Target Screening – Ein zentraler aber stiefmütterlich behandelter Erfolgsfaktor für M&A
Mergers & Akquisitions sind ein zentrales Instrument der strategischen Unternehmensführung, um Organisationen an sich verändernde Rahmenbedingungen anzupassen. Diese Adaptierung kann passiv, reaktiv aber durchaus auch proaktiv geschehen. Trotz intensiver Forschung in den letzten 100 Jahren und der stetig steigenden praktischen Erfahrungen haben sich die Erfolgsraten kaum verändert und rangieren konstant zwischen 40-60%.
Üblicherweise wird das Scheitern von Transaktionen mit einem schlechten strategischen Fit des Zielunternehmens oder durch Fehler in der Integration erklärt. Interessanterweise sind beide dieser Erfolgsfaktoren durch Managemententscheidungen direkt beeinflussbar. Während bei der Integration zahlreiche weitere Faktoren, welche nur schwer prognostizierbar sind (z.B. Unternehmenskultur, Wettbewerberverhalten, etc.), eine bedeutende Rolle spielen, ist die Zielunternehmensauswahl eine eher diskrete und steuerbare Aufgabe. Daher erscheint es verwunderlich, warum gerade ein schlechter strategischer Fit oftmals als Grund für das Scheitern von M&A angeführt wird, obwohl die Auswahl eines geeigneten Zielunternehmens ein zentrales Element im Akquisitionsprozess darstellt. In der Tat, nur ein wirklich passendes Zielunternehmen kann der kaufenden Organisation dabei helfen, die strategischen Ziele zu erreichen.
Wie finden Unternehmen potenzielle Zielunternehmen?
Trotz der hohen praktischen Relevanz des Target-Screening und der damit verbundenen Herausforderung, ein geeigneten Zielunternehmens zu lokalisieren, wird das Thema in der Forschung aber auch vielfach in der Praxis eher stiefmütterlich behandelt. Lehrbücher suggerieren, dass im ersten Schritt eine umfangreiche Liste mit potenziellen Unternehmen erstellt wird, die anschließend mit klar definierten Such- und Bewertungskriterien verglichen werden. Dieses Vorgehen sollte es Unternehmen schlussendlich erlauben, Prioritäten bei der Ansprache von potenziellen Zielunternehmen zu setzen. In der Praxis bedienen sich Unternehmen grundsätzlich drei unterschiedlicher Ansätze zum Target Screening, die alle mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen einhergehen. Diese gängigen Ansätze können in opportunistisch getrieben, extern getrieben oder intern getrieben klassifiziert werden.
Opportunistische Ansätze sind dadurch geprägt, dass Zielunternehmen direkt potenzielle Käufer ansprechen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn das verkaufswillige Unternehmen in eine finanzielle Schieflage geraten ist oder beispielsweise ein Nachfolger fehlt. Sehr häufig werden Unternehmen angesprochen, zu denen bereits eine Geschäftsbeziehung beispielsweise als Zulieferer oder Abnehmer besteht. Dieser Ansatz hat den zentralen Vorteil, dass sich die beiden Parteien bereits kennen und Einblicke in die jeweiligen Geschäftsmodelle haben. Darüber hinaus können diese Akquisitionen oftmals sehr schnell durchgeführt werden. In den kommenden Monaten werden wir vermutlich eine steigende Anzahl an opportunistisch getriebenen Akquisitionen beobachten. Darauf beruhend, dass die Corona-Pandemie bei vielen Unternehmen zu einer finanziellen Schieflage führt. Trotz der inhärenten Vorteile dieses Ansatzes, birgt er auch zahlreiche Nachteile und wirft oftmals Fragen auf, ob tatsächlich das strategisch am besten passende Zielunternehmen dadurch gefunden werden kann. Der Geschäftsführer eines mittelständischen Käufers teilte folgende Anekdote:
„Wir dachten wir kennen das Unternehmen durch unsere langjährige Beziehung sehr gut und das Bild, das wir im Kopf hatten, versprach eine großartige Zukunft. Die Realität war allerdings eine andere.“
Bei extern getriebenen Ansätzen erfolgt die Suche nach Zielunternehmen durch externe Partner. Darunter fallen M&A Boutiquen, Investmentbanken oder Unternehmensberatungen. Die zentralen Vorteile dieses Ansatzes spiegeln sich in der detailreichen Aufbereitung von Informationen und der Reduktion von Zeit für das Käuferunternehmen wider. Doch trotz dieser Vorteile wirft dieser Ansatz auch Fragen auf, ob z.B. tatsächlich das beste Zielunternehmen gefunden wurde oder auch wer tatsächlich an extern getriebenen Akquisitionen profitiert. So berichtete der M&A Manager eines großen internationalen Unternehmens:
„Alle haben an dieser Akquisition verdient, nur wir nicht.“
Der dritte Ansatz ist der intern getriebene und ist vor allem bei Unternehmen mit einer eigenen M&A Abteilung üblich. Dieser erlaubt es, dass der Suchansatz eng mit der eigentlichen Strategie (vor allem auch mit den impliziten Elementen der Strategie) des Unternehmens verknüpft werden kann und das Käuferunternehmen volle Kontrolle über den Prozess besitzen. Allerdings zeigt sich bei vielen Unternehmen mit hoch entwickelten Suchprozessen, dass der Screening Scope oftmals stark durch den „Streetlight Effekt“ eingeschränkt ist. Der „Streetlight Effekt“ ist ein Bias der besagt, dass Menschen bevorzugt dort suchen, wo Informationen leicht zu beschaffen sind. In Gesprächen mit M&A Managern hört man immer wieder:
„Wir haben da diese Datenbank und das ist eigentlich vollkommen ausreichend für unsere Zwecke. Naja, manchmal findet man irgendwann durch Zufall Unternehmen, die eigentlich besser passen würden aber nicht in unserer Datenbank waren.“
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass alle drei Screening Ansätze unterschiedliche Vor- und Nachteile für Unternehmen bieten. Allerdings bleibt die Frage offen, ob diese Ansätze wirklich dazu geeignet sind das „ideale“ Zielunternehmen zu finden.
Wie hat sich das Target Screening verändert?
Grundlegend haben sich die drei Ansätze zum Target Screening in den vergangenen Jahren kaum verändert. Vor allem mittelständische Käuferunternehmen scheinen empfänglich für opportunistische Ansätze zu sein, da sie oftmals externen Spielern im Markt reserviert gegenüberstehen und sich der Aufbau einer eigenen M&A Abteilung (noch) nicht lohnt. Große Unternehmen bedienen sich häufig aller Optionen und prüfen opportunistische Angebote ebenso wie Vorschläge von externen Beratern sowie den intern gefundenen potenziellen Zielunternehmen. Interessanterweise zeigt sich auch, dass viele Unternehmen über den Lauf der Zeit zwischen den einzelnen Ansätzen wechseln oder unterschiedliche Screeningansätze als komplementär verstehen.
Was sich in der Tat verändert hat, ist die Art der Informationsbeschaffung. So haben viele Unternehmen bereits vor der Corona-Pandemie auf digitale Lösungsanbieter gesetzt, die oftmals schnellere, umfangreichere und transparentere Suchprozesse durchführen können. Digitale Technologien erlauben es, die Komplexität von umfangreichen Suchen auf ein verdauliches Maß zu reduzieren. Diese Entwicklung wurde durch die Corona-Pandemie und den damit verbundenen Restriktionen beschleunigt. So reduzierte sich in den meisten Fällen die Analyse potenzieller Zielunternehmen auf eine Ferndiagnose, da persönliche Treffen mit Mitarbeitern des Wunschkandidaten oder Zulieferern und Kunden auf Industrie- oder Branchenmessen kaum mehr möglich waren. Dies hat die Nutzung digitaler Technologien im ansonsten eher konservativen M&A Geschäft beschleunigt. Ob die Nutzung der digitalen Technologien aber allein das Target-Screening verbessert, ist fraglich.
Wie kann das Target Screening verbessert werden und wie können tatsächlich „ideale“ Zielunternehmen gefunden werden?
Immer wieder zeigt sich, unabhängig vom Suchansatz, dass Akquisitionsprozesse und damit einhergehend Target-Screening Prozesse aus strategischen Gründen gestartet werden. Allerdings wird mit fortschreitender Konkretisierung eines Projekts, der Entscheidungsprozess zunehmend von der Finanzperspektive dominiert. Viele Unternehmen fokussieren sich anstelle von strategischen Themen auf Performance-Kennzahlen, wie dem Return on Equity (ROE). Durch einen Fokus auf gewisse Kennzahlen lassen sich potenzielle Zielunternehmen gut und einfach miteinander vergleichen. Allerdings gerät durch diese Fokussierung oftmals der strategische Narrativ, welches sich nicht einfach quantifizieren lässt, stark in den Hintergrund und es wird ein finanziell vielversprechendes Unternehmen einem strategisch geeigneten Unternehmen bevorzugt. Natürlich können durch einen finanziell vielversprechenden Kandidaten leicht Entscheidungsträger überzeugt werden, allerdings sinkt die Wahrscheinlichkeit, die strategischen Ziele tatsächlich zu erreichen.
Der entscheidende Nachteil von strategischen Kriterien ist, dass diese schwer quantifizierbar sind. An dieser Stelle können in der Zukunft digitale Technologien hilfreich für den M&A Prozess werden. Tatsächlich gibt es Start-Ups, die sich genau auf diesen Bereich spezialisiert haben und Narrative quantifizierbar machen. Die Transformation von quasi unstrukturierten in numerische Daten hat den Vorteil, dass Unternehmen nicht nur anhand finanzieller Daten, sondern auch anhand strategischer Kriterien direkt miteinander verglichen werden können. Unternehmen, die frühzeitig mit diesen Technologien arbeiten, können dadurch einen Wettbewerbsvorteil erzielen. Allerdings werden digitale Lösungen die traditionellen Screening-Ansätze nicht verdrängen, sondern vielmehr komplementieren und in Summe „verbessern“.