European Tax Jurisdiction Bundesverwaltungsgericht
Jürgen Brandt

Steuergeheimnis und presserechtlicher Auskunftsanspruch – Urteil des BVerwG vom 29. 8. 2019 -7 C 33/17

Sind Gegenstand eines presserechtlichen Auskunftsanspruchs steuerliche Sachverhalte bestimmter Personen, kann deren Offenlegung mit Blick auf den Schutz entsprechender Daten durch das Steuergeheimnis nach § 30 AO bei einem zwingenden öffentlichen Interesse gem. § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO verlangt werden. Dieses Merkmal „zwingendes öffentliches Interesse“ ist nach dem Urteil des BVerwG vom 29.8.2019 -7 C 33/17 hinreichende Grundlage für den gebotenen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen dem Interesse an der Vertraulichkeit der vom Steuergeheimnis geschützten Daten einerseits und gegenläufigen öffentlichen Interessen unter Berücksichtigung des durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich geschützten Informationsinteresses der Presse andererseits.

Sachverhalt

Im Streitfall lehnte die Finanzverwaltung unter Berufung auf das Steuergeheimnis das Begehren einen klagenden Journalisten ab, ihm nach Maßgabe des landesrechtlichen Pressegesetzes Auskünfte zu einem bestimmten Einsatz von Polizei und Steuerfahndung in einem Swinger-Club zu erteilen. Die dagegen nach erfolglosem Klage- und Berufungsverfahren eingelegte Revision hat das BVerwG zurückgewiesen.

Begründung des BVerwG

Das BVerwG hat die Auffassung der Vorinstanzen im Ergebnis bestätigt, dass dem streitigen Anspruch auf Information das Steuergeheimnis (§ 30 AO) entgegenstand und diese Vorschrift die Grenzen des landespresserechtlichen Auskunftsanspruchs im Hinblick auf steuerliche Daten in verfassungskonformer Weise bestimmt. Danach darf der Gesetzgeber das Steuergeheimnis grundsätzlich als vorrangig gegenüber der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) ansehen und diesen Vorrang lediglich durch den unbestimmten Rechtsbegriff des zwingenden öffentlichen Interesses in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO (für eine Durchbrechung des Steuergeheimnisses) einschränken, ohne insoweit eine „offene“ Abwägung im Einzelfall vorzuschreiben.

Vereinbarkeit mit der verfassungsrechtlich gewährleisteten Pressefreiheit

Zur Vereinbarkeit dieser Grenzbestimmung mit der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der Pressefreiheit verweist das BVerwG auf den Spielraum des Gesetzgebers bei der Regelung von Gründen für die Versagung von Auskünften an die Presse, wenn widerstreitende Interessen zu gewichten sind, ohne die Effektivität der presserechtlichen Auskunftsregelungen unangemessen zu beeinträchtigen. Diesen Spielraum hat der Gesetzgeber mit der Regelung in § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO hinreichend Rechnung getragen, die dem Steuergeheimnis keinen generellen, unüberwindbaren Vorrang einräumt, sondern bei zwingendem öffentlichen Interesse Ausnahmen vom Verbot der Offenbarung steuerlicher Sachverhalte zulässt und ausweislich der Regelbeispiele selbst für unbenannte Fälle zwingenden öffentlichen Interesses eine auf das Steuerrecht ausgerichtete Vorstrukturierung und Vorprägung der Abwägung solcher zwingender öffentlichen Interessen geschaffen hat.

Die Regelung berücksichtigt nach der Rechtsprechung in angemessener Weise die besondere Schutzbedürftigkeit steuerlicher Daten als Gegenstück zu den weitgehenden Offenbarungspflichten des Steuerrechts. Sie schützt das private Geheimhaltungsinteresse des Steuerpflichtigen und der anderen zur Auskunftserteilung verpflichteten Personen und will durch besonderen Schutz des Vertrauens in die Amtsverschwiegenheit die Bereitschaft zur Offenlegung der steuerlich relevanten Sachverhalte in verfassungskonformer Weise fördern (BVerfG, Urteil v. 17.07.1984 – 2 BvE 11/83 – BVerfGE 67, 100, 139 f.), zumal die Geheimhaltung bestimmter steuerlicher Angaben und Verhältnisse durch das grundrechtlich verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG geboten sein kann (BVerfG, Kammerbeschluss v. 06.05.2008 – 2 BvR 336/07 – NJW 2008, 3489).

Berührung des durch das Steuergeheimnis erfassten Schutzbereichs

Die streitigen Informationen zu dem Einsatz Polizei und Steuerfahndung betrafen die „Verhältnisse eines anderen“ bzw. „personenbezogene Daten eines anderen“ i.S.v. § 30 Abs. 2 Nr. 1 AO a.F./n.F.. Denn sie bezogen sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person, weil die Angaben vom Informationsempfänger aufgrund seines Zusatzwissens mit der betreffenden Person verknüpft werden konnten und damit durch das Steuergeheimnis i.S. des § 30 AO geschützt wurden. Allerdings scheidet nach der Rechtsprechung die Annahme einer Offenbarung von Steuergeheimnissen aus, wenn die betroffenen Daten schon öffentlich bekannt sind. In einem solche Fall fehlt es schon an einem Sachbescheidungsinteresse für ein Auskunftsbegehren, weil – so das BVerwG – der Anspruch der Presse auf Erteilung von Auskünften nicht dazu dient, sich nachträglich eine Information nochmals amtlich von der zuständigen Behörde bestätigen zu lassen.

Rechtmäßige Verneinung eines zwingenden öffentlichen Interesses an der Offenbarung

Angesichts der dargestellten Auskunftslage hat das BVerwG ebenso wie die Vorinstanzen im Streitfall zu Recht keine Verletzung des presserechtlichen Auskunftsanspruchs gesehen. Zwingend ist ein öffentliches Interesse nach der Rechtsprechung nämlich nur, wenn bei Unterbleiben der Offenbarung die Gefahr schwerer Nachteile für das allgemeine Wohl bestünde, weil ein erhebliches Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Klärung eines Sachverhalts im Lichte des durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten Vermittlungs- und Kontrollauftrages der Presse betroffen ist (vgl. zum Recht der Presse insbesondere auf Beschaffung von Informationen BVerfG, Beschluss. v. 06.06.1989 – 1 BvR 727/84 – BVerfGE 80, 124, 133; Kammerbeschluss v. 28.08.2000 – 1 BvR 1307/91 – AfP 2000, 559, 560, Urteil v. 24.01.2001 – 1 BvR 2623/95 u.a. – BVerfGE 103, 44, 59 und Kammerbeschluss v. 14.09.2015 – 1 BvR 857/15 Rn. 16 – NJW 2015, 3708; BVerwG, Urteil v. 20.02.2013 – 6 A 2/12 Rn. 27 – BVerwGE 146, 56).

Die sich daraus ergebende Pflicht der Behörden zu Auskunftspflichten gegenüber der Presse, um die Öffentlichkeit über tatsächliche Vorgänge und Verhältnisse, Missstände, Meinungen und Gefahren unterrichten und zur Meinungsbildung im demokratischen Entscheidungsprozess beitragen zu können (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss v. 27.07.2015 – 1 BvR 1452/13 – NVwZ 2016, 50 Rn. 14; BGH, Urteil v. 10.02.2005 – III ZR 294/04 – DVBl 2005, 980, 981 m.w.N.; BVerwG, Urteil v. 21.03.2019 – 7 C 26/17 Rn. 22 m.w.N. – NVwZ 2019, 1283), hat die Verwaltung indessen im Streitfall wegen fehlenden zwingenden öffentlichen Interesses aus den dargestellten Gründen des Revisionsurteils nicht verletzt.

Bedeutung für die Praxis | Die Entscheidung macht in ihrer umfänglichen Auswertung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung die Notwendigkeit der Abgrenzung der Interessen der Presse an Zugang zu Informationen aus dem Bereich der Verwaltung einerseits und dem Schutz der Bürger an der Geheimhaltung der sie persönlich betreffenden Daten andererseits deutlich.

Dass dies insbesondere für den Schutz steuerlicher Verhältnisse der Bürger durch das Steuergeheimnis gilt, ist auch nach der Rechtsprechung des EuGH bei Auskunftsbegehren zu berücksichtigen (vgl. EuGH, Urteil vom 28. 7. 2011 – C-71/10, NVwZ 2011, 1060-1062 mit Anm. Epiney, EurUP 2012, 88; Sachs/Jasper, NVwZ 2012, 649 unter Hinweis auf Art. 4 Abs. 2 der RL 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 1. 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der RL 90/313/EWG des Rates und des danach bestehenden Rechts der Mitgliedstaaten auf Ablehnung von Auskünften, „um berechtigte wirtschaftliche Interessen, einschließlich des öffentlichen Interesses an der Wahrung der Geheimhaltung von statistischen Daten und des Steuergeheimnisses, zu schützen“).