Tax Compliance Technologie
Carmen Bachmann

„Google Tax Trends“: Können Unternehmen aus der Vorhersage von Steuerskandalen mittels Big Data einen Nutzen ziehen?

Als Paradebeispiel für Möglichkeiten durch Big Data gilt ein in der Nature 2009 (Ginsberg et al. 2009) vorgestellter Ansatz zur Vorhersage von Grippewellen: Anhand der Häufigkeit stark mit dem Auftreten einer Grippe korrelierender Google-Suchbegriffe (wie etwa typischen Symptomen), sollte es möglich sein, Ort und Zeit des Ausbruchs zu prognostizieren. Kann diese Methode auch in der Steuerwelt von Nutzen sein?

Durch den zunehmenden Einfluss der Digitalisierung ist die Öffentlichkeit wesentlich genauer und schneller über Aktivitäten von Unternehmen informiert. Es ergeben sich neue – auch in Echtzeit durchführbare – Möglichkeiten zur Auswertung von Unternehmensdaten und zur Beobachtung der öffentlichen Meinung. Trendanalysen, Untersuchungen zur Wahrnehmung in Social-Media-Kanälen oder etwa Kommentarspalten unter Medienberichten könnten auch für die Steuerabteilung eines Unternehmens verwertbare Informationen liefern.

Prognosen von steuerlichen Trendwenden

Als beispielsweise im Jahr 2011 bekannt wurde, dass zahlreiche Großkonzerne durch das Konstrukt „Double Irish with a Dutch Sandwich“ ihre Steuerlast verringern, erzeugte dies ein breites Medienecho. Der sich anschließenden wissenschaftlichen Diskussion (vgl. nur Pinkernell, Reimar (2012): Ein Musterfall zur internationalen Steuerminimierung durch US-Konzerne. In: StuW (4), S. 369–374) folgten Bemühungen der Gesetzgeber zur Verhinderung des seit Jahren praktizierten Steuergestaltungsmodells. Gab es Indikatoren, die auf diese Entwicklungen hätten hinweisen können? Eine Vorhersage würde die Planungssicherheit einer Steuerabteilung erhöhen und das Unternehmen möglicherweise vor Reputationsverlusten bei Bekanntwerden aggressiver Steuerplanung durch rechtzeitige Gegenmaßnahmen bewahren (vgl. Hardeck, Inga; Hertl, Rebecca (2014): Consumer Reactions to Corporate Tax Strategies. Effects on Corporate Reputation and Purchasing Behavior. In: J Bus Ethics 123 (2), S. 309–326. DOI: 10.1007/s10551-013-1843-7; Sisson, Diana C.; Bowen, Shannon A. (2017): Reputation management and authenticity. In: JCOM 21 (3), S. 287–302. DOI: 10.1108/JCOM-06-2016-0043).

Beispiel einer steuerlichen Big-Data-Analyse

Exemplarisch sei für dieses Steuergestaltungsmodell gezeigt, wie eine solche Analyse theoretisch durchgeführt werden könnte, freilich unter der Voraussetzung einer geeigneten Datenbasis. Als These könnte folgender Kausalzusammenhang angenommen werden: Ein verringertes Steueraufkommen in einer Rezession führt zu intensiveren politischen Bestrebungen zum Erhalt des Steuersubstrats, folglich auch zu einer messbar stärkeren öffentlichen Wahrnehmung. Die folgende Abbildung stellt den Zusammenhang von US-Konjunkturdaten (Statista), relativer Häufigkeit von Veröffentlichungen (Beck online) und dem Suchbegriff „Double Irish Dutch Sandwich“ (Google-Trends) zwischen 2008 und September 2017 dar.

Aufgrund des wirtschaftlichen Einbruchs infolge der Finanzkrise 2007 bis 2009 stellte Barack Obama neben dem Gesundheitswesen auch das Steuersystem auf den Prüfstand. Die Balken spiegeln den schwankenden Konjunkturverlauf durch die Vorjahresveränderung des Bruttoinlandproduktes (BIP, hellblau), der Steuerquote (Steuereinnahmen/BIP, schwarz) und der Beschäftigungsquote (grün) in den USA wider.

Zur Messung der öffentlichen Wahrnehmung wird der Online-Dienst Google Trends herangezogen. Dieser gibt die relative Häufigkeit einzelner Suchbegriffe im definierten Zeitverlauf an. Die Google-Trends-Analysen stehen sofort zur Verfügung und müssen nicht aufwendig empirisch erhoben werden, während die Ergebnisse nachweislich der wissenschaftlichen Genauigkeit genügen (vgl. Vosen, Simeon; Schmidt, Torsten (2011): Forecasting private consumption. Survey-based indicators vs. Google trends. In: J. Forecast. 30 (6), S. 565–578. DOI: 10.1002/for.1213). Die violette Kurve zeigt die Auswertung des Suchbegriffes „Double Irish Dutch Sandwich“.

Der wissenschaftliche Diskurs erfolgt zeitlich versetzt zur medialen Aufmerksamkeit. Dies wird ersichtlich durch die Auswertung der Anzahl publizierter Fachbeiträge in der Datenbank beck online im Bereich Steuerrecht/Bilanzrecht. Dargestellt wird die relative Häufigkeit der Suchbegriffe von Unternehmen, die mit diesem Steuersparmodell in Verbindung gebracht werden: „Amazon“ (rot), „Apple“ (gelb) sowie „Starbucks“ (grün). Ansteigend ab dem Jahr 2012 erreichte diese ihren Höchstwert in 2015, zwei Jahre nach dem Spitzenwert der öffentlichen Wahrnehmung (2013).

Hinweis | Erste Maßnahmen zur Regulierung veröffentlichte die OECD 2013 in ihrem Report (vgl. Addressing Base Erosion and Profit Shifting 2013) und entwickelte darauf aufbauend den BEPS-Aktionsplan mit 15 konkreten Maßnahmen zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen.

Lässt sich dieser Zusammenhang zwischen Konjunktur, öffentlicher Diskussion und Reaktionen von Steuergesetzgebern verallgemeinern, könnte Big Data Hilfestellung für Unternehmen bieten, schneller als bisher reagieren zu können: Eine sich ankündigende Steueränderung könnte frühzeitig in die Steuerplanung mit einfließen und so die Unsicherheit verringern. Ein Monitoring des Meinungsbildes kann Unternehmen vor unerwarteten Reputationsverlusten bewahren, wenn sich die Steueraggressivität innerhalb der Grenzen des gesellschaftlich noch akzeptierten Rahmens bewegt.

Fazit und Ausblick | Die vermuteten Zusammenhänge erscheinen auf den ersten Blick vielleicht abenteuerlich und nicht hinreichend wissenschaftlich belegt. Auch das auf der eingangs erwähnten Veröffentlichung basierende System „Google Flu Trends“ konnte nicht sofort die gewünschte Ergebnisqualität liefern. Allerdings konnte die Influenza-Prognose und die Vorhersage von Ausbrüchen des Dengue-Fiebers bei Einbeziehen weiterer Daten – etwa von Gesundheitsämtern – inzwischen deutlich verbessert werden (vgl. Yang, et al (2017): Advances in using Internet searches to track dengue. In: PLoS computational biology 13 (7), e1005607. DOI: 10.1371/journal.pcbi.1005607). Dieser Beitrag kann ebenso nur einen ersten Eindruck für diese Anwendungsmöglichkeit von Big Data in der Steuerwelt vermitteln. Fast kostenneutral können im Zeitalter der Digitalisierung Zusammenhänge erforscht und deren Entwicklung beobachtet werden.

Für valide Ergebnisse sind weitere Untersuchungen erforderlich. Hierfür ist es unentbehrlich, dass sich die Steuerlehre im unternehmerischen und wissenschaftlichen Bereich noch interdisziplinärer ausrichtet, ihr Portfolio um Gebiete, wie etwa „Data Science“ erweitert und dabei kreative Ansätze nicht scheut. Industrie und Forschung müssen dem schnellen Wandel durch Digitalisierung mit einer Offenheit für unkonventionelle Methoden begegnen.