Tax Compliance Digitalisierung
Thomas Egner

§ 147b AO und die Beweiskraft der Buchführung

Durch das DAC7-Umsetzungsgesetz v. 20.12.2022 (BGBl. 2022 I, 2730) wurde der § 147b AO neu in die Abgabenordnung aufgenommen. Danach wird das BMF ermächtigt, eine Rechtsverordnung zur Definition einheitlicher digitaler Schnittstellen und Datensatzbeschreibungen für den standardisierten Export von Daten zu erlassen. Dies gilt immer dann, wenn die zu übermittelnden Daten mit einem Datenverarbeitungssystem erstellt worden sind und nach § 147 Absatz 1 AO aufzubewahren sind. Darüber hinaus befähigt die Verordnungsermächtigung das BMF zur Bestimmung einer Implementierungs- und Nutzungspflicht ebendieser einheitlichen digitalen Schnittstellen und Datensatzbeschreibungen.

Die digitale Betriebsprüfung

Die Digitalisierung hat in der Betriebsprüfung ihren Anfang genommen, sodass es nicht verwundert, dass gerade in der Betriebsprüfung der Grad der Digitalisierung bereits weit fortgeschritten ist. Insofern stellt die Einführung einer digitalen Schnittstelle zum Datenaustausch eine logische Konsequenz dar. Zwar werden die Einzelheiten erst durch eine noch zu schaffende Rechtsverordnung festgelegt, doch bestehen an der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit der Regelung kaum Zweifel. Gerade die Standardisierung des Datenaustausches ist zu begrüßen, um den Aufwand des individuellen Datenabrufs und -einlesens beim Steuerpflichtigen und der Finanzverwaltung sowie Datenbrüche zu vermeiden. Allerdings wird darauf zu achten sein, dass mit der Standardisierung des Datenaustausches kein Eingriff in die interne Buchführung der Unternehmen verbunden ist. Weitere Kritik an der Regelung bezieht sich auf den Umfang der über die Schnittstelle bereitzustellenden Daten. Es wird insbesondere in Frage gestellt, ob sich dies auf alle nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahrenden Unterlagen beziehen kann und mithin auch z.B. Handels- und Geschäftsbriefe umfassen würde (vgl. Stellungnahme der Bundessteuerberaterkammer vom 7.10.2022 und des IDSt e.V. vom 12.10.2022). Es fehlt im Ergebnis an einer hinreichenden Definition der betroffenen Daten sowie der Abgrenzung zu anderen Zugriffsformen.

Für die Betriebsprüfung ist der Vorteil der Regelung offensichtlich, wird doch die Auswertung der übermittelten Daten dadurch deutlich vereinfacht.

Zusammenwirken mit der Tax Compliance

Wie wirkt sich diese Regelung nun auf die Tax Compliance eines Unternehmens aus? Unstreitig sind die steuerlichen Regelungen sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht zu befolgen. Verstöße werden – entsprechend deren Schwere – durch die Finanzverwaltung sanktioniert.

Bei schweren formellen Fehlern in der Buchführung kann nach § 158 AO deren Beweiskraft erschüttert werden, sodass diese nicht der Steuerermittlung zugrunde gelegt wird. Eine (Zu-)Schätzung nach § 162 AO kann die Folge sein. Nach § 158 Abs. 2 Nr. 2 AO wird neuerdings die Beweiskraft der Buchführung auch dadurch in Zweifel gezogen, dass die „elektronischen Daten nicht nach der Vorgabe der einheitlichen digitalen Schnittstellen des § 41 Absatz 1 Satz 7 des Einkommensteuergesetzes in Verbindung mit § 4 Absatz 2a der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung, des § 146a oder des § 147b in Verbindung mit der jeweiligen Rechtsverordnung zur Verfügung gestellt werden“.

Es wird im Rahmen des § 158 Abs. 2 AO deutlich, dass die beschriebene Rechtsfolge sich nicht nur auf § 147b AO beschränkt, sondern auch andere definierte Schnittstellen, z.B. auch die Schnittstelle für Kassensysteme nach § 146a AO oder die Digitale Lohnschnittstelle (DLS), zum Datenaustausch mit der Finanzverwaltung betrifft.

Paradigmenwechsel

Die vorgenannte Neuregelung des § 158 Abs. 2 AO ist als Paradigmenwechsel zu werten. Nach der bisherigen Auffassung der Finanzverwaltung – und vor allem der höchstrichterlichen Rechtsprechung – führten formelle Fehler der Buchführung nicht grundsätzlich zu deren Verwerfung (BFH v. 25.03.2015, X R 20/13, 2. Leitsatz). Vielmehr wurde davon ausgegangen, dass aufgrund der Fehlerhaftigkeit der Buchführung nur unter Prüfung deren materiellen Inhalts ein Übergang zur Schätzung (z.B. durch Anwendung statistischer Methoden) unter Vernachlässig der vorliegenden Buchführung möglich war.

Nach der Neuregelung ist offensichtlich die Frage nach der materiellen Richtigkeit der Buchführung zweitrangig. Die Umkehrung des Grundsatzes „substance over form“ wird zum Prinzip erhoben und der Grundsatz „form over substance“ postuliert. Die Buchführung kann nunmehr bereits dann verworfen werden, wenn die Daten nicht über die vorgeschriebene Schnittstelle i.S.d. § 147b AO zur Verfügung gestellt werden.

Insofern ist auch nicht verwunderlich, dass das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) den § 158 Abs. 2 AO kritisiert und eine Abänderung dahingehend fordert, „dass die Beweiskraft der Buchführung und Aufzeichnungen stets besteht, wenn der Jahresabschluss gem. § 316 HGB geprüft und ein uneingeschränkter Bestätigungsvermerk erteilt wurde“ (Stellungnahme vom 29.07.2022; ähnlich auch die Bundessteuerberaterkammer vom 7.10.2022). Dieser Forderung ist zustimmen. Sie ist noch dahingehend zu erweitern, dass formelle Fehler – zu denen auch die Schnittstellenfrage zählt – nicht allein eine Buchführungsverwerfung begründen können. Sie sollte einzig indiziell als Ausgangspunkt weiterer materieller Prüfungen dienen.

Folgen für das Tax Compliance Management System

Die Digitalisierung des Besteuerungsverfahrens erweitert die Anforderung an das TCMS. Die Einhaltung materiellen Rechts ist zwar zweifelsohne weiterhin wichtig, aber die formellen Regelungen gewinnen gleichwohl erheblich an Bedeutung. Mängel in der technischen Infrastruktur, die dazu führen, dass Anforderungen der Finanzverwaltung nicht in der richtigen Form erfüllt werden, können im Extremfall zur Verwerfung der Buchführung führen. Dies gilt selbst dann, wenn die Daten auf anderem Wege vollständig und materiell-rechtlich inhaltlich korrekt zur Verfügung gestellt werden.  

Fazit | Sicherlich ist es notwendig, dass im Zuge der Digitalisierung standardisierte Verfahren implementiert werden, die einen Austausch von Daten zur unmittelbaren Weiterverarbeitung ermöglichen. Im Idealfall wäre dabei der Datenaustausch in beide Richtungen vorzusehen – § 147b AO erzwingt dies derzeit nur in eine Richtung (!). Inwieweit eine Rechtsfolge in Form der Verwerfung der Buchführung jedoch noch als angemessen angesehen werden kann, wenn das Scheitern einer Datenübertragung über eine vordefinierte Schnittstelle scheitert, muss bezweifelt werden.