Tax Compliance Steuerstrafrecht
Jürgen Wessing

Das geplante Verbandssanktionengesetz – Auswirkungen auf das Steuerstrafrecht

Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft ist zwar noch nicht final durch das Gesetzgebungsverfahren, allerdings wird damit gerechnet, dass größere Veränderungen trotz maximaler Widerstände in Wissenschaft und Praxis und einiger Widerstände aus der Politik sich nicht durchsetzen werden. Ich behandle deshalb den Entwurf, als wäre er final. Er hat übrigens in seiner zweiten Fassung einiges an Kosmetik in der Überschrift erhalten: Vormals hieß er „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“. Das war ehrlicher; der Diskussion zur Frage, ob Schuld als eine zutiefst menschliche Kategorie überhaupt auf Unternehmen angeknüpft werden kann, ist wohl diese Änderung geschuldet.

Instrumente zur Compliance-Förderung

Die Zielrichtung dieses amerikanische Elemente in unsere Gesetzeslandschaft bringenden Entwurfes ist eindeutig die Nutzung von Sanktionen, die man nicht als Strafen bezeichnen darf, zur Steuerung der Wirtschaft. Die Überschrift könnte auch „Compliance-Förderungsgesetz“ heißen. Die wesentlichen Instrumente dazu sind:

  • Die Einführung des im Strafrecht grundsätzlich herrschenden Offizialprinzips, also der Pflicht zur Verfolgung aller vom Gesetz umfassten Taten im Gegensatz zu dem im Ordnungswidrigkeiten grundsätzlich herrschenden Opportunitätsprinzip, wonach die zuständigen Behörden selbst beurteilen können, ob ein Verhalten verfolgungswürdig ist oder nicht;
  • die Regelung von internen Untersuchungen als verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft, erzwungen durch Normen, die einem Unternehmensführer kaum die Entscheidungsmöglichkeit gegeben, sich gegen Vorwürfe zu verteidigen;
  • Bemessungsgrundlagen für Sanktionszahlungen als Instrument zur Erzwingung von strafrechtlicher Unterwerfung. 

Bezüge zum Steuerrecht

Der Entwurf enthält unmittelbare Bezüge zum Steuerrecht beispielsweise in § 30 Abs. 4 AO-E. Das Steuergeheimnis wird weiter aufgeweicht, Erkenntnisse und personenbezogene Daten, die im Rahmen eines Verfahrens nach dem Verbandssanktionengesetz ermittelt wurden, können verwertet und offenbart werden. Der Erweiterungen der Transparenz in Richtung des Strafrechtes dient auch § 31a Abs. 1 Nr. 1 AO im Bereich der Mitteilung zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung und § 31b Abs. 1 Nr. 1 AO bezüglich Mitteilungen betreffend Geldwäsche und Terrorismus. Konsequenterweise wird dazu in § 88b Abs. 1 AO (regelnd die länderübergreifende Datenbehandlung) das Verfahren nach dem Verbandssanktionengesetz den Verfahren nach dem Strafgesetzbuch gleichgesetzt. Allgemein: Der Art. 10 des Entwurfes, der die Beziehungen der Abgabenordung zum Strafverfahren regelt, stellt das Verfahren nach dem Verbandssanktionengesetz dem Strafverfahren gleich. Das gilt ebenso bezüglich des Steuerstrafverfahrens.

Die „Selbstanzeige“ verliert an Bedeutung

Die mittelbaren Auswirkungen sind beträchtlich. Das beginnt bereits bei der Selbstanzeige. Ein gesetzliches Konstrukt, das in den letzten Jahren ohnehin schon erhebliche Einschränkungen erfahren hat und in der Praxis immer weniger wirksam wird. Das liegt nicht nur an den gesetzlichen Verschärfungen, sondern auch an der dem Umgang  der Gerichte mit der Vorschrift, welche die Selbstanzeige sehr restriktiv handhaben. Besonders deutlich wird dies in den Anforderungen an die Vollständigkeit einer Selbstanzeige, was erhebliche Auswirkungen im Unternehmensbereich zeitigt. Gemäß § 5 Nr. 1 wird eine Verbandssanktion auf Grundlage einer Verbandstat, die nicht verfolgt werden kann, weil eine Strafe ausgeschlossen ist, nicht verhängt. Damit schließt eine wirksame Selbstanzeige eines Unternehmens die Verhängung einer Verbandssanktion aus. Das bedeutet für betroffene Unternehmen, dass alle diejenigen, denen potenziell ein strafrechtlicher Vorwurf gemacht werden kann, sich an einer Selbstanzeige beteiligen müssen. 

Im Effekt bedeutet dies, dass jede Person, die mit dem steuerlichen Vorgang überhaupt in Berührung gekommen ist, besser Teilnehmer einer Selbstanzeige wird. Wenn auch nur eine einzige Person übersehen wird, die später Gegenstand eines Steuerstrafverfahrens ist, ist der Weg in die Verbandssanktion offen. Wer weiß, wie schwierig es ist, alle auch nur entfernt Beteiligten eines steuerlichen Vorgangs zu einer Teilnahme an einer Selbstanzeige zu überzeugen, kann die praktische Schwierigkeiten vorhersehen. Ist das schon der Fall bei aktiven Mitarbeitern, stößt das Verlangen eines Mitwirkens bei ausgeschiedenen Mitarbeitern oftmals auf Unverständnis oder gar Abwehr. In Anbetracht der Tatsache, dass die Vollständigkeit einer Selbstanzeige heutzutage die Aufklärung der steuerlichen Verhältnisse der letzten 10 Jahre verlangt, kann nur auf das Gefühl für Verhältnismäßigkeit des Fiskus gehofft werden – keine gute Grundlage für die Durchführung einer wirksamen Selbstanzeige.

Innere Widersprüche ergeben sich auch im Verhältnis zwischen Selbstanzeige und internen Ermittlungen. Der Entwurf verlangt, dass der Verband selbst oder ein beauftragter Dritter ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammenarbeitet. Wenn dies nicht der Fall ist, verliert der Verband bedeutende Milderungsmöglichkeiten in Bezug auf die Zumessung der Sanktionen. Der Logik nach bedeutet dies, dass in dem Moment, in welchem eine Untersuchung begonnen wird, die Kooperation mit den Behörden beginnen muss. Damit ist aber der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO durch den Verband geschaffen und zementiert. Zu Beginn einer Untersuchung ist aber in der weit überwiegenden Zahl der Verfahren noch nicht bekannt, wer denn Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung ist, ob es sich tatsächlich um eine Steuerhinterziehung handelt oder rechtlich gesehen „nur“ um eine Berichtigung nach § 153 AO. Oder auch gar nichts!

Verband initiiert externe Untersuchung

Jenseits der Selbstanzeige ergeben sich in jedem Steuerstrafverfahren Notwendigkeiten für eine Verteidigung. Dabei bedeutet dies nicht notwendig die Vollverteidigung in Richtung Einstellung oder Freispruch, sondern auch die Verteidigung im Bereich der Strafzumessung. Um eine optimale Grundlage für eine solche Verteidigung zu schaffen, wird in den meisten Fällen der Verband eine externe Untersuchung initiieren. Nach den oben bereits angesprochenen Grundsätzen ist diese Untersuchung nicht nur von Anfang an, direkt zu Beginn, zu installieren, sie ist auch von diesem Moment an der Staatsanwaltschaft rapportpflichtig. Es ist abzusehen, dass zumindest in mittelgroßen bis großen Einheiten regelmäßig eine externe Untersuchung stattzufinden hat. Daraus ergibt sich nicht nur ein interessantes Geschäftsmodell für Anwaltskanzleien und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, sondern eine innere Nähe der vom Unternehmen beauftragten Einheiten zu der Staatsanwaltschaft. 

Praktisch gesehen ist damit die interne Ermittlung nicht mehr neutral, sondern im Lager der Staatsanwaltschaft. Jeder Verteidiger weiß, dass die in § 160 StPO normierte Forderung, nicht nur belastende, sondern auch entlastende Sachverhalte sollten durch den Ermittler aufgeklärt werden, ein Postulat gegen jede Psychologie ist. Das wiederum bedeutet, dass ein Unternehmen, das eine echte Verteidigung will und nicht nur auf reine Unterwerfung spekuliert, eine eigene Untersuchung durch einen Verteidiger des Unternehmens installieren muss. Abgesehen von der doppelten finanziellen Belastung ist noch völlig unklar, inwieweit das Unternehmen und damit auch dessen Verteidigung auf die Ergebnisse der „externen internen Untersuchung“ durch Dritte zurückgreifen kann. 

Beachte Wer die Neigung von Staatsanwaltschaften kennt, Ermittlungsergebnisse tunlichst möglichst lange zurückzuhalten, vermutet Schwierigkeiten in der Transparenz gegenüber dem Unternehmen. 

Sanktionierung führt zur unternehmerischen Sippenhaft

Die Sanktionierung strafrechtlicher Verstöße im Verband ist angelehnt an kartellrechtliche Vorbilder. Sie endet bei 10 Prozent des weltweiten Umsatzes aller natürlichen Personen und Verbände, die mit dem betroffenen Verband als wirtschaftliche Einheit operieren. Man kann es als unternehmerische Sippenhaft bezeichnen, wenn der Verstoß einer Subeinheit mit eigenem Umsatz von wenigen Millionen gemessen wird an den Milliarden Umsätzen der Gesamteinheit. Eine Steuerhinterziehung von wenigen 100.000 Euro kann also theoretisch eine finanzielle Sanktion im Bereich eines 3-stelligen Millionenbetrags hervorrufen. Die Frage, ob ein solches System mit dem grundgesetzlich verankerten Postulat der Verhältnismäßigkeit kollidiert, ist noch zu klären. Jedenfalls: Wenn das Verbandssanktionengesetz unverändert umgesetzt wird, werden Verstöße gegen das Steuerrecht deutlich heftigere Konsequenzen nach sich ziehen.

Ein Letztes | Jegliche Steuerstraftat im Zusammenhang mit dem Unternehmen wird in Zukunft den Staatsanwalt dazu zwingen, nicht nur gegen die handelnden Personen, sondern auch gegen das Unternehmen zu ermitteln. Das Gefühl für Verhältnismäßigkeit und Augenmaß der Steuerverwaltung, den Vorwurf einer Steuerhinterziehung auf die Person zentriert zu sehen und deshalb ein Verfahren gegen das Unternehmen nicht für notwendig zu halten, ist ausgeschaltet.  Die Feststellung einer unternehmensbezogenen Straftat wird in Zukunft regelmäßig die Bebußung des Unternehmens nach sich ziehen. In Anbetracht der potentiellen Bußgeldhöhen ein echtes wirtschaftliches Drohpotenzial.

Eines ist aus meiner Sicht sicher: Tax Compliance wird in der nächsten Zeit ein ganz wichtiges Thema werden, Lässigkeit in diesem Bereich kann sich kein Unternehmen mehr leisten.