Compliance und Steuer – eine Neubewertung
Die gemeinsame Schnittmenge für einen Beitrag zum Thema Compliance und Steuerrecht liegt auf den ersten Blick nicht unbedingt auf der Hand. Klammert man die „Siemens/Neubürger“-Entscheidung des LG München I (LG München, Urt. v. 10.12.2013 – 5HK O 1387/10, 5HK O 1387/10) mal aus, stellt man fest, dass Gerichtsentscheidungen, die sich mit Compliance-rechtlichen Fragen befassen, bis dato relativ rar gesät sind. Dies ist insbesondere deswegen verwunderlich, da in Literatur und Praxis das Thema allgegenwärtig ist. Der folgende Beitrag geht darauf ein, inwiefern Compliance auch auf das Steuerrecht einen größeren Einfluss hat, als man zunächst vielleicht annehmen möchte.
Compliance lohnt sich
Als Aufhänger dafür dient ein Urteil des BGH vom 9.5.2017 (BGH, Urt. v. 9.5.2017 – 1 StR 265/16). Obwohl der BGH sich bei diesem Verfahren vorrangig mit steuerrechtlichen Spezialfragen zu befassen hatte, etwa wann eine Tatentdeckung im Sinne des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO vorliegt und von wem eine solche entdeckt werden kann, ließ er es sich nicht nehmen, im Rahmen eines obiter dictums festzuhalten, dass für die Bemessung einer Geldbuße das Compliance-Management eine wichtige Bedeutung hat.
Nach Ansicht des BGH ist für die Höhe einer Geldbuße gemäß § 30 Abs. 1 OWiG von Bedeutung, inwieweit ein Unternehmen seiner Pflicht, Rechtsverletzungen aus der eigenen Sphäre zu verhindern, nachkommt. Dies ist meines Erachtens nicht zuletzt davon abhängig, ob ein gut funktionierendes Compliance-Management-System (CMS) in dem Unternehmen eingerichtet ist. Sogar, wenn das Unternehmen erst im Laufe des Verfahrens dieses System einrichtet oder optimiert, um etwaige zukünftige Rechtsverstöße zu vermeiden, hat das nach Auffassung des BGH positive Auswirkungen auf die Höhe der Geldbuße.
Mithin ist die notwendige Konsequenz des Urteils, dass sich die Einrichtung eines CMS, insbesondere nach Aufdeckung einer Tat, nicht nur auf die Höhe einer etwaigen Geldbuße gegen das Unternehmen auswirken kann, sondern auch auf die individuelle Strafzumessung der betroffenen Personen. Für einen Verteidiger heißt das, dass er aktiv darauf hinwirken muss, dass Compliance entweder neu eingerichtet oder verschärft und angepasst wird. § 46 Abs. 2 StGB schreibt vor, dass sich das Verhalten nach der Tat auf die Höhe der Strafe auswirkt.
Beachte | Einem Vorstand, dem eine Steuerhinterziehung – aber auch eine Steuerordnungswidrigkeit – zu Gunsten seines Unternehmens vorgeworfen wird, muss es daher zugutekommen, wenn er sich schon vor oder auch nach der Tat um die Einrichtung eines wirksamen CMS in dem Unternehmen bemüht.
Ein CMS kann nicht nur dabei helfen, Steuerstraftaten schon im Voraus zu vermeiden, sondern es kann auch die Folgen einer bereits begangenen Straftat für das Unternehmen mildern. Die Entscheidung des BGH ist vorbehaltslos zu begrüßen, da sie Unternehmen und deren Lenker dazu motivieren wird, effiziente CMS zu installieren, um so am Ende des Tages auch im Falle einer Geldbuße mehr Geld in der eigenen Kasse zu behalten. Damit verliert Compliance auch das Odium, „nur zu kosten und Steine in den Weg zu legen“, das ihm vor allem im mittelständischen Bereich immer noch anhaftet.
Tax Compliance-Management-System
Jenseits des konkreten Falles, welcher den BGH beschäftigte, können auch Steuerstraftaten als Anknüpfungspunkt für eine Unternehmensgeldbuße dienen und Compliance auf die Strafzumessung Einfluss nehmen. Es ist von äußerster Wichtigkeit, dass Unternehmen im Rahmen ihrer CMS auch ein Tax Compliance-Management-System (Tax CMS) unterhalten. Ein solches dient speziell dazu, strafrechtliche Risiken in Bezug auf das Steuerrecht zu erkennen und so Straftaten zu verhindern. Ein durchaus schwieriges Gebiet der Compliance, da kein anderes Rechtsgebiet in derart ständiger Bewegung seitens Rechtssetzung und Rechtsprechung ist, ganz abgesehen von der oft genug abweichenden Handhabung der Finanzbehörden. Die enorme Wichtigkeit der Einrichtung eines solchen Systems wird durch den Anwendungserlass zu § 153 AO in einem Schreiben des BMF vom 23.5.2016 (BMF v. 23.5.2016 – IV A 3 – S 0324/15/10001, IV A 4 – S 0324/14/10001, DOK 2016/0470583, BStBl. I 2016, 490, DStR 2016, 1218) unterstrichen.
Nach Ansicht des BMF kann ein innerbetriebliches Kontrollsystem, das der Erfüllung der steuerlichen Pflichten dient – also ein Tax CMS – ein Indiz darstellen, das gegen die Annahme eines Vorsatzes oder der Leichtfertigkeit spricht. Ein effizientes Tax CMS kann also schon bei der Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit von Straftaten Auswirkungen haben. Zwar ist nach dem Anwendungserlass – was eine Selbstverständlichkeit ist – weiterhin jeder Einzelfall isoliert zu untersuchen – dies sollte Unternehmen aber nicht davon abhalten, von dieser Chance Gebrauch zu machen, um strafrechtlichen Risiken zu vermeiden.
Wie ein solches System im Einzelnen aussehen soll, erklärt das BMF nicht. Als Orientierung dient der Praxishinweis des Instituts der Wirtschaftsprüfer e.V. (IDW) vom 31.5.2017 (IDW, Praxishinweis 1/2016: Ausgestaltung und Prüfung eines Tax Compliance Management Systems gemäß IDW PS 980, Stand 31.5.2017). Danach sei die Prüfung eines Tax CMS ein besonderer Anwendungsfall des vom IDW entwickelten Prüfungsstandards IDW PS 980. Trotz der Tatsache, dass dem IDW PS 980 keine Gesetzeskraft zukommt, wird es einem Unternehmen einfacher möglich sein, Gerichte und Behörden davon zu überzeugen, dass ein effektives Tax CMS im Unternehmen implementiert ist, wenn es dem Prüfungsstandard IDW PS 980 entspricht (vgl. Breimann/Schwetzel, DStR 2017, 2626, 2629).
Hinweis | Interessant ist ein Tax CMS auch aufgrund des Umstands, dass dieses einem Unternehmen dabei helfen kann, steuerliches Einsparpotenzial zu identifizieren (Handel, DStR 2017, 1945). Durch innerbetriebliche Kontrollsysteme können also nicht nur Geldbußen verringert, sondern auch die eigentlichen Steuerabgaben auf legalem Wege reduziert werden – das Unternehmen spart somit quasi „doppelt“.
„Better safe than sorry“ | Auch wenn die Folgen des Anwendungserlasses des BMF wohl erst vollends einschätzbar sein werden, wenn ein einschlägiger Fall vor den obersten Gerichten landet, wird dennoch deutlich, dass der Einfluss von Compliance auch im Steuerrecht stetig zunimmt. Unternehmen sollten es daher nicht verpassen, von den Vorteilen, die ihnen ein Tax CMS bieten kann, Gebrauch zu machen – getreu dem Motto „better safe than sorry“. Dabei wird es neben der Einrichtung von Tax CMS fast ebenso wichtig sein, wie sorgfältig einzelne Compliance Maßnahmen durch das Unternehmen dokumentiert werden. Positive Prüfungsergebnisse nach IDW PS 980 sind zwar begrüßenswert, besser ist jedoch, wenn das Unternehmen zusätzlich seine eigenen Compliance Maßnahmen dokumentiert, um auch für lang zurückliegende Ereignisse einen Nachweis liefern zu können.