„Tougher times“ für M&A? – Grenzüberschreitende Investitionen im geopolitischen Visier
Die geopolitische Neuorientierung der EU-Handelspolitik macht vor dem freien Kapitalverkehr mit Drittstaaten keinen Halt. Vor dem Hintergrund von Investment Screenings und der Abwehr drittstaatlicher Subventionen unterliegen grenzüberschreitende Investitionen vermehrt Rechtfertigungsdruck. Dies erschwert die M&A-Praxis einerseits, macht den Binnenmarkt jedoch im richtigen Maß auch resilienter – in jedem Fall „tougher“.
„Der deutsche Markt für Fusionen und Übernahmen hat im vergangenen Jahr so viele Transaktionen hervorgebracht wie selten. Aktiver waren nur das vorangegangene Jahr 2021 und die Zeit nach der Wiedervereinigung“, meldet die FAZ am 05.01.2023. Dies spiegelt jedoch nur eine Seite der Medaille wider. Auf der anderen Seite wächst die Sorge über geopolitische Abhängigkeiten, die Resilienz von Lieferketten und kritische Technologietransfers nach China. Dahinter steht die noch grundlegendere dual transformation der Wirtschaft: Dekarbonisierung und Digitalisierung. Wie dabei mit Staaten umzugehen (und zu wirtschaften) ist, die unsere Werte, unsere Demokratie und unsere Selbstbestimmung bedrohen, wird politisch neu ausgehandelt.
Nun spricht die Europäische Union eine neue, geopolitische Sprache. Im Streben nach „offener strategischer Autonomie“ geraten grenzüberschreitende Investitionen zunehmend in das Schlaglicht europäischer Regulierung. Nachdem 2019 mit der VO (EU) 2019/452 ein Rahmen geschaffen wurde, in dem die EU-Mitgliedstaaten ausländische Direktinvestitionen zum Schutz ihrer Sicherheit oder öffentlichen Ordnung kontrollieren können (hierzu Herrmann/Ellemann, TLE-017-2019), trat am 12. Januar 2023 schließlich die VO (EU) 2022/2560 über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen in Kraft (hierzu Herrmann/Miller, TLE-023-2021). Diese Verordnung bildete aber nicht den Schlusspunkt. Vielmehr hat die Europäische Kommission in ihrem Arbeitsprogramm für 2023 bereits angedeutet, neben einer allgemeinen Überprüfung der EU-Investment-Screening-Verordnung nunmehr auch Möglichkeiten zu prüfen, wie aus der Union heraus in Drittstaaten fließende Investitionsströme strategisch kontrolliert werden können (sog. „outbound Investment Screening“, hierzu Herrmann/Ellemann, VerfBlog, 2022/11/29).
Beachte | All dies könnte grenzüberschreitende M&A-Aktivität „tougher“ machen. Ob „tough“ aber im Sinne der Wörterbuchdefinition „difficult to accomplish“ bedeuten wird, oder im Sinne der anderen „capable of enduring strain“, soll dieser Beitrag skizzieren.
Inbound Investment Screening: difficult to accomplish
18 der 27 EU-Mitgliedstaaten haben mittlerweile einen Überprüfungsmechanismus für ausländische Direktinvestitionen eingeführt und in fünf weiteren laufen bereits Konsultations- oder Gesetzgebungsverfahren für solche Mechanismen. Diese sammeln keineswegs auf den Behördenregalen Staub. Vielmehr wurden der Kommission im letzten Berichtszeitraum für das Jahr 2021 414 Überprüfungsmaßnahmen von den Mitgliedstaaten gemeldet. Auch wenn prozentual die meisten davon in die Bereiche der Informations- und Kommunikationstechnologie fielen, hat spätestens der politische Streit um die Beteiligung der chinesischen Reederei COSCO an einem Terminal des Hamburger Hafens das Investment Screening auch in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt (dazu auch Herrmann, VerfBlog, 2022/10/25). Mit den Untersagungen der geplanten Übernahmen von Heyer Medical und Elmos durch chinesische Investoren aktivierte die Bundesregierung nun auch in zwei Fällen ihr Investment Screening – beide Untersagungen sind vor dem VG Berlin anhängig.
Zur Erinnerung: Am 19. März 2019 erließ die EU die VO (EU) 2019/452 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union. Nach deren Art. 3 Abs. 1 „können“ die Mitgliedstaaten aus Gründen der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung Mechanismen zur Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen einrichten, sie müssen es aber nicht. Damit delegierte die Verordnung die ausschließliche Unionszuständigkeit für die Kontrolle von „ausländischen Direktinvestitionen“ (Art. 3 Abs. 1 lit. e), 207 Abs. 1 AEUV) zurück an die Mitgliedstaaten, deren teilweise bereits zuvor geschaffenen Screening-Mechanismen somit ein unionsrechtlich sicheres Fundament bekamen.
Die Bundesrepublik machte hiervon in der Zwischenzeit rege Gebrauch. In nunmehr neun Änderungsverordnungen bzw. -gesetzen zur Außenwirtschaftsverordnung (AWV) seit Erlass der EU-Investment-Screening-VO wurden die maßgeblichen §§ 55 ff. AWV mehrfach angepasst. Auch das zugrundeliegende Außenwirtschaftsgesetz (AWG) wurde 2020 reformiert. Erstmalig werden neben der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik auch die der anderen EU-Mitgliedstaaten (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 AWG) berücksichtigt sowie in Bezug auf Projekte oder Programme von Unionsinteresse (§ 4 Abs. 1 Nr. 4a AWG).
Der 2021 neu eingefügte § 55a AWV listet nun ein breites Spektrum von 27 Sektoren auf, die in den Anwendungsbereich der sektorübergreifenden Prüfung fallen. Neben kritischer Infrastruktur, Telekommunikation und künstlicher Intelligenz stehen hier seit der Covid-19-Pandemie auch medizinische Produkte und persönliche Schutzausrüstung im Fokus. Ebenso justiert wurden die Faktoren, die eine Investitionskontrolle auslösen, insbesondere die Schwellenwerte von Stimmrechtsanteilen bei Unternehmensbeteiligungen (zwischen 10 und 25 Prozent bei der sektorübergreifenden Kontrolle, je nach konkretem Sektor, § 56 Abs. 1 AWV; 10 Prozent bei der sektorspezifischen Kontrolle, § 60a AWV), atypische Kontrollerwerbe, Asset Deals und konzerninterne Restrukturierungsmaßnahmen (vgl. auch von Brevern, NZKart 2021, 530).
So wurden aus den 160 nationalen Prüfverfahren im Jahr 2020 bereits im Folgejahr 306. Zwar bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die höhere Kontrolldichte automatisch zu einer höheren Zahl von Untersagungen führt (Barth/Käser, NZG 2021, 813). Gleichwohl gewinnt damit die in ihrer Komplexität und Reichweite gewachsene Investitionskontrolle für grenzüberschreitende M&A-Transaktionen stetig an Bedeutung. Auch wenn die wiederholten Nachschärfungen der AWV in vielerlei Hinsicht die Rechtssicherheit der ansonsten sehr unbestimmten Rechtsbegriffe erhöhten, bleiben andere praxisrelevante Tatbestände vage und damit bei M&A-Transaktionen schwer einschätzbar (Lippert, BB 2021, 1289). Hinzu kommt, dass die großen Spielräume in der EU-Investment-Screening-VO zu einem Flickenteppich nationaler Investitionskontrollmechanismen führten, die sich sowohl materiell als auch in ihren Verfahren teilweise signifikant unterscheiden (dieser Aspekt wurde zuletzt auch von der OECD kritisiert). Dadurch wird die Koordination von größeren Unternehmensakquisitionen in mehreren Mitgliedstaaten nochmals komplizierter.
In ihrer aktuellen Form (die aufgrund der schnelllebigen Entwicklungen sicher nicht die finale sein wird) macht das klassische inbound Investment Screening in der Union M&A-Transaktionen damit vor allem „tougher“ im Sinne von „difficult to accomplish“.
Den Binnenmarkt verzerrende Drittstaatssubventionen: capable of enduring strain
Die VO (EU) 2022/2560 (engl. „Foreign Subsidies Regulation“ = FSR) soll ab dem 1. Juli 2023 für gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt sorgen, indem Verzerrungen durch drittstaatliche Subventionen angegangen werden. Die Schieflage des „level playing fields“ entsteht dadurch, dass Unionsunternehmen dem EU-Beihilfenrecht nach Art. 107 ff. AEUV unterliegen und im Binnenmarkt mit Unternehmen konkurrieren, die von Drittstaaten Zuwendungen erhalten, auf die diese Regeln nicht anwendbar sind. Die Europäische Kommission (nicht die Mitgliedstaaten wie bei inbound Investment Screening) ist mit drei Instrumenten ausgestattet, um gegen solche Drittstaatssubventionen Abhilfe zu schaffen (ausführlich Herrmann/Miller, TLE-023-2021).
Für grenzüberschreitende M&A-Transaktionen ist das zweite Instrument von zentraler Bedeutung (Art. 19 ff. FSR): Erhält der gemeinschaftsfremde Erwerber eines EU-Unternehmens in den drei Jahren vor dem M&A-Vorgang „finanzielle Zuwendungen“ von mehr als 50 Mio. EUR aus einem Drittstaat (Art. 20 Abs. 3 FSR), so kann die Europäische Kommission eine eingehende Prüfung des geplanten Zusammenschlusses initiieren. In der Folge kann die Kommission Abhilfemaßnahmen auferlegen, Verpflichtungszusagen des Unternehmens annehmen, aber auch den Zusammenschluss gänzlich untersagen. Währenddessen gilt ein weitgehendes Vollzugsverbot (Art. 24 Abs. 1 FSR).
In vielen Punkten läuft die FSR parallel zur bekannten Fusionskontrolle. Insbesondere die (weitgehende) zeitliche Parallelität der Verfahren dürfte die Bewältigung geplanter M&A-Transaktionen erleichtern. Darüber hinaus veröffentlichte die Kommission zuletzt den Entwurf einer FSR-Durchführungsverordnung, die für das zweite Quartal 2023 geplant ist (und für die die Frist für Stellungsnahmen noch bis zum 6. März 2023 läuft). Die Durchführungsverordnung soll Details zu den geplanten Verfahrensabläufen für die Zusammenschlusskontrolle festlegen (Annex I). Zwar bestätigt der Entwurf die Sorgen um einen erheblichen zusätzlichen Verwaltungsaufwand für die Unternehmen bei M&A-Geschäften. Er legt aber ebenso de minimis-Schwellenwerte fest, gibt standardisierte Anmeldeformulare vor und regt die Beteiligten dazu an, vor der Anmeldung mit der Kommission Kontakt aufzunehmen, ähnlich wie im Rahmen der Fusionskontrolle. Mit alledem erscheint die Vorstellung der Kommission plausibler, dass statt einer „Anmeldungsflut“ (Zöttl/Werner, NZKart 2022, 475) jährlich nur etwa 30 angemeldete Fälle subventionierter Zusammenschlüsse erwartet werden. Damit ist zwar die Belastung für Unternehmen durch die FSR weiterhin nicht zu unterschätzen, sie macht aber insgesamt den Wettbewerb auf dem Binnenmarkt womöglich tatsächlich ausgeglichener, und damit „tough“ im Sinne von „capable of enduring strain“.
Outbound Investment Screening: difficult to accomplish und capable of enduring strain?
Wie „tough“ das M&A-Geschäft mit outbound Investment Screening in der EU werden könnte, kann zum heutigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Eine Kontrolle von Investitionen, die aus der Union hinaus in Drittstaaten fließen, steckt in der EU – wenn überhaupt – noch in den Kinderschuhen. Anders dagegen in den USA: Gesetzgebungsinitiativen zur Errichtung eines outbound Investment Screening Mechanismus kursieren bereits seit 2020 sowohl im US-Senat als auch im US-Repräsentantenhaus. Nachdem im September 2022 eine überparteiliche Gruppe von Kongressabgeordneten in einem offenen Brief an den US-Präsidenten die Einführung eines solchen Mechanismus per Dekret forderte, sieht die am 29. Dezember 2022 verabschiedete Omnibus Spending Bill erstmals explizit 20 Mio. USD für die Errichtung eines outbound Investment Screening Programms innerhalb der nächsten drei Jahre vor.
Befürworter von outbound Investment Screening sehen im Zusammenspiel zwischen inbound Investment Screening und Exportkontrollen für Güter Schutzlücken für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung. Dies gelte insbesondere für die sensiblen Bereiche Halbleiterchips und künstliche Intelligenz, in denen Technologietransfers zum „Systemrivalen“ China befürchtet werden. Weitergehende Ziele werden indes auch diskutiert: So könnte ein outbound Investment Screening Mechanismus auswärtig fließende Investitionen auch aus menschenrechtlichen oder umweltpolitischen Motiven beschränken. Es besteht aber auch die Gefahr, dass ein solcher Mechanismus zum industriepolitischen Hebel eines mehr oder weniger versteckten Protektionismus verkommt: Soll etwa ein deutscher Automobilhersteller davon abgehalten werden, Produktionsstandorte in die USA zu verlegen, um dort die erheblichen Subventionen des Inflation Reduction Acts zu erlangen? Für solche Situationen soll eigentlich bereits die FSR Abhilfe schaffen.
Das Ausmaß der Belastung von M&A-Transaktionen durch einen outbound Investment Screening-Mechanismus in der EU lässt sich heute nur schwer abschätzen. Zu viele Faktoren sind noch unbekannt: Welche auswärtig fließenden Kapitalbewegungen werden erfasst? Werden die Schutzziele eng zugeschnitten oder ausufernd weit formuliert? Wird der Mechanismus zentral durch die Europäische Kommission durchgeführt oder entsteht erneut ein Flickenteppich zwischen den Mitgliedstaaten? In jedem Fall dürfte outbound Investment Screening für M&A-Transaktionen „tougher“ werden; offen bleibt jedoch vorerst, ob im Sinne von „difficult to accomplish“oder „capable of enduring strain“ – oder beidem. Beides könnte aber ebenso für das Rechtssetzungsverfahren zutreffen, sollte es dazu kommen (zur Kompetenzfrage und den rechtlichen Schranken, Herrmann/Ellemann, VerfBlog, 2022/11/29).
Fazit | Der freie Kapitalverkehr mit Drittstaaten ist seit jeher ein besonderes Artefakt der vom Liberalismus der 1990er Jahre geprägten europäischen Außenwirtschaftspolitik. Keine andere Grundfreiheit schützt Wirtschaftsströme zu Drittstaaten in gleichem Maße. Grenzüberschreitende Investitionen galten die letzten 30 Jahre in beide Richtungen als wohlfahrtssteigernd und deshalb wünschenswert: Ausländische Investitionen nach Europa bereichern den Binnenmarkt mit ihrem Kapital, europäische Investitionen im Ausland ermöglichen die Erschließung neuer Märkte und ein effizienzsteigerndes Outsourcing. Obgleich hiervon nicht grundsätzlich Abschied genommen wird, weht der Wind in den geopolitisch aufgeladenen 2020er Jahren anders. Grenzüberschreitende Investitionen müssen sich nun vermehrt rechtfertigen. Das mag das M&A-Geschäft auch tatsächlich erschweren. Im richtigen Maß ermöglicht es der EU-Wirtschaft aber auch resilienter und nachhaltiger zu werden – in jedem Fall macht es sie „tougher“.
Tim Ellemann ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau.