Strafbarkeitsfalle Unternehmenssteuern – Tax Compliance als Ausweg?
Im Unternehmen gehören steuerliche Verfehlungen mehr denn je zu den größten rechtlichen Risikofaktoren für Geschäftsführer und leitende Mitarbeiter. Seit einigen Jahren verschärfen sich die rechtlichen Rahmenbedingungen stetig. Exemplarisch ist auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15.05.2018 (1 StR 159/17) zu verweisen. Der Bundesgerichtshof stellte klar, dass auch Mitarbeiter eines Unternehmens strafrechtlich als Bande angesehen werden können. Mit der Folge, dass sich der Strafrahmen für Steuerdelikte von fünf auf zehn Jahre erweitert. Sichere Häfen für berufliches Handeln existieren im Steuerstrafrecht nicht. Vielmehr sind klassische strafrechtliche Bewertungsmuster, die üblicherweise auf organisierte Kriminalität angewendet werden, in der Unternehmenswelt angekommen.
Steuerliche Vorwürfe nehmen zu
Sachverhalte, die früher in der Betriebsprüfung erledigt wurden, werden von den Finanzämtern zunehmend regelmäßig den Straf- und Bußgeldsachenstellen bzw. den Staatsanwaltschaften vorgelegt. Die Ursachen für diese Klimaverschärfung sind vielfältig. Zu nennen sind zum einen die Verbesserungen bei der Ausbildung und Ausstattung der Finanzbeamten. Zum anderen ist nicht zu verkennen, dass die Bereitschaft von Behörden und Gerichten, Fehler im Bereich des Steuerrechts durch die Brille des Strafrechts zu sehen, in den letzten Jahren gestiegen ist. Dabei wird vermehrt von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Bußgelder gegen die Unternehmen festzusetzen.
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bestätigt diesen Befund. Die überwiegende Zahl der veröffentlichten Entscheidungen zum Steuerstrafrecht betrifft Sachverhalte, in denen es um Unternehmenssteuern geht. Insbesondere die Umsatzsteuer hat sich gerade im grenzüberschreitenden Massengeschäft als fehleranfällig erwiesen. Allerdings auch als anfällig für organisierten Steuerbetrug, in den auch seriös agierende Unternehmen häufig unwissentlich einbezogen werden. Daneben sind insbesondere Lohnsteuer und Sozialabgaben, Verrechnungspreise oder der Betriebsausgabenabzug als klassische Bereiche zu nennen, in denen steuerliche Verfehlungen regelmäßig zur Einleitung von Strafverfahren führen.
Beachte | Da sich Unternehmen nach deutschem Recht zumindest derzeit nicht strafbar machen können, werden Ermittlungsverfahren stets gegen die Personen eingeleitet, die nach vorläufiger Ansicht der Strafverfolgungsbehörden verantwortlich sein könnten. Neben den gesetzlichen Vertretern sind deshalb insbesondere Verantwortliche aus Steuer- und Rechtsabteilung besonders exponiert.
Pflichtenstellung und Sachverhaltskenntnis divergieren
Ein tatsächliches Problem liegt häufig darin, dass die gesetzlichen Vertreter rechtlich die steuerlichen Pflichten des Unternehmens erfüllen. Dies bedeutet vor allem, richtige Steuererklärungen abzugeben. Faktisch verlassen sie sich dabei jedoch häufig auf Zahlen, die in einzelnen Fachabteilungen vorbereitet wurden. Eine solche Divergenz von steuerlicher Pflichtenstellung einerseits und Kenntnis der Geschäftsvorfälle andererseits ist typisch für Unternehmensstrukturen. Gleichwohl schützt auch solchermaßen nachvollziehbare Unkenntnis nicht ohne weiteres vor strafrechtlichen Vorwürfen.
Exemplarisch ist der Sachverhalt, der in der sog. „Panzerhaubitzen“-Entscheidung vom 9. Mai 2017 (1 StR 265/17) zu erörtern war. Stark vereinfacht hatten Mitarbeiter eines deutschen Unternehmens korruptive Zahlungen an griechische Beamte geleistet, um einen Rüstungsauftrag zu erhalten. Den Abfluss des Geldes tarnten die Mitarbeiter durch Rechnungen, denen tatsächlich keine Leistungen zugrunde lagen. Diese Abdeckrechnungen gelangten in die Buchführung und führten dazu, dass die getarnten Schmiergelder als Betriebsausgaben den Gewinn minderten und zu einer Verkürzung von Steuern führten. Das Ermittlungsverfahren wurde u.a. gegen die gesetzlichen Vertreter eingeleitet, weil sie die Steuererklärungen abgegeben hatten.
Hinweis | Die fehlende Kenntnis des Vorstands spielt zumindest im Ermittlungsverfahren regelmäßig keine Rolle. Und auch später kann es für die gesetzlichen Vertreter schwierig werden, einem rechtlich zwar nicht genügenden, gleichwohl aber häufigen Vorwurf eines „hätte-wissen-müssens“ wirksam zu begegnen.
Bundesgerichtshof erweitert Täterkreis
Bemerkenswert an der sog. „Panzerhaubitzen“-Entscheidung war dabei u.a., dass der Bundesgerichtshof die handelnden Mitarbeiter selbst als Täter einer Steuerhinterziehung ansah. Zwar waren diese nicht verpflichtet, für die steuerlichen Pflichten des Unternehmens einzustehen oder selbst eine Steuererklärung abzugeben. Ebenso wenig existiert eine allgemeine Rechtspflicht, Steuerhinterziehung im Unternehmen zu verhindern. Der Bundesgerichtshof entschied jedoch, dass sich als Täter einer Steuerhinterziehung auch strafbar macht, wer unrichtige Informationen so in ein Unternehmen einspielt, dass sie bei regelhaftem Ablauf zu einer Steuerverkürzung führen. Dies erweitert den Kreis der potenziell Beschuldigten in einem Steuerstrafverfahren nochmals erheblich.
Tax Compliance als Ausweg
Dem in der Praxis häufigen Befund, dass auf der Arbeitsebene Fehler begangen werden, die dort mangels steuerlicher Pflichtenstellung nicht bestraft werden können, und es auf der Ebene der gesetzlichen Vertreter am Wissen fehlt, ist der britische Gesetzgeber bereits im Jahr 2017 mit einem neuen Gesetz begegnet (Corporate offence of failure to prevent the facilitation of tax evasion). Nach britischem Recht können sich seither auch Unternehmen strafbar machen, wenn sie es unterlassen, effektive Strukturen zur Verhinderung steuerlicher Verfehlungen einzurichten. Das britische Strafgesetz gilt dabei international und erfasst insbesondere auch deutsche Unternehmen, die einen geschäftlichen Bezug nach Großbritannien haben. Das Unternehmen kann sich dabei ausschließlich durch den Nachweis angemessener Maßnahmen verteidigen. In Großbritannien kann Tax Compliance deshalb bereits heute als ein Ausweg aus der Strafbarkeitsfalle gelten.
Auch in Deutschland sind entsprechende Tendenzen zu einer Enthaftung durch Compliance nicht zu übersehen. Zwar existiert bisher noch keine ausdrückliche gesetzliche Pflicht, ein (Tax) Compliance System einzurichten. Insbesondere aus der jüngeren Rechtsprechung ergibt sich jedoch eine erheblich gestiegene Bedeutung des Themas. So entschied der Bundesgerichtshof in der o.g. „Panzerhaubitzen“-Entscheidung erstmals ausdrücklich, dass es für die Bemessung einer Unternehmensgeldbuße maßgeblich darauf ankommt, inwieweit das Unternehmen seiner Pflicht, Rechtsverletzungen zu unterbinden genügt und ein effizientes Compliance Management installiert hat, das auf die Vermeidung von Rechtsverstößen ausgelegt ist.
Ausblick | Für die Praxis ist die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu begrüßen. Zwar wurden auch früher bereits entsprechende Bemühungen zur Verhinderung von Rechtsverstößen bußgeldreduzierend anerkannt. Auch die Kosten zur Einrichtung oder Optimierung entsprechender Systeme konnten berücksichtigt werden. Auch wenn es an einer gesetzlichen Regelung weiterhin fehlt, besteht nunmehr zumindest Rechtssicherheit darüber, dass die Einrichtung bzw. Optimierung eines Compliance Management Systems bußgeldreduzierende Wirkung hat. Deshalb ist auch klar, dass sich entsprechende Bemühungen auch wirtschaftlich lohnen können.
Bei der Umsetzung stehen Geschäftsführung, Steuerabteilung und Rechtsabteilung allerdings weiterhin vor großen Herausforderungen. Denn anders als z.B. die US-Behörden geben der deutsche Gesetzgeber oder Behörden keine Richtlinien vor, anhand derer sich bestimmen ließe, ob ein Compliance Management System effektiv ist bzw. von den Strafverfolgungsbehörden als ausreichend angesehen wird. Hierbei kommt es zudem maßgeblich auf das Unternehmen und die dort bestehenden individuellen Risiken an. Nur wenn diese zutreffend analysiert und fortlaufend beobachtet werden, lassen sich angemessene und wirksame Strukturen entwickeln, die im Fall eines Rechtsverstoßes effektiven Schutz vor strafrechtlichen Vorwürfen bieten.
Als sicher darf jedoch bereits heute gelten, dass ein erkannter Rechtsverstoß nach sofortigem Handeln verlangt. Neben einer unmittelbaren Aufarbeitung des Sachverhaltes sind die Ursachen festzustellen und zu beheben.
Leonie Linke, LL.M., ist Rechtsanwältin im Bonner Büro der Sozietät Rettenmaier & Adick Rechtsanwälte PartG mbB.