Nachweis der Einlagenrückgewähr bei Ausschüttungen einer EU-Kapitalgesellschaft
Mit Urteil vom 27.10.2020 – VIII R 18/17 hat der VIII. Senat des BFH entschieden, dass es keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstellt, dass inländische Anteilseigner einer Drittstaatenkapitalgesellschaft im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens den Nachweis führen können, dass ein bestimmter Bezug als Einlagenrückgewähr zu qualifizieren ist, während Ausschüttungen an inländische Anteilseigner einer EU-Kapitalgesellschaft gemäß § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG ohne weitere Nachweismöglichkeit des Anteilseigners stets als Gewinnausschüttung gelten, wenn die EU-Kapitalgesellschaft das Feststellungsverfahren gemäß § 27 Abs. 8 KStG nicht betreibt.
Die Frage, ob es gegen die Kapitalverkehrsfreiheit aus Art. 63 AEUV verstößt, dass inländische Anteilseigner von EU-Kapitalgesellschaften den Nachweis einer Einlagenrückgewähr für einen bestimmten Bezug im Rahmen des Steuerfestsetzungsverfahrens nicht selbst führen dürfen, ist im Klageverfahren gegen einen Einkommensteuerbescheid des Anteilseigners nur dann entscheidungserheblich, wenn Anhaltspunkte für eine Einlagenrückgewähr nach Maßgabe der Verwendungsfiktion in § 27 Abs. 1 Sätze 3 und 5 KStG bestehen.
Einfach-gesetzliche Ausgangslage
Nach § 27 Abs. 8 Satz 1 KStG können u.a. Kapitalgesellschaften, die in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union unbeschränkt steuerpflichtig sind, eine Einlagenrückgewähr erbringen, wenn sie Leistungen im Sinne § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 9 EStG gewähren können. Die Einlagenrückgewähr ist gemäß § 27 Abs. 8 Satz 2 KStG in entsprechender Anwendung des § 27 Abs. 1 bis 6 KStG und der §§ 28 und 29 KStG zu ermitteln. Der als Leistung im Sinne des § 27 Abs. 8 Satz 1 KStG zu berücksichtigende Betrag wird auf Antrag der EU-Kapitalgesellschaft für den jeweiligen Veranlagungszeitraum gesondert festgestellt (§ 27 Abs. 8 Satz 3 KStG).
Anders als bei inländischen Kapitalgesellschaften wird also nicht der Bestand des steuerlichen Einlagenkontos gesondert festgestellt, sondern die Summe der im jeweiligen Veranlagungszeitraum als Einlagenrückgewähr zu qualifizierenden Leistungen. Soweit Leistungen nach Satz 1 nicht gesondert festgestellt werden, gelten sie gemäß § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG als Gewinnausschüttung, die beim Anteilseigner zu Einnahmen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 9 EStG führen. Der BFH hatte nun darüber zu entscheiden, ob es mit höherrangigem Recht vereinbar ist, dass § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG beim Anteilseigner das Vorliegen einer steuerpflichtigen Gewinnausschüttung allein deshalb fingiert, weil die EU-Kapitalgesellschaft das Feststellungsverfahren gemäß § 27 Abs. 8 KStG nicht betreibt.
Sachverhalt des BFH-Urteils vom 27.10.2020 – VIII R 18/17
Der Kläger war im Streitjahr (2011) an einer österreichischen Kapitalgesellschaft (I-AG) beteiligt. Die Hauptversammlung der I-AG fasste im September 2011 den Beschluss, aus dem Bilanzgewinn der Gesellschaft im Wirtschaftsjahr 2010/2011 einen Betrag von 0,10 € pro Aktie (an den Kläger: 30.750 €) auszuschütten. Nach der Dividendenbekanntmachung der I-AG handelte es sich bei der ausgeschütteten Dividende um eine Einlagenrückzahlung nach österreichischem Recht. Bei Gutschrift der Ausschüttung der I-AG im Depot des Klägers erteilte die depotführende Bank diesem eine Abrechnung, in der die Ausschüttung unter Bezug auf das BMF-Schreiben vom 22.12.2009 (BStBl. I 2010, 94, Rn. 92) als kapitalertragsteuerpflichtige Dividende ausgewiesen war. Die Depotbank verrechnete die Kapitalerträge aus der Dividende mit negativen Kapitalerträgen in Höhe von 8.147,21 € und behielt Kapitalertragsteuer von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 22.602,79 € ein. In seiner Einkommensteuererklärung beantragte der Kläger die Überprüfung des Steuereinbehalts gemäß § 32d Abs. 4 EStG mit der Begründung, dass es sich bei der Ausschüttung der I-AG um eine nicht steuerbare Einlagenrückgewähr handele.
Das FA folgte dem nicht, sondern behandelte den Bezug von der I-AG weiterhin als steuerpflichtigen Kapitalertrag. Das FG und der BFH bestätigten diese Auffassung, weil der Nachweis einer Einlagenrückgewähr nicht geführt sei.
Entscheidung des Bundesfinanzhofes
Der BFH urteilte, dass das FG den Bezug des Klägers von der I-AG zu Recht als steuerpflichtigen Kapitalertrag gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG und nicht als Bezug im Rahmen einer Einlagenrückgewähr qualifiziert habe. § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG ordne an, dass, soweit Leistungen nicht als Fall der Einlagenrückgewähr gemäß § 27 Abs. 8 Satz 1 KStG gesondert festgestellt würden, sie als Gewinnausschüttung zu behandeln seien, die beim Anteilseigner zu Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG führten. Da es im Streitfall an einer gesonderten Feststellung fehle, dass es sich bei der Ausschüttung der I-AG um eine Einlagenrückgewähr gemäß § 27 Abs. 8 Sätze 1 und 2 KStG handele, gelte die Ausschüttung daher gemäß § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG als steuerpflichtige Gewinnausschüttung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG an den Kläger.
Der Kläger sei nicht dadurch in seinem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, dass § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG bei ihm allein wegen der fehlenden gesonderten Feststellung der Einlagenrückgewähr gegenüber der EU-Kapitalgesellschaft eine Gewinnausschüttung nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG fingiere, ohne ihm – in gleicher Weise wie dem Anteilseigner einer Drittstaatenkapitalgesellschaft − einen eigenen Nachweis der Einlagenrückgewähr im Rahmen des Veranlagungsverfahrens zu ermöglichen.
Beide Anteilseignergruppen befänden sich in verfahrensrechtlich unterschiedlichen Ausgangssituationen. Während der Anteilseigner einer Drittstaatenkapitalgesellschaft mangels eines gesetzlich geregelten Feststellungsverfahrens die Voraussetzungen einer Einlagenrückgewähr im Steuerfestsetzungsverfahren nach den Grundsätzen der Verwendungsfiktion gemäß § 27 Abs. 1 Sätze 3 und 5 KStG selbst vollständig darlegen und nachweisen müsse, habe der Gesetzgeber den Nachweis einer Einlagenrückgewähr bei EU-Kapitalgesellschaften − wie bei Inlandskapitalgesellschaften – im Rahmen eines von der Kapitalgesellschaft zu betreibenden Feststellungsverfahren vorgesehen. Ob aufgrund der fehlenden individuellen Nachweismöglichkeit einer Einlagenrückgewähr für Anteilseigner von EU-Kapitalgesellschaften ein Verstoß gegen die unionsrechtliche Kapitalverkehrsfreiheit in Art. 63 AEUV vorliegen könne, sei im Streitfall nicht entscheidungserheblich. Selbst wenn man dem Kläger diese Möglichkeit zubilligen würde, seien im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Ausschüttung der I-AG als Einlagenrückgewähr zu qualifizieren sein könne.
Kontext der BFH-Entscheidung | Die Entscheidung des VIII. Senats ist im Kontext mit der Entscheidung des I. Senats vom 10.04.2019 (BFHE 265, 56) zur Einlagenrückgewähr einer Drittstaatenkapitalgesellschaft zu sehen. Soweit der I. Senat in dieser Entscheidung dem inländischen Anteilseigner einer Drittstaatenkapitalgesellschaft die Möglichkeit eines Nachweises einer Einlagenrückgewähr unabhängig von der Durchführung eines vorgeschalteten gesonderten Feststellungsverfahrens nach § 27 KStG eingeräumt hat, beruht dies nämlich darauf, dass das in § 27 Abs. 8 KStG geregelte Verfahren weder unmittelbar noch analog auf Drittstaatenkapitalgesellschaften anwendbar ist (vgl. BFH in BFHE 265, 56, Rn. 28).
Die Möglichkeit eines anderweitigen Nachweises einer Einlagenrückgewähr durch den Anteilseigner steht daher in einem solchen Fall – anders als im Fall einer EU-Kapitalgesellschaft – nicht in einem Konflikt mit § 27 Abs. 8 Satz 9 KStG, der aufgrund seiner Fiktionswirkung einen Nachweis außerhalb des gesonderten Feststellungsverfahrens der EU-Kapitalgesellschaft gerade ausschließt. Für die Entscheidung des VIII. Senats war deshalb auch maßgebend, dass die Zulassung eines vom Feststellungsverfahren losgelösten Nachweises einer Einlagenrückgewähr im Steuerfestsetzungsverfahren des Anteilseigners zu einer Ungleichbehandlung gegenüber dem Anteilseigner einer inländischen Kapitalgesellschaft geführt hätte, für die keine Rechtfertigungsgründe ersichtlich sind.