Global Mergers & Transactions Globalisierung
Henning Vöpel

Krise der Globalisierung: Rückkehr oder Überwindung von Grenzen

Mit dem Ende des Kalten Krieges 1989/90 schien zugleich das „Ende der Geschichte“ erreicht, wie es damals der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama proklamierte. Und tatsächlich begann das Zeitalter einer sich beschleunigenden Globalisierung: Globale Märkte erlangten Dominanz über national verfasste Staaten. Die Liberalisierung des Handels, die grenzüberschreitende Mobilität des Kapitals und die Integration insbesondere Chinas haben die ökonomische Statik der Weltwirtschaft und vor allem der westlichen Gesellschaften und Demokratien erheblich beeinflusst.

Während global betrachtet viele Schwellenländer von offenen Märkten profitiert haben, indem dort eine arbeitende Mittelschicht entstanden ist, wurde die Einkommens- und Vermögensverteilung hier ungleichmäßiger. Gerade ländliche Regionen mit vernachlässigten Bildungsinvestitionen gehören heute zu den relativen Globalisierungsverlierern. Während der mobile Faktor Kapital von offenen Märkten profitierte und sich umworben von Steueranreizen und Standortbedingungen seine höchste Rendite suchte, musste sich der immobile Faktor Arbeit dem zunehmenden Wettbewerbsdruck aus den Schwellenländern beugen.

Neue Phase der Globalisierung

Mit dem Jahr 2016 drehte sich politisch der Wind scheinbar aus heiterem Himmel, aber im Lichte heutiger Erkenntnis doch als Konsequenz einer sich länger abzeichnenden Entwicklung. Mit dem Brexit-Votum und der Wahl Trumps folgten zwei Ereignisse kurz aufeinander, die ohne Zweifel ihren Eintrag in die Geschichtsbücher finden und wohl als Beginn einer neuen Phase der Globalisierung interpretiert werden können, als ein Paradigmenwechsel, denn die Idee der Globalisierung wird fortan eine andere sein und sein müssen.

Die Sicht auf Freihandel und Globalisierung hat sich gewandelt. Mittlerweile wird auch unter Ökonomen, im Mainstream typischerweise den offenen globalen Märkten zugeneigt, viel stärker betont, dass es einer gestaltenden nationalen Wirtschaftspolitik bedarf, die versucht, die Vorteile offener globaler Märkte zum ökonomischen Wohle und zur sozialen Stabilität von Gesellschaften zu nutzen. Einer der maßgeblichen Protagonisten dieser Sicht ist der Ökonom Dani Rodrik, der die tiefer liegenden Ursachen der Globalisierungskrise in einem Trilemma aus Globalisierung, Nationalstaat und Demokratie sieht. Alles drei sei in der reinen Form nicht gleichzeitig zu haben, sodass man jeweils Einschränkungen machen müsse. Die einseitige Betonung der Globalisierung in der Vergangenheit habe zu gesellschaftlichen Spannungen und sogar zu institutionellen Widersprüchen mit Bezug auf Nationalstaat und Demokratie geführt. Letztlich sei auch der aufkeimende Populismus, so Rodrik, eine Folge dieser Unwucht.

Beachte | Eine unmittelbare Gefahr kann vor diesem Hintergrund sein, dass Autokratien in gestärkten Nationalstaaten gegenüber offenen Demokratien wieder an Zulauf gewinnen.

Historische Paradigmenwechsel

Das Trilemma lässt sich, deshalb heißt es so, nicht wirklich lösen, sondern nur neu austarieren. Solange Demokratie nicht auf supranationaler Ebene zu organisieren ist, muss der Nationalstaat gegenüber globalen Märkten wieder mehr „Souveränität“ bekommen. Übersetzt heißt dies, der Globalisierung Grenzen zu setzen. Grenzen können positiv gewendet helfen, Komplexität und Konflikte auf beherrschbare Dimension zu reduzieren. Auf welche Weise dies geschieht, ist von großer Bedeutung, denn der Übergang ist ein kritischer, wie die Geschichte zeigt.

Vor rund hundert Jahren wählte die Welt nach der ersten Welle der Globalisierung den verhängnisvollen Weg in Nationalismus und Protektionismus. Und auch heute, da wir uns an einem ähnlichen Punkt befinden, ist der Unterschied zwischen Konfrontation und Kooperation ein sehr schmaler Grat, wie die aktuellen geopolitischen Verwerfungen zeigen. Sie markieren zugleich das Ende der Nachkriegsordnung, die seit dem Ende des Kalten Krieges noch mehr als zwanzig Jahre bestand, aber nun an ihren Widersprüchen zugrunde geht. Denn die nächste Weltordnung ist eine multipolare und benötigt andere Institutionen, um Interessen auszugleichen, Konflikte zu lösen und Kooperation zu ermöglichen.

Wesentliche Protagonisten hierbei sind die USA, die die alte Ordnung dominerten, und China, das nach hundertfünfzig Jahren verpasster Industrialisierung auf dem Sprung zurück an die Spitze steht. Wie es scheint, versucht Donald Trump den Einfluss der USA durch eine Strategie der Vereinzelung in die nächste Welt-(Wirtschafts-)Ordnung zu retten, während China in diesem Spiel um die nächste globale Vorherrschaft strategisch seinen Einfluss ausdehnt. Es ist eine historische Tragödie, dass ausgerechnet jetzt Europa nicht dazu in der Lage ist, seinen Einfluss und seine Werte einzubringen. Zu sehr ist Europa mit sich selbst beschäftigt und es ist nicht zu erwarten, dass sich das auf absehbare Zeit ändert. Zu tief sind die Probleme, als dass sie schnell gelöst werden könnten. Die Ökonomen Jean-Pierre Landau, Markus Brunnermeier und Herold James sprechen sogar von einem Rhine Divide, von einem „philosophischen“ Graben zwischen Deutschland und Frankreich, der eine schnelle Einigung auf eine fiskalpolitische Reform der Eurozone unmöglich mache.

Der Erhalt der internationalen Kooperationsfähigkeit ist angesichts nur global zu lösender Probleme, wie des Klimawandels, der Migration oder der Finanzstabilität außerordentlich wichtig. Hinzu kommt die Digitalisierung, die das Industriezeitalter ablösen wird. Dies ist – eher historische Koinzidenz – neben der Ablösung der Nachkriegsordnung der zweite Paradigmenwechsel unserer Zeit. Gerade die Themen Artificial Intelligence und Big Data werden zu einem geopolitischen Machtfaktor und womöglich eine ethische und rechtlich-regulatorische Divergenz zwischen Demokratien und Autokratien auslösen.

Resümee | Die dialektische Entwicklung der Welt in der Geschichte hat mitnichten ihr Ende gefunden, sondern geht mit diesen beiden einschneidenden Umbrüchen, der Auflösung der Nachkriegsordnung und der Ablösung des Industriezeitalters, weiter. Solche Übergänge waren immer sehr kritische, denn das Unverständnis der Gegenwart löst Unsicherheit und Angst aus, dem Nährboden für Populismus und Abschottung, den zwei gefährlichen Phänomenen unserer Zeit.