Global Mergers & Transactions Außenwirtschaftsrecht
Christoph Herrmann

EU-Investment Screening Verordnung – Bleiben „Leifeld“ & Co in der Union?

Mit dem stetigen Anstieg chinesischer Direktinvestitionen in Europa, die 2016 mit einem Wert von über 35 Milliarden Euro ihren Höhepunkt hatten, wuchs ebenso das Unbehagen um die damit womöglich angestrebten Motive, insbesondere der Verfolgung staatskapitalistischer Ziele durch die Volksrepublik, Stichwort: „Made in China 2025“ (Hutzschenreuter, Global Mergers & Transactions, TLE-004-2019).

Diese Entwicklungen sind Teil einer schon länger währenden Sorge vor „Know-How-Diebstahl“ durch den Einkauf unionsfremder Staatsfonds in industriepolitisch relevante Unternehmen, was 2009 Anlass zur Novellierung des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) gab. Diese richtete erstmals eine allgemeine Investitionskontrolle durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hinsichtlich Bedenken betreffend die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ein, die nicht nur auf bestimmte Schlüsselindustrien – insbesondere die Rüstungsindustrie – beschränkt ist. In den Jahren 2017/18 wurde das Kontrollregime modifiziert und zuletzt durch eine Absenkung der Aufgriffsschwelle auf 10% der Unternehmensanteile in bestimmten Sektoren (§ 56 Abs. 1 Nr. 1 AWV) auch der Anwendungsbereich der Kontrollmöglichkeiten erheblich ausgeweitet. Sodann kam es im Fall der geplanten – aber dann noch zurückgezogenen – Übernahme des deutschen Unternehmens „Leifeld“ beinahe zum ersten Mal zu einer förmlichen Untersagung einer Übernahme.

Europarechtlich gab es von Beginn an Bedenken gegen die deutsche Regelung. Zum einen beruhten diese darauf, dass der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) auch für den Verkehr mit Drittstaaten den freien Kapitalverkehr als Grundfreiheit schützt; andererseits hat die EU seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 die ausschließliche Zuständigkeit zur Regelung ausländischer Direktinvestitionen als Teil der gemeinsamen Handelspolitik (Art. 207 AEUV).

Nunmehr soll die Verordnung (EU) 2019/452 vom 19.03.2019 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union (ABl. v. 21.3.2019 Nr. L 79 I/1, InvÜbVO) diese Bedenken ausräumen und zugleich den Grundstein für eine europäische gemeinsame Investitionskontrollpolitik legen. Sie basiert auf einem von EU-Kommissionspräsident Juncker im Rahmen seiner Rede zur Lage der Union vorgestellten Vorschlag aus dem Jahr 2017 und ist insgesamt in eine Strategie der EU eingebettet, handelspolitisch die Herausforderungen der Globalisierung besser zu meistern.

Inhalt der InvÜbVO

Die InvÜbVO schafft einen Rahmen für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union durch die Mitgliedstaaten aus Gründen der Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung sowie einen Mechanismus der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten untereinander und mit der Kommission. Dabei bleibt die Entscheidung darüber, ob ein Mitgliedstaat überhaupt einen Kontrollmechanismus einrichtet, oder eine bestimmte ausländische Direktinvestition überprüft, unberührt (Art. 1 Abs. 3 InvÜbVO).

Stattdessen gibt die Verordnung in Art. 4 eine nicht-abschließende Liste von Faktoren vor, anhand derer die voraussichtliche Beeinträchtigung (Art. 4 Abs. 1 InvÜbVO) der Sicherheit oder öffentlichen Ordnung durch die ausländische Direktinvestition gemessen werden soll. Darunter fallen gemäß Absatz 1 einerseits zielobjektsbezogene Kriterien, wie kritische Infrastruktur, dual-use-Hochtechnologie, Versorgung mit wichtigen Ressourcen und die Kontrolle personenbezogener Daten. Absatz 2 bezieht sich sodann auf investorbezogene Kriterien, nämlich die direkte oder indirekte Kontrolle durch die Regierung eines Drittstaats und der Beteiligung an die Sicherheit beeinträchtigenden oder kriminellen Aktivitäten. Derartige Kriterien kennt z.B. das deutsche Investitionskontrollregime bislang überhaupt nicht.

Damit konkretisiert die Verordnung die primärrechtlichen Begriffe der „Sicherheit und öffentlichen Ordnung“ aus Art. 65 Abs. 1 lit. b) AEUV sekundärrechtlich (s. auch Erwägungsgrund 4), anhand derer eine Investitionskontrolle als nationale Beschränkung des Kapitalverkehrs mit Drittstaaten – in Deutschland gem. §§ 4 f. AWG i.V.m. §§ 55 ff. AWV – beurteilt wird. Bei einer solchen Harmonisierung hat der Unionsgesetzgeber einen weiten Beurteilungsspielraum, der nach der Rechtsprechung des EuGH nur überschritten ist, wenn die Maßnahme zur Erreichung der legitimen Ziele offensichtlich ungeeignet ist. Sofern sich Mitgliedstaaten auf andere als die in der Verordnung angenommen Faktoren berufen – was aufgrund der nicht-exklusiven Liste in Art. 4 InvÜbVO möglich ist –, muss sich deren Investitionskontrolle direkt am Maßstab der Kapitalverkehrsfreiheit messen lassen.

Beachte | Diese Regulierungstypik ist für den Kapitalverkehr neu, darüber hinaus aber bei der Rechtsangleichung im Binnenmarkt durch die Konturierung von Ausnahmen i.S. von Art. 36 AEUV bis hin zu vollständigen Produktverboten (z.B. bei Art. 114 AEUV) bereits bekannt. Dass der Gerichtshof die InvÜbVO selbst daher als unverhältnismäßigen Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit werten könnte, erscheint nahezu ausgeschlossen.

Die InvÜbVO wurde gestützt auf Art. 207 Abs. 2 AEUV zur Umsetzung der gemeinsamen Handelspolitik mit ausschließlicher Unionszuständigkeit (Art. 3 Abs. 1 lit. e) AEUV). Entsprechend der Auslegung durch den EuGH im Gutachten 2/15 zum Freihandelsabkommen zwischen der Union und Singapur gehören Marktzugangsregelungen für Investitionen grundsätzlich zu dem von Art. 207 AEUV abgedeckten Kompetenzbereich. Dieser ist insoweit auch der Rechtsgrundlage des Art. 64 Abs. 2 AEUV zum Erlass von Maßnahmen betreffend den Kapitalverkehr mit dritten Ländern als lex specialis vorrangig. Indem die Verordnung den Mitgliedstaaten die Einrichtung oder Aufrechterhaltung eines Investitionskontrollregimes mit weiten Spielräumen gestattet, delegiert sie die Zuständigkeit hierzu teilweise auf die Mitgliedstaaten zurück.

Auswirkungen auf Unternehmenskäufe

Mit der Verordnung wird der mitgliedstaatliche Spielraum zur Implementierung von Investitionskontrollregimen unional klarer abgesteckt. Im Vergleich zum status quo der deutschen Investitionskontrolle gestattet sie etwa die Prüfung weitreichenderer zielobjektsbezogener Kriterien i.S.v. § 55 Abs. 1 S. 2 AWV – ganz wichtig dabei die staatliche Subventionierung des Veräußerers durch seinen Herkunftsstaat – sowie die Berücksichtigung von Interessen anderer Mitgliedstaaten (Art. 6 Abs. 3 InvÜbVO) oder Unionsinteressen (Art. 6 Abs. 4 InvÜbVO). Diese müssen im Rahmen des Kooperationsmechanismus in angemessener Weise – im Rahmen der loyalen Zusammenarbeit (Art. 4 Abs. 3 EUV) – berücksichtigt werden. Außerdem wird die erforderliche Gefährdungsschwelle vom tatsächlichen Vorliegen einer hinreichend schweren Gefährdung hin zur voraussichtlichen Beeinträchtigung (Art. 4 Abs. 1 InvÜbVO) reduziert.

Das schafft zwar einerseits mehr Rechtssicherheit hinsichtlich der Unionsrechtskonformität der mitgliedstaatlichen Investitionskontrollregime und der hiernach ergehenden behördlichen Entscheidungen, verlangt andererseits aber für die konkrete Investitionskontrolle anlässlich einer Unternehmenstransaktion in praxi die Berücksichtigung noch diverserer Faktoren und damit intensivere rechtliche Beratung.

Fazit | Eine vollständig europäisierte Kontrolle von Unternehmensübernahmen durch Drittstaateninvestoren ist die InvÜbVO nicht, stellt die Verordnung es doch fast in Gestalt einer Richtlinie den Mitgliedstaaten frei, ob und wie sie ausländische Investitionen zum Schutze der Sicherheit oder öffentlichen Ordnung kontrollieren. Dennoch schafft sie für mitgliedstaatliche Kontrollregime mehr Rechtssicherheit und ermöglicht es daher, gerade Übernahmen von Unternehmen wie „Leifeld“ in strategisch kritischen Infrastrukturen oder Versorgungsbranchen im nationalen und europäischen Interesse leichter zu beschränken.

Tim Ellemann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Passau.