Global Mergers & Transactions Europäische Union

Stellt Wilders eine Bedrohung für Europa dar?

In den Niederlanden führten die Wahlen vom 22. November 2023 zu einem für viele im In- und Ausland unerwarteten Ergebnis. Die Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders, die von vielen als rechtsextrem angesehen wird, gewann die Wahlen mit fast 25 v.H. der Stimmen. Sie verfügt nun über 37 der 150 Sitze im Unterhaus und ist damit die mit Abstand größte Partei. Dies ist eine faustdicke Überraschung, da die PVV in den letzten Jahren auf dem Rückzug zu sein schien. In diesem Beitrag konzentriere ich mich auf die Frage, ob das Ergebnis der PVV die Europäische Union in ihrer Funktionsweise gefährden könnte.

Die PVV und ihre Positionen

Das erste, was an der PVV auffällt, ist, dass sie eine Vereinigung mit nur einem Mitglied ist, nämlich Geert Wilders. Sie hat keine lokalen Zweigstellen. Folglich hat Wilders die gesamte Macht in der Partei inne. Nur er entscheidet über den Kurs, das Wahlprogramm und die Kandidatenlisten bei nationalen und provinziellen Wahlen. Bei der Ernennung von Ministern und Provinzgouverneuren im Namen seiner Partei entscheiden zwar formal die Fraktionen der PVV in der Abgeordnetenkammer und in den Provinzräten, faktisch hat Wilders jedoch entscheidenden Einfluss.

Die PVV wird in den Niederlanden gewöhnlich als nationalistische Anti-Islam-Partei charakterisiert. Sie propagiert seit vielen Jahren, dass der Zustrom von Asylbewerbern, insbesondere aus islamischen Ländern, reduziert und möglichst beendet werden sollte. In ihrem jüngsten Wahlprogramm fordert sie einen Asylstopp und die Aufkündigung der UN-Flüchtlingskonvention; außerdem wendet sie sich gegen islamische Schulen, Moscheen und den Koran.

Darüber hinaus will die PVV unter anderem die Entwicklungshilfe beenden und lehnt die Hilfe für die Ukraine ab; sie fordert auch ein verbindliches Referendum über den Austritt aus der Europäischen Union und die Verlegung der niederländischen Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem. Es gebe keine Klimakrise, so Wilders, und alle entsprechenden Maßnahmen sollten zurückgenommen werden. Schließlich hat sich Wilders auch als Putin-Fan zu erkennen gegeben.

Die Bildung einer neuen Regierung

Derzeit wird die Möglichkeit einer Mitte-Rechts-Regierung der PVV mit drei anderen Parteien geprüft, nämlich der liberalen Partei für Freiheit und Demokratie (VVD), der Partei des Neuen Gesellschaftsvertrags (NSC) und der Bauernpartei (BBB). Zusammen verfügen diese Parteien über eine komfortable Mehrheit von 88 Sitzen in der Abgeordnetenkammer. Übrigens gibt es auch prinzipielle Möglichkeiten für die Bildung einer Mitte-Links-Koalition, die jedoch mindestens fünf Parteien umfassen müsste. Bei den drei potenziellen Koalitionspartnern der PVV gibt es Vorbehalte, die vor allem mit Positionen der PVV zusammenhängen, die mit der Verfassung, Verträgen und (anderen) Grundrechten in Konflikt stehen. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Blogs läuft daher eine Zwischenphase der Koalitionsgespräche, um diese Probleme zu ermitteln und zu prüfen, ob sich die Parteien in dieser Frage annähern können.

Die vorherrschende Meinung im Lande ist, dass die Regierungsbildung in jedem Fall einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Aber auch ein Ausstieg aus der Koalition, die derzeit geprüft wird, ist eine Möglichkeit. Eine grundsätzliche Entscheidung darüber würde Anfang Februar fallen.

Zumindest vorläufig scheint die Möglichkeit einer Regierung Wilder nicht vom Tisch zu sein. Damit besteht auch die Möglichkeit eines Erstarkens der rechtspopulistischen Parteien in Europa, möglicherweise mit einer Wilders-Orban-Achse. Allein die mögliche Konsequenz, dass die Niederlande, ein Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft und traditionell einer ihrer stärksten Befürworter, einen eindeutig antieuropäischen Ministerpräsidenten bekommen würden, würde anderen europaskeptischen Parteien in der Union Mut machen.

Unterstützung für die PVV in der niederländischen Bevölkerung

Viele Aspekte sind natürlich wichtig, um die Lage in der niederländischen Politik zu beurteilen. Ich möchte hier nur einige davon nennen.

Bis einige Wochen vor den Wahlen deuteten die Umfragen keineswegs darauf hin, dass die PVV die größte Partei werden könnte. Man sollte auch nicht vergessen, dass bei den letzten fünf (nationalen und europäischen) Wahlen fünf verschiedene Parteien die größte Partei wurden. Der niederländische Wähler ist also im Moment sehr unsicher. Warum ist das so?

Im Land herrscht Unzufriedenheit über die Entschlossenheit der Regierung, d.h. über die Entschlossenheit des VVD-Vorsitzenden Rutte, der nun zurückgetreten ist. Die Unzufriedenheit konzentriert sich auf mehrere Themen. Es gab zwei große Skandale, bei denen die Regierung versagt hat. Dabei ging es um die schlechte Behandlung vieler Menschen, die Zuschüsse für die Kinderbetreuung beantragt hatten, und um das Untätigbleiben bei der Erdgasförderung in der Provinz Groningen, die Erdbeben verursachte, die jahrelang sehr viele Häuser beschädigten. Außerdem stellte sich heraus, dass die Niederlande zu viel Stickstoff produzieren, so dass drastische Maßnahmen gegen diese Emissionen ergriffen werden mussten. Diese Maßnahmen behinderten zahlreiche Bauprojekte und führten zu einer Stagnation der Wirtschaft, insbesondere aber des Wohnungsbaus. Dieser leidet bereits seit Jahren unter einer unzureichenden Politik, so dass jetzt rund 1 Million Wohnungen fehlen. Erschwerend kommt hinzu, dass Wohnraum für Asylbewerber und Flüchtlinge aus der Ukraine benötigt wird.

Darauf hat die PVV politisch reagiert. Die Niederlande sollten sich zunächst um ihre Einwohner kümmern, die jetzt kein Dach über dem Kopf haben, und das Geld nicht für „linke Hobbys“ wie Klimakrise, Bekämpfung des Stickstoffproblems, Aufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen, den Krieg in der Ukraine und die Europäische Union ausgeben.

Insbesondere das Trio aus Klimakrise, Wohnungsnot und Einwanderung bildet einen politisch giftigen Cocktail. Viele machen dafür die Parteien der Mitte verantwortlich. Es ist bekannt, dass einige Minister eine schwache Politik betrieben haben, und Wilders vertritt starke Positionen, die den Wählern Hoffnung auf Besserung machen.

Wählerumfragen deuten darauf hin, dass diese Themen ein wichtiger Faktor bei den Wahlen 2023 waren. Es gibt auch eine ziemlich allgemeine Schlussfolgerung, dass bei weitem nicht alle, die für die PVV gestimmt haben, ihr Programm in allen Punkten unterstützen. Viele der Ansichten der Partei werden auch von den drei potenziellen Koalitionspartnern nicht geteilt. Das Programm und die Politik einer von der PVV geführten Regierung können dies normalerweise nicht ignorieren.

Risiken für ein antieuropäisches Regierungsabkommen

Ist es wahrscheinlich, dass eine Wilder-Regierung gebildet wird und dass sie die Niederlande aus der Europäischen Union und aus dem Bündnis zur Unterstützung der Ukraine herausführt?

Umfragen haben gezeigt, dass die PVV nicht wegen dieser Ansichten die größte Partei im Parlament geworden ist. Es ist auch erwiesen, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung gegen einen Austritt aus der Europäischen Union ist und die derzeitige Politik gegenüber der Ukraine unterstützt. Auch die Positionen, die die PVV in ihrem Programm vertritt, sind etwas überraschend.

Nach der enttäuschenden Brexit-Erfahrung für das Vereinigte Königreich war die Begeisterung für einen Nexit bei einigen Parteien stark zurückgegangen. Ein Austritt der Niederlande wird weithin als nicht im wirtschaftlichen Interesse des Landes liegend angesehen. Das Gleiche gilt für die Unterstützung der Ukraine bei der Verteidigung gegen eine russische Invasion. Die vorherrschende Meinung ist, dass es im Interesse Europas und der Niederlande ist, den Aggressor so früh wie möglich durch eine gemeinsame Anstrengung der EU-Mitgliedstaaten und anderer zu stoppen.

Außerdem ist ein verbindliches Referendum über einen „Nexit“ vorerst nicht möglich, da dafür eine Verfassungsänderung erforderlich ist. Das Gesetz sieht dafür ein doppeltes Verfahren vor, das leicht 10 Jahre dauert und eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erfordert. Frühere Initiativen in dieser Richtung sind daher gescheitert.

Ausgehend von dieser Analyse könnten die Folgen für die europäische Zusammenarbeit also nicht allzu schlimm sein. Sowohl die vorgesehenen Koalitionspartner als auch die meisten anderen Parteien im Parlament und die Mehrheit der niederländischen Bevölkerung unterstützen die europaskeptischen Ansichten der PVV nicht. Es ist daher vorerst nicht zu erwarten, dass sie in ein Regierungsprogramm aufgenommen werden.

Vielleicht wird Wilders dem Weg von Giorgia Meloni folgen. Nach dem Sieg ihrer Partei Fratelli d’Italia befürchteten viele eine starke antieuropäische Politik Italiens, aber in der Praxis zeigt sie eine rundum kooperative Haltung.

Zum Schluss | Der Kampf um die Bildung einer neuen niederländischen Regierung ist noch nicht vorbei. Eine große Verantwortung ruht nun auf den Schultern der drei vorgesehenen Koalitionspartner VVD, NSC und BBB. Können sie dem sehr erfahrenen Politiker und scharfen Debattierer Wilders die Stirn bieten? Sind sie wirklich in der Lage, ‚Nein‘ zu einer von ihnen gewünschten Rechtskoalition zu sagen, wenn diese die Grundrechte missachten und die Interessen Europas und der Niederlande in einem sehr kritischen Moment der Geschichte gefährden würde?

Der Autor ist Steueranwalt bei Van den Boomen Advocaten in Waalre/Eindhoven. Zuvor war er Generalanwalt am Obersten Gerichtshof der Niederlande und Professor für Steuerrecht in Maastricht und Nijmegen.