Zur Abgrenzung grenzüberschreitender und nationaler M&A-Transaktionen
Der Ausdruck „Global Mergers & Acquisitions“ ist doppeldeutig, denn gemeint sein können entweder alle weltweiten oder nur die grenzüberschreitenden M&A-Aktivitäten. Thomson Reuters und Mergermarket publizieren regelmäßig – nicht ganz übereinstimmende – Daten, die beides zueinander in Beziehung setzen. Thomson Reuters (Mergermarket) beziffert das weltweite M&A-Volumen für 2016 mit 3,7 (3,2) Billionen US-Dollar; davon seien 38,3 % (∼41 %) grenzüberschreitend. Dabei handelt es sich um angekündigte Transaktionen. In dem von der United Nations Conference on Trade and Development (UNCTAD) herausgegebenen „World Investment Report“ (aktuell: 2017) finden sich demgegenüber Daten zu den vollzogenen M&A-Transaktionen.
Man kann die Jahresdaten für die angekündigten und die vollzogenen (grenzüberschreitenden) M&A-Transaktionen nicht direkt miteinander vergleichen, weil das „Deal Closing“, wenn es denn zustande kommt, nicht im selben Jahr erfolgen muss. Über die Jahre hinweg ergibt sich aus dem Datenvergleich jedoch der Eindruck, dass die Rate der vollzogenen M&A-Transaktionen bei maximal 50 % liegen kann. Das ist aber ein deutlich niedrigerer Wert, als er sich sonst in verschiedenen Studien mit Angaben zu „Completion Rates“ findet (vgl. etwa Zhou et al. in Journal of International Business Studies, 2016).
Diese wenigen Hinweise sollen andeuten, dass es gar nicht so leicht ist, den Gegenstandsbereich sauber einzugrenzen. Vor allem dann, wenn man sich nicht mit M&A-Transaktionen im allgemeinen, sondern speziell mit grenzüberschreitenden M&A-Transaktionen auseinandersetzen und beispielsweise aufarbeiten möchte, welche Einsichten die theoretische und empirische Forschung hierzu anbietet.
Beachte | Das Eingrenzungsproblem hat nicht nur mit den zur Verfügung stehenden Daten zu tun, sondern es ist auch konzeptionell schwierig, grenzüberschreitende von „nur nationalen“ M&A-Transaktionen abzugrenzen.
Systematische Studien zu Unterschieden bei Transaktionen
Nur selten sind die Unterschiede Gegenstand systematischer Studien; meist wird nur implizit angenommen, dass es relevante Unterschiede gibt, zum Beispiel im Hinblick auf die höhere Komplexität, die regulatorischen Besonderheiten sowie die Probleme der „Liability of foreigness“ (Zaheer in Academy of Management Journal, 1995) oder der „Double-layered acculturation“ (Auftreten von unternehmens- und landesbezogenen Kulturunterschieden; Barkema et al. in Strategic Management Journal, 1996), die mit grenzüberschreitenden M&As verbunden sein können.
Explizit mit der Frage nach den Unterschieden setzt sich eine Bankenstudie von Calazza et al. (in Applied Financial Economics, 2014) auseinander. Sie zeigt, dass die Einflüsse auf die Wahrscheinlichkeit des Auftretens grenzüberschreitender gegenüber nationalen Transaktionen zwar eine unterschiedliche Größenordnung haben können, in der Regel aber das gleiche Vorzeichen aufweisen. Zu Letzterem jedoch mit einer Ausnahme, die etwas mit den Regulierungsbedingungen zu tun hat und sich im gegenläufigen Verhältnis der verweigerten Bankzulassungen für ausländische versus inländische Antragsteller niederschlägt.
Zwei ethnographische Studien von Reynolds und Teerikangas (in International Business Review, 2016) zeigen demgegenüber zum Beispiel für den Fall einer zunächst „nationalen“ Fusion zweier Hochschulen, dass auch diese getrieben wurde durch die Entwicklung der internationalen Hochschullandschaft und dem Anliegen, in dieser Landschaft als ernst zu nehmender Wettbewerber aufzutreten, dem es gelingt, auch aus dem Ausland Lehrkräfte anzuziehen, und der von den Arbeitsprozessen und den Publikationserwartungen an die Lehrkräfte gesehen sich an ausländischen Top-Universitäten misst.
Anand et al. (in Industrial and Corporate Change, 2005) schließlich argumentieren und belegen auch empirisch, dass augenscheinlich „nationale“ M&A-Transaktionen häufig ihren besonderen Wert dadurch erhalten, dass die Fusionspartner oder Zielunternehmen von Akquisitionen aufgrund der ihrerseits aufgebauten internationalen Netzwerkbeziehungen entscheidend zur Verbesserung des eigenen Fähigkeiten-Portfolios beitragen können.
Hinweis | Diese Befunde passen gut zu der einfachen Beobachtung, dass auch bei augenscheinlich nationalen Transaktionen das „Closing“ abhängig ist von der Zustimmung ausländischer Kartellbehörden. Im Zusammenhang mit der Fusion der beiden Unternehmen AT&T und Time Warner – dem größten „Global Deal“ des Jahres 2016 – wurde beispielsweise im August 2017 publik, dass schon die Zustimmung von 16 ausländischen Kartellbehörden eingeholt werden konnte.
Studien zu transnationalen M&A-Aktivitäten
Neben den genannten Studien, die die Unterschiedlichkeit nationaler versus grenzüberschreitender Transaktionen direkt thematisieren – und dabei aber gerade nicht zu eindeutigen Kriterien der Grenzziehung kommen –, existieren auch Studien, die allein auf transnationale M&A-Aktivitäten fokussieren. So haben Erel et al. (in Journal of Finance, 2012) auf der Grundlage eines Samples von ca. 57.000 Transaktionen in den Jahren 1990-2007 herausgefunden, dass die Wahrscheinlichkeit von M&A-Aktivitäten zwischen zwei Ländern steigt, wenn
- die geographische Distanz gering ist,
- es etablierte Handelsströme zwischen zwei Ländern (-> mehr Gemeinsamkeiten) gibt,
- es ein Qualitätsgefälle bei den Rechnungslegungs- und Governance-Strukturen gibt (und die Standards im Bieterland hoch sind),
- es ein Unternehmenssteuergefälle zwischen den Ländern gibt,
- es vorher eine relative Aufwertung der Heimatwährung des Bieterunternehmens gegeben hat,
- die relativen Unternehmensbewertungen an der Börse (auf nationaler und auf Firmenebene) sich vorher verbessert haben und
- es ein Markt-zu-Buchwert-Gefälle zwischen Bieter- und Zielunternehmen gibt.
Die genannten Bewertungsaspekte spielen dabei die relativ bedeutsamere Rolle. Wie verlässlich diese Ergebnisse sind, muss allerdings dahingestellt bleiben.
Um nur zwei Beispiele zu nehmen: Die Fokussierung auf die geographische Distanz ist recht eng; üblicher ist es, eingedenk des oben erwähnten doppelten Akkulturationsproblems, auf die „kulturelle“ Distanz abzustellen. Eine aktuelle Metastudie von Beugelsdijk (in Journal of Management, 2017) bestätigt zwar den insgesamt negativen und statistisch signifikanten Zusammenhang zwischen kultureller Distanz und der Wahrscheinlichkeit grenzüberschreitender M&A-Transaktionen, macht aber auch auf die Instabilität dieses Ergebnisses aufmerksam, wenn „kulturelle Distanz“ mit anderen, möglichweise besser geeigneten Messansätzen erfasst wird. Und: Francis et al. (Contemporary Accounting Research, 2016) argumentieren in plausibler Weise und zeigen auch empirisch, dass die Ähnlichkeit zwischen Rechnungslegungsvorschriften die Wahrscheinlichkeit von grenzüberschreitenden M&As erhöht; entsprechend sei auch positive Wirkung der IFRS-Einführung seit 2005 festzustellen.
Bedeutung der öffentlichen Meinung
Was bleibt, um die Besonderheiten grenzüberschreitender M&A-Transaktionen dingfest zu machen? Ein naheliegender Ansatz wäre noch, auf die besondere Bedeutung der öffentlichen Meinung und die sich darin ausdrückenden Legitimitätsaspekte hinzuweisen. In den späten 1960er Jahren hat Jean-Jaques Servan-Schreibers Buch über die „American Challenge“ – das Eindringen von US-Unternehmen nach Europa – viel Aufmerksamkeit gefunden; nach der Invasion japanischer Unternehmen in den 1980/90er Jahren in die USA und unter der heutigen Trump-Regierung mögen die Empfindlichkeiten in umgekehrter Richtung vorhanden sein; die Erleichterung von Bayer über die Zustimmung des „Commitee on Foreign Investments in the United States“ (CFIUS) zur Fusion mit Monsanto vor einigen Tagen mag daher sehr verständlich erscheinen.
Li et al. (Strategic Management Journal, 2017) haben gezeigt, dass in Fällen, in denen Bieter-Firmen sich im Staatseigentum befinden und daher zu besonderen Sicherheits- und Souveränitätsbedenken der Regierungsbehörden in den Zielländern führen könnten, in der Tat mit einem verzögerten Deal-Closing gerechnet werden muss; signifikante Unterschiede bei der Completion Rate gebe es allerdings nicht.
Quintessenz | Insgesamt also im Hinblick auf die Abgrenzung von grenzüberschreitenden von „nur nationalen“ M&A-Aktivitäten eine etwas diffuse Argumentationslage – aber viel Raum für weitere spannende Forschungen.