Öffentliches Country-by-Country Reporting – Mehr als ein zahnloser Tiger gegen aggressive Steuervermeidung?
Unter der portugiesischen Ratspräsidentschaft wurde im Juni 2021 auf EU-Ebene eine politische Einigung über die Einführung eines öffentlichen Country-by-Country Reporting (CBCR) erzielt und in diesem Zusammenhang einem jahrelangen Diskurs in Steuerpolitik und Steuerwissenschaft ein vorläufiges Ende gesetzt.
Nach dem geänderten Richtlinienentwurf vom 9. Juni 2021 sollen multinationale Konzerne mit Sitz oder Zweigniederlassung in der Europäischen Union grundsätzlich veröffentlichungspflichtig sein, soweit diese in zwei aufeinanderfolgenden Jahren einen konsolidierten Jahresumsatz von mehr als 750 Million € aufweisen. Offenzulegen sind in diesem Zusammenhang bestimmte Informationen (z.B. Anzahl der Mitarbeiter, Nettoumsatzerlöse, Gewinn/Verlust sowie Ertragsteuern), die hierbei für EU-Staaten und nicht-kooperative Länder nach Maßgabe der EU Black-List länderspezifisch auszuweisen sind. Eine erstmalige Anwendung könnte für das Berichtsjahr 2024 erfolgen.
Zielsetzung des öffentlichen Berichtsinstruments
Was versprechen sich die Institutionen der Europäische Union von diesem Berichtsinstrument? Nach dem portugiesischen Staatsminister für Wirtschaft und digitalen Wandel, Pedro Siza Vieira, werden aggressive Steuerpraktiken großer multinationaler Unternehmen, die zu einem jährlichen Steuerausfall von 50 Milliarden Euro führen sollen, „dadurch erleichtert, dass große multinationale Unternehmen nicht zur Berichterstattung darüber verpflichtet sind, in welchen Ländern der EU sie ihre Gewinne erzielen und ihre Steuern zahlen“ (vgl. Rat der EU, Pressemitteilung vom 1. Juni 2021). Diesen Praktiken soll nun durch ein Mehr an Transparenz entgegengewirkt werden. Gegner des öffentlichen CBCR verweisen hingegen insbesondere auf implizite Kosten, die mit der Umsetzung verbunden wären. Während direkte Kosten aufgrund der bereits bestehenden Verpflichtung zum länderbezogenen Bericht gegenüber der Finanzverwaltung zwar weniger bedeutsam erscheinen, kann in der Veröffentlichung eine Einschränkung des Steuergeheimnisses gesehen werden, aus der sich Reputationsverluste für steueraggressive Unternehmen ergeben können. Besonders schwerwiegend könnte sich in diesem Zusammenhang eine Beschränkung auf Unternehmen mit Sitz oder Niederlassung innerhalb der EU als Standortnachteil auswirken (vgl. so z.B. Stiftung Familienunternehmen, 2017; Evers/Meier/Spengel, 2017).
Diese Nachteile eines öffentlichen CBCR können vertretbar sein, wenn dieses zur Erreichung eines höherrangigen Ziels, also der Bekämpfung von aggressiver Steuervermeidung, beiträgt. Aber ist dieses tatsächlich der Fall? Diese Frage wird seit einigen Jahren in der empirischen Steuerliteratur untersucht. Hierbei machen sich die Autoren den Umstand zunutze, dass Unternehmen der mineralölgewinnenden Industrie und Unternehmen des Bankensektors in der EU bereits seit einigen Jahren länderbezogene Informationen offenlegen müssen. Welche Rückschlüsse können aus diesen Studien über die Wirksamkeit eines öffentlichen CBCR gezogen werden?
Studien zu aggressiven Steuervermeidungspraktiken
Insgesamt drei Studien untersuchen bisher den Effekt der Einführung des öffentlichen CBCR auf Steuervermeidungspraktiken im europäischen Bankensektor. Overesch/Wolff zeigen, dass betroffene Banken mit Aktivitäten in Steueroasen nach der Einführung des CBCR signifikant höhere Steueraufwendungen aufweisen als Banken ohne Steueroasenaktivitäten bzw. nationale Banken, die nicht zum CBCR verpflichtet wurden (vgl. Overesch/Wolff, CAR 2021). Joshi/Outslay/Persson zeigen, dass Gewinnverlagerungen bei Finanztöchtern erkennbar zurückgehen, auch wenn dieses ihren Ergebnissen zufolge nicht zu einer signifikanten Steigerung der Steuerbelastung bei von der Offenlegungspflicht betroffenen Banken führt (vgl. Joshi/Outslay/Persson, CAR 2020). Eberhartinger/Speitman/Sureth-Sloane schließlich zeigen, dass betroffene Banken ihre Aktivitäten in Dot-Havens nach Einführung des CBCR signifikant im Vergleich zu nicht-veröffentlichungspflichtigen Versicherungsunternehmen reduziert haben (vgl. Eberhartinger/Speitman/Sureth.Sloane, Working Paper 2020).
Insgesamt scheinen diese Studien somit zu bestätigen, dass zumindest aggressive Steuervermeidungspraktiken in Steueroasen nach Einführung des CBCR tatsächlich rückläufig waren. Trotz aller Skepsis, die diesem Instrument teilweise entgegengebracht wird, konnte es eine gewisse Wirksamkeit also bisher durchaus beweisen. Es kann erwartet werden, dass eine stärkere Standardisierung der Berichte im Zuge der neuen EU-Richtlinie die Wirksamkeit des öffentlichen CBCR zusätzlich erhöhen dürfte. Möglicherweise ist dieses Instrument also doch mehr als ein zahnloser Tiger gegen aggressive Steuervermeidung.