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Gunther Schnabl

Euro – quo vadis? Haftungsunion oder Renaissance als Hartwährung?

Der Euro steht am Scheideweg. Zwar haben sich die Krisenländer stabilisiert, doch die Krise hat große Defizite offengelegt. Frankreichs Präsident Macron drängt deshalb die deutsche Kanzlerin zu einer schnellen Vertiefung der Währungsunion.

Die Schwachpunkte des Euro

Der Euro hat zwei Schwachpunkte. Erstens wurde eine gemeinsame Währung ohne gemeinsame Finanzpolitik geschaffen. Das ist kritisch, wenn die Konjunkturzyklen voneinander abweichen. Ist beispielsweise Deutschland im Boom und Italien in der Krise, dann kann die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins nur am Durchschnitt beider Länder ausrichten. Für Italien ist dann der Zins zu hoch, was die Krise verstärkt. Für Deutschland ist der Zins zu tief, was zu einer Überhitzung beiträgt. Die Konjunkturen im gemeinsamen Währungsraum verlaufen bereits seit dessen Gründung asynchron. Von 2001 bis 2007 florierte der Süden und der Norden stagnierte; seit 2008 ist es umgekehrt.

Zweitens wurde die Europäische Zentralbank zwar nach dem Modell der Deutschen Bundesbank gestaltet, doch trägt die Geldpolitik zunehmend die Züge der Banca d’Italia vor Eintritt in die Währungsunion. Die EZB hat den Zins jeher zu tief und zuletzt dauernd auf null gesetzt. Seit 2015 dienen umfangreiche Ankäufe von Staats- und Unternehmensanleihen (2600 Mrd. Euro) vornehmlich der Finanzierung überschuldeter Krisenstaaten. Weil die Geldpolitik nicht auf die Konsumenten- sondern die Vermögenspreise wirkt, kann sie ausgesprochen locker sein. Auch deshalb haben in Südeuropa platzende Immobilien- und Aktienblasen seit 2008 den ganzen Euroraum in die Krise gezogen.

Gemeinsames Eurobudget und Arbeitslosenversicherung

Ein gemeinsames Eurobudget und eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung könnten die ungleichen Risiken ausgleichen: Das krisengebeutelte Italien würde weniger Steuern nach Brüssel zahlen und mehr Auszahlungen aus einer europäischen Arbeitslosenversicherung erhalten. Das boomende Deutschland würde mehr Steuern zahlen und die Arbeitslosenversicherung weniger beanspruchen. Wenn sich die Konjunkturzyklen in die jeweils andere Richtung drehen, würden die Risiken in die andere Richtung geteilt.

Allerdings ist der diskutierte Rahmen des gemeinsamen Budgets mit 25 Mrd. Euro viel zu klein. In Deutschland nimmt der Bundeshaushalt mit 348 Mrd. Euro ca. 10% des Bruttoinlandsprodukts ein. Das würde für den Euroraum einem Volumen von 1200 Mrd. (statt 25 Mrd.) Euro entsprechen. Zudem gibt es keine europäische Arbeitslosenversicherung. Darüber hinaus könnten sich die Strukturprobleme in den Eurosüdländern verstetigen, sodass auf Dauer Geld von Nord nach Süd fließen muss. Seit Ausbruch der Krise wurden schätzungsweise mindestens 2000 Mrd. Euro durch ein undurchsichtiges Netz von Rettungsmechanismen vornehmlich in den Süden transferiert.

Beachte | Schreibt man dieses Transfervolumen fort, müsste der Norden pro Jahr mind. 200 Mrd. Euro aufbringen.

Da dies über höhere Steuerlasten politisch schwer durchzusetzen ist, ist die Finanzierung der Transfers über die Europäische Zentralbank wahrscheinlich. Die damit verbundene langfristig lockere Geldpolitik dürfte zu neuen Verwerfungen auf den Finanzmärkten führen. Es könnten neue Blasen platzen, was auch eine weiter steigende Staatsverschuldung nach sich ziehen würde. Zudem würden immer mehr Banken in Schieflage geraten, weil die ultra-lockere Geldpolitik die Margen im traditionellen Bankgeschäft erodiert (siehe Herok, David / Schnabl, Gunther (2018): Europäische Geldpolitik und Zombifizierung: Wie Wachstum verhindert und Wohlstand zerstört wird. Austrian Institute Paper 21 / 2018.)

Vergemeinschaftung von Risiken

Die Macron-Vorschläge sehen deshalb vor, dass der europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) mit einem Umfang von 500 Mrd. Euro in Zukunft auch Sicherungsmechanismus für den Einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus (55 Mrd. Euro) ist. Der ESM soll zu einem Europäischen Währungsfonds werden, der nicht mehr der Kontrolle der nationalen Parlamente unterliegt. Die sehr unterschiedlich aufgefüllten nationalen Einlagensicherungssysteme sollen vergemeinschaftet werden. Die Krisenländer sollen zusätzlich zu dem schon geschaffenen „Juncker-Fonds“ (EFSI: 500 Mrd. Euro), dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (35 Mrd. pro Jahr) und den divergierenden Salden des Interbankenzahlungssystems TARGET (derzeit ca. 1400 Mrd. Euro) weitere Hilfs- und Belohnungsfonds für Investitionen und Reformen erhalten.

Durch die daraus resultierende Vergemeinschaftung von Risiken in einer Haftungsunion könnten in ganz Europa überbordende Staatsausgaben weitergeführt werden. Die Bereinigung der notleidenden Kredite der Banken würden weiter verschleppt und unwirtschaftliche Unternehmen würden am Leben erhalten. Im Ergebnis würde das Wachstum auf Dauer gelähmt. Die negativen Auswirkungen auf die Löhne würden Europa weiter politisch destabilisieren. Schon jetzt haben sich im Durchschnitt der EU 28 24% der Wähler extremen, Europa kritischen Parteien zugewandt.

Lösungsansatz | In Anbetracht der Risiken ist es deshalb dringend geboten, die Transferkanäle innerhalb der Europäischen Währungsunion zu schließen und die Geldpolitik stabilitätsorientiert neu auszurichten. Denkbar wäre, dass die Nordländer den Südländern die Verbindlichkeiten stunden. Die Rückzahlung ist ohnehin unrealistisch. Die Südländer müssten im Gegenzug zustimmen, dass in Zukunft Staatsanleihekäufe der EZB ausgeschlossen sind und die TARGET-Salden regelmäßig ausgeglichen werden. Im EZB-Rat sollten Haftung und Stimmrechte zusammenfallen. Alle bisher geschaffenen Rettungs- und Investitionstöpfe sollten sukzessive geschlossen werden.

Da so alle Staaten, Banken und Unternehmen zu Reformen gezwungen würden, würde der Druck von der EZB genommen, alle Risiken und Reformversäumnisse mit der Notenpresse aufzufangen. Die Wahrscheinlichkeit und Dimension von Finanzmarktblasen und –krisen würde drastisch reduziert. Statt einer Haftungsunion käme es zu einer Renaissance des Euro als Hartwährung, die mit mehr Wachstum einhergehen würde. Mit steigenden Produktivitätsgewinnen könnten die Löhne wieder steigen, was den alten Kontinent politisch stabilisieren würde. Ein stabiler Euro würde zu dem europäischen Wohlstandssymbol, wie es einmal die Mark für Deutschland war.