M&A vor dem Hintergrund von Industrie 4.0
Die aktuelle „vierte“ industrielle Revolution schickt sich an, den radikalsten Umbruch zu bringen, der in der Neuen Geschichte zu verzeichnen ist. Viele sprechen auch von Disruptionen, also radikalen Brüchen, die die Wettbewerbslandschaft mit neuen Geschäftsmodellen schlagartig und radikal umkrempeln. Die Praxis aber zeigt, dass die Veränderungen in jeder Branche anders verlaufen, mal disruptiv, mal evolutionär.
In einzelnen Branchen ist die Digitalisierung zum (einzigen) Standard geworden wie in der Musikindustrie, andere Branchen entwickeln sich eher organisch, wie etwa die Pharmaindustrie (der sogenannten „personalisierten Medizin“). In der Flugzeugindustrie verlaufen die Wege in verschiedene Richtungen, teilweise verharrend in „Industrie 2.0“ (mechanisiert), „Industrie 3.0“ (Computer-hinterlegt) und eben 4.0 („Big Data- und Cloud-getrieben).
Klassische Treiber von M&A haben weiterhin Bedeutung
Diese Entwicklungen schlagen sich natürlich auch bei Unternehmensstrategien, -transaktionen und -integrationen nieder. Die Klassischen Treiber von M&A behalten ihre Bedeutung. Diese sind der Umbau der Wertschöpfungskette mit dem Ziel, die Faktorkosten zu reduzieren und neue Technologien voranzubringen. M&A ermöglicht Zeitvorteile und erschießt dadurch hohe Erträge in der frühen Phase der Lebenszyklen. Mithilfe von lokalen Übernahmen können Regionalmärkte schnell erschlossen werden, in denen sonst – bei organischem Aufbau – lange Preiskämpfe die Regel wären. Eine umfassende Regionalisierung ermöglicht schließlich die Globalisierung des Geschäftes.
Durch Industrie 4.0 kommen neue Treiber hinzu
Die durch Industrie 4.0 neu hinzukommenden Treiber sind außerordentlich vielfältig. Sie umfassen neue Geschäftsmodelle, neue Technologien und alles, was durch eine dramatische Kostensenkung in der Datenverarbeitung und der Kommunikations¬technik erschlossen werden kann. Dies wird durch den Begriff „Big Data“ summarisch erfasst. Dabei können verschiedene Faktoren als die zentralen Treiber herausgegriffen werden.
Dies ist zum ersten die Entwicklung von sogenannten „Ecosystems“ (Geschäfts-Ökosystemen), also das Durchbrechen sämtlicher Grenzen zwischen Zulieferern, Wettbewerbern, Kunden und Lieferanten und das Entstehen völlig neuer Geschäftsmodelle, wie etwa „Navigatoren“ durch das nun weit verzweigte Geflecht von Geschäftspartnern. Damit ist als zweites verbunden die Vertikalisierung von Geschäften, insbesondere das Entstehen von Lösungsangeboten und Lösungsspezialisten, die sich zwischen die Produktanbieter und ihre Endkunden schieben – und somit das Geschäft der Produkthersteller kannibalisieren.
Als „Faktor 3“ kann die Entstehung von kleinen Vor-Ort-Fabriken genannt werden, den „Mini Fabs“, die direkt beim Kunden, etwa durch das vielbesungene 3-D-Drucken fertigen. Hier entsteht eine Wettbewerbslandschaft, die das Zeug hat, das alte Primat der „World Scale Factory“ auszuhebeln. Dies ist möglich durch die Virtualisierung von Produkten in Form von Software-Abbildern, die in der Cloud (die steht für die Summe der weltweiten Server-Farmen) hinterlegt werden.
Wettbewerbslandschaft sortiert sich neu
Diese Bewegungen werden maßgeblich durch M&A getrieben und werden M&A in ganz neue Dimensionen bringen. Einerseits wird die Zerklüftung der Wettbewerbslandschaft eine Fülle von Kooperationen und Zusammenschlüssen mit sich bringen, einschließlich der – bisher undenkbaren – punktuellen Allianzen zwischen Wettbewerbern. Man spricht hier von „Coopetition“. Andererseits führt die Vielzahl neuer Technologien, die Entstehung neuer Geschäftsmodelle zu einer nie gekannten Menge an unternehmerischen Neugründungen. Allein die USA zählen über 40.000 solcher neuen Unternehmen. Diese schließen sich auf unterschiedlichen Pfaden mit etablierten Unternehmen zusammen, in Form von Kooperationen, meist am Ende aber durch Übernahmen.
Künstliche Intelligenz verändert M&A-Prozesse
Schließlich wird der M&A-Prozess als solcher von zahlreichen neuen Entwicklungen betroffen. Diese werden getrieben durch „Big Data“ per se (d.h. die Verbilligung des massenhaften Zugangs zu Daten und zur Datenkommunikation) und vor allem auch durch die künstliche Intelligenz. So wird sich etwa das Screening von Kandidaten stark ausweiten. Auch im Feld der juristischen Aktivitäten werden sich Veränderungen niederschlagen. So etwa bei der Due Diligence. Big Data, Musterkennung und systematische IT-getriebene Analytics werden das massenhafte Auswerten von Verträgen erleichtern und gleichzeitig ausweiten. So werden Anwälte zunächst von einfacheren Arbeiten entlastet. Mit fortschreitender künstlicher Intelligenz, dem Erkennen subtilerer Zusammenhänge, wird sich die Automatisierbarkeit aber auch in höherwertige Tätigkeiten „einfräsen“.
Hinweis | Diese Entwicklung wird in allen Phasen des M&A-Prozesses zu beobachten sein, mit (a) Entlastung von Routinetätigkeiten, (b) Erschließung von massenhafter Verarbeitung und (c) IT-technische Erkennung von Zusammenhängen, die dem menschlichen Auge nicht möglich sind.
Letztendlich ist durch Big Data, Big Analytics und den Einsatz von künstlicher Intelligenz ein totaler Umbau des M&A-Prozesses zu erwarten. Ganze Arbeitsschritte, etwa die Findung von Finanzierungsmodellen, können weitgehend automatisiert werden. Die Auswirkungen auf die Projektphasen sind freilich unterschiedlich. Zu unterscheiden ist zwischen Primäreffekten und Sekundäreffekten. Zu den Primäreffekten zählt die Erschließung von viel größeren Datenmengen, etwa in der Vorfeldphase und in der Transaktionsphase. Zu den Sekundäreffekten zählen Wirtschaftlichkeitseffekte, das heißt damit verbundene viel tiefere Durchdringung des Targets bei geringerem Personalaufwand, des Erreichens eines höheren Wissensstandes über das Zielunternehmen und damit der Verhandlung auf gleicher Augenhöhe wie der Verkäufer. Damit kann die Umsetzung und Implementierung (Integration) viel zielgenauer erfolgen.
Fazit | Summa Summarum ist zu erwarten, dass die Vor-Closing-Aktivitäten intensiver werden – d.h. mehr Daten, größere Tiefe, höhere Produktivität – und der Personalaufwand der Post-Closing-Aktivitäten verringert werden kann. Dies steht im Einklang mit einer anderen Entwicklung, dass nämlich mitarbeiterorientierte Aktivitäten, wie etwa das Management des kulturellen Wandels, an Intensivität gewinnt. Am Ende kommt also „Industrie 4.0“ bei M&A dem Menschen zugute.