Die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Steuereinnahmen
Aufgrund der rapiden Alterung der Gesellschaft in den nächsten zwei Jahrzehnten wird sich das Markt- und Finanzumfeld auch für die Unternehmenslandschaft gravierend verändern. So stellt der demografische Wandel in Deutschland die öffentlichen Finanzen vor große Herausforderungen. Insbesondere der umlagefinanzierten Rentenversicherung droht eine Finanzierungslücke, wenn die Beitragszahler der geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand gehen und gleichzeitig die Zahl erwerbsfähiger Personen abnimmt. Laut Bevölkerungsprognose vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) wird der sog. Altenquotient – also das Verhältnis von Menschen im Rentenalter zur Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter – von 34 Prozent im Jahr 2016 auf knapp 53 Prozent im Jahr 2035 ansteigen. Das heißt, dass heute auf eine Person über 65 Jahre drei Personen im Erwerbsalter kommen, während im Jahr 2035 einer älteren Person nur noch zwei Erwerbspersonen gegenüberstehen.
Steuerliche Auswirkungen bis 2024
Während die Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Rentenkassen bereits intensiv in Wissenschaft und Politik diskutiert werden, werden die Auswirkungen auf die Steuereinnahmen bisher meist ausgeblendet. Diese werden aber umso wichtiger – nicht zuletzt, wenn in den Sozialkassen in Zukunft große Finanzierungslücken entstehen sollten.
Die IW-Studie „Die Wirkung des demografischen Wandels auf die Steuereinnahmen in Deutschland“ beschäftigt sich mit dieser Fragestellung für die wichtigste Steuerart gemessen am Aufkommen – der Einkommensteuer. Die Grundlage der Studie bilden Mikrodaten, die die Bevölkerung in Deutschland repräsentativ abbilden und in denen die Einkommen und viele soziodemografische Informationen der privaten Haushalte detailliert abgefragt werden. Mithilfe dieser Daten lassen sich die Einkommensteuerzahlungen der Haushalte im Status quo simulieren. Anschließend wird untersucht, wie die Alterung der Bevölkerung – entsprechend der Bevölkerungsprognose – auf das Aufkommen wirkt.
In der kurzen Frist bis zum Jahr 2024 sind noch keine Auswirkungen der Bevölkerungsalterung auf die Steuereinnahmen zu erwarten. Sofern der Arbeitsmarkt in Deutschland so robust bleibt, wie er sich derzeit zeigt, führt die hohe Zuwanderung auch zu mehr Erwerbstätigen. Dies gilt umso mehr, da unter den Menschen, die aufgrund der guten Jobperspektiven bewusst nach Deutschland kommen, viele gut ausgebildete und qualifizierte Menschen sind. Damit steigt die volkswirtschaftliche Lohnsumme als Bemessungsgrundlage für die Lohn- und Einkommensteuer. Als Konsequenz steigen kurzfristig auch die Steuereinnahmen. Zugleich erhöhen sich die aggregierten Renteneinkünfte, da es stetig mehr Rentner gibt.
Das Gesamtbild ändert sich mittelfristig gravierend
Das Bild ändert sich mittel- bis langfristig aber deutlich: Eine Fortschreibung der Bevölkerungsentwicklung zeigt einen Rückgang der jährlichen Lohn- und Einkommensteuer in den Jahren ab 2024. Hierbei kommt zum reinen Demografieeffekt auf die Steuereinnahmen, der sich nur aus der veränderten Bevölkerungsstruktur ergibt, noch der Effekt der nachgelagerten Besteuerung hinzu. Die nachgelagerte Besteuerung, die im Alterseinkünftegesetz von 2004 beschlossen wurde und bis zum Jahr 2040 in kleinen Schritten umgesetzt werden soll, sorgt im Kern dafür, dass Rentenbezüge Jahr für Jahr zu einem höheren Anteil besteuert werden. Wer dieses Jahr in Rente geht, muss zum Beispiel 76 Prozent der Rente versteuern, 24 Prozent sind steuerfrei. Allerdings müssen künftige Rentenerhöhungen voll versteuert werden. Rentner zahlen damit Stück für Stück mehr Steuern, allerdings werden die Rentenbeiträge der erwerbstätigen Bevölkerung ebenfalls zu einem höheren Anteil steuerfrei gestellt.
Beachte | Da der Steuersatz der Erwerbstätigen im Schnitt höher ist als der der Rentner, sorgt der Übergang zur nachgelagerten Besteuerung für Aufkommensausfälle.
Insgesamt liegt der kombinierte Effekt aus alternder Bevölkerung und nachgelagerter Rentenbesteuerung für das Jahr 2035 bei minus 18 Milliarden Euro oder knapp 7 Prozent pro Jahr im Vergleich zum Steueraufkommen des Jahres 2016. Dieser Wert basiert auf dem heutigen Preisniveau. Würde die Inflation berücksichtigt, wäre der Wert höher. Zudem sind im Jahr 2035 weder die nachgelagerte Besteuerung noch der demografische Wandel abgeschlossen und somit schreibt sich die Aufkommensentwicklung noch darüber hinaus weiter.
Weitere Steuerarten sind betroffen
Neben der Einkommensteuer gibt es freilich weitere Steuerarten, die nicht unbedingt im gleichen Ausmaß vom demografischen Wandel betroffen sein müssen. Eine Studie von Fraunhofer FIT und Prognos aus dem Jahr 2016 untersucht auch die Auswirkungen auf die Mehrwertsteuereinnahmen, die die zweitwichtigste Steuerquelle des Staates im Status quo sind. Im Ergebnis kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die isolierte Betrachtung der veränderten Bevölkerungsstruktur keinen großen messbaren Einfluss auf die Mehrwertsteuer hat – selbst bei einem Zeithorizont bis zum Jahr 2045. Berücksichtigt man jedoch auch den reduzierten Wachstumspfad der Konsumausgaben aufgrund der Alterung der Bevölkerung, so liegt das Aufkommen der Mehrwertsteuer in der optimistischsten Variante der Bevölkerungsvorausberechnung im Jahr 2030 immerhin 3 Prozent unter dem Szenario mit heutiger Demografie und im Jahr 2045 bereits 7 Prozent niedriger.
Fazit | Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass nicht nur die Finanzen der umlagefinanzierten Sozialversicherungen durch den demografischen Wandel unter Druck geraten, sondern auch das Aufkommen der wichtigsten beiden Steuerarten sinken wird. Das Ausmaß der Auswirkungen ist jedoch deutlich weniger ausgeprägt als zum Beispiel bei der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Ziel der Politik im Sinne der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sollte dennoch sein, die Erwerbstätigkeit der Bevölkerungsgruppen mit den größten Potenzialen zu erhöhen. Zu diesen Gruppen zählen vor allem Zuwanderer, Frauen und die ältere Bevölkerung.
Des Weiteren sollten auch die Staatsausgaben überprüft und demografiefest gemacht werden. Sparpotenziale im Sinne einer schlanken Verwaltung könnten durch die voranschreitende Digitalisierung realisiert werden. Auf der anderen Seite werden sich die infrastrukturellen Bedürfnisse einer älteren Bevölkerung wandeln. Das Aufkommen der Mehrwertsteuer wird aus demografischer Sicht in Zukunft tendenziell robuster sein als das der Einkommensteuer und könnte ein wichtigerer Pfeiler der Staatsfinanzen werden.
Vor dem Hintergrund dieses demografischen Umfelds werden auch neue Herausforderungen auf die Unternehmen zukommen. Neben einer höheren Abgabenbelastung zur Finanzierung der Sozialversicherungen drohen auch Engpässe bei Arbeits- und Fachkräften. Zudem sollten Unternehmen sich auf ein verändertes flexibleres Arbeitsumfeld einstellen, das zum Beispiel stärker als bisher auf verbesserte Rahmenbedingungen für eine höhere Erwerbspartizipation und einen umfangreicheren Arbeitseinsatz von älteren Menschen setzt.