Kohlendioxidemissionen von Flugzeugen durch den Hersteller, die Fluggesellschaft oder den Passagier verursacht?

Das Verursacherprinzip kann also nicht in allen Fällen angewendet werden, in denen die Umwelt gestört wird. Dennoch ist das Konzept in vielen Fällen eine wirksame Maßnahme zur Bekämpfung konkreter Umweltbelastungen. Eine neue Ära könnte jedoch einen anderen Ansatz erforderlich machen.

Umkehr: Das Ende des Anthropozäns?

Zu der Sorge um die Umweltverschmutzung kommt heute die Angst vor einem katastrophalen Klimawandel hinzu. Die Artenvielfalt geht rapide zurück, in Sibirien und Kanada kann man bereits Sonnenurlaub machen, in weiten Teilen West- und Südeuropas regnet es monatelang kaum und dann verwandeln sich Bäche und Flüsse in reißende, tödliche Ströme; und der neueste Stand des medizinischen Wissens kann nicht verhindern, dass eine Pandemie 10 Millionen Menschen tötet.

In den anderthalb Millionen Jahren seines Bestehens hat der Mensch Großes geleistet und sich seine Umwelt nach seinen Wünschen und Interessen eingerichtet. Nun aber setzt sich die Einsicht durch, dass dies auch eine Kehrseite hat. Der Mensch hat – im Großen und Ganzen – vergessen, dass die Natur ihm auch den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt ermöglicht hat und dass er ihr deshalb danken und sie schätzen sollte. Dabei haben schon die Alten in der biblischen Geschichte von Adam und Eva vor den verbotenen Früchten gewarnt.

Kredit an die Erde

Im Produktionsprozess ist die Natur keine Partei, sondern ein Mittel. Die Nutzung der Natur wird nicht „bepreist„. Wir bezahlen die Erde – von Ausnahmen abgesehen – nicht für die Produkte, die sie uns zur Verfügung stellt. Ein Teil der Produktionskosten ist also nicht sichtbar.

Die Nichtberücksichtigung dieser Kosten ist vor allem für die Menschen in den reichen Industrieländern von Vorteil, die viel produzieren und konsumieren. Dies ist einer der Gründe dafür, dass die Menschen in Westeuropa mehr als zehnmal so viele natürliche Ressourcen verbrauchen, wie einem Menschen auf der Erde durchschnittlich zur Verfügung stehen. Die wissenschaftliche Literatur hat zu diesem Zweck das Maß des so genannten „Fußabdrucks“ entwickelt.

Man braucht nicht viel Phantasie, um zu erkennen, dass ein fortgesetzter übermäßiger Verbrauch schließlich zur völligen Erschöpfung des Planeten führen wird. Alle Unzulänglichkeiten in den Berechnungen und die Möglichkeit neu entdeckter Ressourcen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schatzkammer der Erde nicht unerschöpflich ist. Diejenigen, die einen zu großen „Fußabdruck“ haben, nehmen mehr als ihren Anteil und bauen eine Schuld gegenüber der Erde auf.

Erneuter Einsatz von fiskalischen Instrumenten: hin zu einer Fußabdrucksteuer

Aus den Berichten des IPCC geht klar hervor, dass es „fünf vor zwölf“ ist. Der Forschungs- und Eroberungsdrang des Menschen droht sich in (relativ) absehbarer Zeit auf fatale Weise gegen ihn selbst zu wenden. Eine Schocktherapie ist notwendig.

Leider stehen dem entschlossenen Handeln immer wieder gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Interessen im Weg. Doch die technische Entwicklung reicht nicht mehr aus. Die IPCC-Forscher seufzen, dass sich das menschliche Verhalten selbst ändern muss. Die Nutzung und der Verbrauch von Natur und Umwelt müssen sich ändern.

Menschen passen ihr Verhalten nur dann an, wenn ihr persönliches Interesse spürbar betroffen ist. Gerade deshalb können fiskalische Instrumente hier gute Dienste leisten. Denn kalkulierende Bürger reagieren in der Regel recht stark auf finanzielle Anreize. Nachhaltiges Verhalten kann daher durch eine deutliche Erhöhung der Steuern auf übermäßigen Gebrauch der Erde gelenkt werden. Diejenigen die „auf zu großem Fuß“ leben, sollen einen steuerlichen Preis dafür zahlen. Falls ein solches Instrument in die größten Steuerarten wie die Einkommens- und Gewinnsteuer eingebaut wird, erreicht der Fiskus die große Mehrheit der Bevölkerung.

Als Grundsatz könnte man einsetzen, dass jeder, der Waren und Dienstleistungen von Mutter Erde entnimmt, einen Preis dafür bezahlt. Der Preis wäre nicht nur im Falle einer umweltbelastenden Tätigkeit zu entrichten, sondern im Prinzip für jede Nutzung, jeden Verbrauch oder jede Verarbeitung in der Produktion, im privaten oder geschäftlichen Bereich. Kurz gesagt, die Größe des Fußabdrucks, den jeder Mensch auf der Erde hinterlässt, würde ermittelt und als Grundlage für eine „Fußabdruckbesteuerung“ verwendet.

Dies kann geschehen, indem der Fußabdruck als Bemessungsgrundlage für eine neue Steuer oder als neue Progressionslinie bei bestehenden Steuern verwendet wird. Das Wesentliche ist, dass der Steuerzahler mit den finanziellen Folgen seines Verhaltens konfrontiert wird und es anpassen kann. Die erhobene Steuer könnte von der Regierung zur Finanzierung der Klimapolitik verwendet werden. Eine Möglichkeit besteht darin, weniger wohlhabenden Ländern zu helfen, die von Naturkatastrophen betroffen sind, die auf den Klimawandel zurückzuführen sind.

Umsetzung und Auswirkungen

Die hier entwickelte Idee kann auf verschiedene Weise weiterentwickelt werden. Zunächst muss das Kriterium des „Fußabdrucks“ mit Inhalt gefüllt werden. Inzwischen gibt es mehrere Modelle für eine „Kohlenstoffsteuer“ oder Energiesteuer. Diese konzentrieren sich nur auf die CO2-Emissionen aus der Nutzung fossiler Energieträger. Andere Modelle sehen eine „Umweltsteuer“ vor und beziehen die Umweltnutzung und -zerstörung im weiteren Sinne in den „Fußabdruck“ ein.

Das dritte und umfassendste Konzept bezieht jede Nutzung von Natur, Boden, Luft und Raum in den Fußabdruck ein. Alle Auswirkungen des Wohnens, Arbeitens, Reisens, Produzierens und Ernährens auf die Nachhaltigkeit werden dann so weit wie möglich auf individueller Ebene erfasst und in eine Fußabdruckzahl umgerechnet. Modelle für solche Berechnungen sind bereits im Internet zu finden. Siehe auch verschiedene EU-Webseiten.

Je größer der Fußabdruck ist, desto höher ist die zu zahlende Steuer. Die Beziehung des Steuerzahlers zur Erde wird so für ihn integral sichtbar gemacht und in eine finanzielle Transaktion umgesetzt.

Die Wahl des steuerlichen Instruments des Fußabdrucks ist nicht nur eine Frage des biologischen und physikalischen Sachverstands, sondern vor allem der politischen und gesellschaftlichen Diskussion. Die Auswirkungen einer solchen Steuer, wie sie hier vorgeschlagen werden, sind weitreichend. Je nach Druck der Fußabdrucksteuer einerseits und der Preiselastizität der verschiedenen Elemente des Fußabdrucks andererseits werden sich Produktions- und Konsummuster mehr oder weniger stark verändern. Die Beschäftigung wird sich teilweise verlagern, so dass Umschulungen notwendig werden und Produktionskapazitäten für nachhaltige Zwecke frei werden.

Im Moment sehen wir bereits, wie viel Widerstand eine „Kohlenstoffsteuer“ hervorruft. Es erscheint daher vernünftig, nicht zu versuchen, direkt im ersten Schritt eine breitere Fußabdrucksteuer einzuführen, sondern dies in mehreren Phasen zu tun. Außerdem ist eine internationale Zusammenarbeit wünschenswert; die EU und die OECD können hier eine Vorreiterrolle spielen.

Zum Schluss | Eine breit angelegte Fußabdrucksteuer kann einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Umwelt- und Klimakrise leisten. Durch die Besteuerung kann die Nutzung dessen, was die Erde zu bieten hat, durch Privatpersonen und Unternehmen deutlich gesteuert werden. Die Besteuerung kann so zu einem sauberen und lebenswerten Erbe für unsere Kinder und Enkelkinder beitragen.