Global Mergers & Transactions Wirtschaftsvölkerrecht
Christoph Herrmann

Der aktuelle „Handelskrieg“ um Stahl und Aluminium

Seit der Verhängung von Zusatzzöllen auf Stahl- und Aluminiumeinfuhren durch US-Präsident Donald Trump ist das Thema Handelspolitik in allen Medien – bis hin zur heute Show vom 9. März 2018 im ZDF. Jedenfalls die Liste der von angedachten EU-Gegenmaßnahmen betroffenen Waren aus den USA (einschließlich Whisky und Harley Davidson Motorrädern) erregt offensichtlich das allgemeine Interesse. Wirtschaftlich viel bedeutender – und bedrohlicher – sind aber selbstverständlich die Auswirkungen auf die europäischen Stahl- und Aluminiumproduzenten und z.B. – für den Fall einer weiteren Eskalation – die deutschen Automobilhersteller, gegen die der US-Präsident bereits weitere Drohungen ausgesprochen hat.

Was in der medialen Auseinandersetzung nachvollziehbarer Weise etwas untergeht, sind die rechtlichen Fragestellungen, die durch die US-Zusatzzölle und etwaige Gegenmaßnahmen zahlreich aufgeworfen werden. Im Folgenden soll hierzu ein kurzer Überblick gegeben werden.

US-Maßnahmen auf Stahl und Aluminium

Die von US-Präsident Trump am 8. März 2018 verhängten Zölle stützen sich auf eine selten genutzte Vorschrift „Section 232“ des US-Außenhandelsrechts (§ 1862 Trade Expansion Act of 1962), die Importbeschränkungen zum Schutz der nationalen Sicherheit der USA erlaubt. Die nach dieser Vorschrift notwendige Untersuchung durch das US-Handelsministerium (Secretary of Commerce), nach der Einfuhren der besagten Produkte ihrem Ausmaß und ihren Umständen nach die nationale Sicherheit der USA bedrohen, lag seit dem 11. Januar bzw. 17.Januar 2018 vor. Nach der Entscheidung des US-Präsidenten vom 8. März sollen nun auf Stahlprodukte Zusatzzölle von 25% und auf Aluminiumerzeugnisse von 10% (jeweils auf den Einfuhrwert) mit Wirkung zum 23. März 2018 erhoben werden.

In der Sache bestehen dabei derzeit keine Meinungsunterschiede darüber, dass es weltweit erhebliche Überkapazitäten in der Stahlindustrie und damit einen intensiven Verdrängungswettbewerb gibt. Insbesondere China steht insoweit in der Kritik. Generell sind Stahlerzeugnisse häufig Gegenstand sog. handelspolitischer Schutzinstrumente, z.B. weil sie zu unnatürlich niedrigen Preisen (gedumpt) oder staatlich subventioniert exportiert werden. Aber auch ohne den Vorwurf solcher „unfairer Handelspraktiken“ besteht die Möglichkeit, zeitlich befristete „besondere Schutzmaßnahmen“ (safeguard measures) vorzunehmen, was z.B. die USA im Jahr 2002 taten.

Beachte | Die nunmehr verhängten Zölle entziehen sich aber bewusst einer Kategorisierung als handelspolitische Schutzinstrumente, was mutmaßlich auf ihre jeweiligen WTO-rechtlichen Legalitätsbedingungen zurückzuführen ist.

WTO-Rechtlicher Rahmen für Einsatz von Schutzzöllen

Der Einsatz von außenhandelsrechtlichen Instrumentarien erfolgt auf nationalstaatlicher Rechtsgrundlage (für die EU: auf unionsrechtlicher), die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) sind dabei aber an die von ihnen abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge gebunden. Diese verbieten zunächst einmal den Einsatz mengenmäßiger Beschränkungen auf Wareneinfuhren (Art. XI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens GATT) und begrenzen die Zollerhebung auf die in den jeweiligen Zollzugeständnislisten (Art. II GATT). Darüber hinausgehende Zölle dürfen nur ausnahmsweise erhoben werden, z.B. als Antidumpingzölle (Art. VI GATT i.V.m. dem Antidumping-Übereinkommen), Ausgleichszölle (Art. VI:3 GATT i.V.m. dem Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichszölle) oder besondere Schutzmaßnahmen (Art. XIX GATT i.V.m. dem Übereinkommen über Schutzmaßnahmen). Daneben gibt es eine ganze Reihe von Ausnahmen, die Abweichungen von den allgemeinen Verpflichtungen aus nicht-ökonomischen Motiven erlauben, z.B. zum Schutz der menschlichen Gesundheit (Art. XX lit. b) GATT) oder eben auch zum Schutz der wesentlichen Sicherheitsinteressen (Art. XXI:2 GATT).

Der gewählten Rechtsgrundlage nach scheint es sich bei den US-Zöllen um Maßnahmen nach Art. XXI lit. b GATT (nationale Sicherheitsinteressen) zu handeln, ihrer Begründung nach wäre Art. XIX GATT aber womöglich passender, weil es um den Erhalt einer von Importkonkurrenz bedrohten Industrie geht.

Was auf den ersten Blick wie ein juristisches Glasperlenspiel wirkt, hat harte rechtliche Konsequenzen, denn besondere Schutzmaßnahmen müssen der WTO notifiziert werden und erlauben den anderen WTO-Mitgliedern tatsächlich unter bestimmten Umständen die Aussetzung eigener Zugeständnisse (Art. 8 des Abkommens über Schutzmaßnahmen). So soll den betroffenen Ländern die Möglichkeit gegeben werden, die Balance der wechselseitigen Marktöffnung wieder herzustellen. Hingegen kommt eine Aussetzung von Zugeständnissen WTO-rechtlich sonst als Reaktion auf behauptete Rechtsbrüche anderer WTO-Mitglieder regelmäßig nur nach dem langwierigen Durchlaufen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens in Betracht (Art. 23 der Streitbeilegungsvereinbarung). Unilaterale „Vergeltungsmaßnahmen“ sind danach ausdrücklich unzulässig, könnten allerdings von der Gegenseite wiederum legal nur durch Einleitung eines Streitbeilegungsverfahrens beantwortet werden. Gerade eine solche rechtswidrige Eskalationsspirale scheint sich derzeit abzuzeichnen.

Hinweis | Das WTO-Recht will sie eigentlich verhindern, verfügt aber nicht über die dafür erforderliche Bindungs- und Durchsetzungsmacht gegenüber den souveränen WTO-Mitgliedern.

Europarechtliche Grenzen der Handelsvergeltung?

Für die EU-Reaktion auf die US-Zölle ist aber nicht nur die WTO-rechtliche Beurteilung relevant, sondern auch deren unionsrechtliche. Importeure von Harley Davidson Motorrädern oder Whisky werden die Erhebung von Vergeltungszöllen mutmaßlich nicht einfach hinnehmen, sondern nach Wegen suchen, diese Beeinträchtigung ihrer auch unionsgrundrechtlich geschützten Wirtschaftstätigkeit (s. Art. 16, 17 EUGrCh) abzuwehren.

Als Eingriff in die Unionsgrundrechte der Importeure bedürfen Vergeltungszölle seitens der EU jedenfalls einer gesetzlichen Grundlage im Unionsrecht (Art. 52 Abs. 1 S. 1 EUGrCh). Während vor dem Vertrag von Lissabon insoweit unmittelbar auf das Primärrecht abgestellt werden konnte (Art. 133 Abs. 2 i.d.F. des Vertrags von Nizza), bedarf es seither einer sekundärrechtlichen Grundlage, die auf Basis des Art. 207 Abs. 2 AEUV im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren angenommen worden sein muss. Eine solche Rechtsgrundlage bildet die sog. Handelsvergeltungsverordnung (VO (EU) 654/2014), die in ihrem Art. 3 die Fälle aufzählt, in denen die EU-Kommission Maßnahmen wie z.B. die Aussetzung von Zöllen ergreifen darf. Das gilt insbesondere nach einem gewonnenen Streitbeilegungsverfahren vor der WTO (in Umsetzung der Verpflichtung aus Art. 23 der WTO-Streitbeilegungsvereinbarung) und zur Wiederherstellung des Gleichgewichts der Zugeständnisse bei besonderen Schutzmaßnahmen von Handelspartnern. Ein darüber hinausgehendes „Vergeltungsrecht“ sieht das Unionsrecht allerdings nicht vor.

Hinweis | Der EU als „Rechtsgemeinschaft“ scheinen damit im „Handelskrieg“ nicht die gleichen Waffen zur Verfügung zu stehen wie z.B. den USA.

Von verschiedenen Seiten wird der EU nun geraten, die US-Maßnahmen entgegen ihrer Abstützung auf die Bedrohung der nationalen Sicherheit als besondere Schutzmaßnahmen zu behandeln und dementsprechend von ihren Reaktionsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Ungeachtet der diesbezüglich bereits aufgeworfenen WTO-rechtlichen Fragen ist aber nicht sicher, dass das Unionsrecht eine solche Vorgehensweise billigt. Im Rahmen eines Gerichtsverfahrens vor europäischen Gerichten würde sich die Rechtmäßigkeit nämlich primär nach dem Unionsrecht, also auch der o.g. VO (EU)654/2014 beurteilen, die allerdings in einem für das Unionsrecht ungewöhnlichen Ausmaß auf das WTO-Recht verweist und der Umsetzung von Verpflichtungen (Art. 23 der Streitbeilegungsvereinbarung) und Rechten (Art. 8 des Abkommens über Schutzmaßnahmen) aus diesem dient.

Für den Gerichtshof der Europäischen Union könnte sich damit wieder einmal und mit neuem Akzent die Frage stellen, inwieweit die WTO-Rechtswidrigkeit eines EU-Rechtsakts dessen Nichtigkeit zur Folge haben kann. Zuletzt hatte der Gerichtshof sich insoweit noch zurückhaltender gezeigt als ohnehin schon in der Vergangenheit. Für diese Rechtsprechung war gerade das Argument der „Waffengleichheit“ mit den Handelspartnern ein entscheidendes. Womöglich wäre es das auch diesmal.

Schluss | Für von den US-Zöllen (oder EU-Gegenmaßnahmen) betroffene Unternehmen ist die rechtliche Situation damit in jedem Fall unbefriedigend, weil für sie praktisch kaum Möglichkeiten bestehen, diese Maßnahmen erfolgreich – geschweige denn: schnell – gerichtlich anzugreifen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hatte in einem sachlich ähnlich gelagerten Fall einmal explizit darauf hingewiesen, dass Vergeltungszölle durch andere Handelspartner zum derzeitigen Welthandelssystem eben dazugehören. Man wird sich also weiterhin darauf einstellen müssen.