Wirtschaftsstrafrecht und Steuerstrafrecht – Siamesische Zwillinge?
Wenn man das Thema Steuerstrafrecht behandelt, denkt man in erster Linie an den klassischen Straftatbestand des § 370 AO. Bei diesem und allen anderen Straftatbeständen des Steuerstrafrechts handelt es sich um Blanketttatbestände, die erst durch das materielle Steuerrecht ausgefüllt werden.
Die erste Verbindung zwischen Steuerstrafrecht und dem allgemeinem Strafrecht ergibt sich bereits aus dem Gesetz. Denn § 369 Abs. 2 AO regelt, dass für Steuerstraftaten die allgemeinen Gesetze über das Strafrecht gelten, soweit die Strafvorschriften der Steuergesetze nichts anderes bestimmen. Damit wird klargestellt, dass insbesondere Regelungen zur Täterschaft und Teilnahme (§§ 25 ff. StGB) oder zum Versuch und zum Rücktritt (§§ 22 ff. StGB) auch im Steuerstrafrecht Anwendung finden. Darüber hinaus hat das Steuerstrafrecht aber nicht nur Konnex zum allgemeinen Strafrecht und zum Strafprozessrecht, sondern insbesondere auch zum Wirtschaftsstrafrecht. Dies zeigt sich besonders in der Vorschrift des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG.
„Bindeglied“ zum Wirtschaftsstrafrecht
Grundsätzlich werden bei der Berechnung des Gewinns einer Unternehmung Betriebsausgaben gewinnmindernd und damit steuermindernd berücksichtigt. Gemäß § 4 Abs. 4 EStG sind Betriebsausgaben diejenigen Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind, also für den Betrieb notwendig oder vorteilhaft sind. Hiervon regelt § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 10 EStG jedoch eine Ausnahme. Danach dürfen Zuwendungen von Vorteilen und die damit zusammenhängenden Aufwendungen, wenn die Zuwendung eine rechtswidrige Handlung darstellt, die bestraft oder bebußt werden kann, nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden. Einfacher ausgedrückt: Wer zum Beispiel jemanden dafür schmiert, um den Zuschlag für einen Auftrag zu erhalten, kann diese Ausgaben nicht steuerlich absetzen (vgl. nur: Bülte, in: Rotsch, Criminal Compliance vor den Aufgaben der Zukunft, S. 88).
Beachte | Voraussetzung ist also, dass der Tatbestand eines Strafgesetzes oder eines Bußgeldtatbestandes erfüllt ist und die Handlung rechtswidrig ist (Blümich/Wied, EStG § 4 Rn. 9050). Dagegen ist nicht erforderlich, dass der Täter auch schuldhaft gehandelt hat.
Compliancewidrige Handlungen sind rechtswidrig
Wer Korruption begeht, wird dies wohl kaum offenlegen. So wird die „Provision“ für den Verkehrsminister, an dessen Staat fünfhundert Lkw geliefert werden, selten als Bestechungszahlung im Buchwerk einer Firma ausgewiesen sein. Üblich sind Tarnungen als Vermittlungsprovision an Dritte. Und die werden dann gewinnmindernd verbucht. Aber bereits die compliancewidrige Einladung des Einkäufers ist rechtswidrig.
Die Konsequenzen sind, aus Tätersicht, heftig: Weil die Bestechungssumme und alle damit zusammenhängenden Kosten, wie die Reise in die Bananenrepublik oder auch in einen durchaus befreundeten Staat, steuerlich nicht gewinnmindernd angesetzt werden durften, ist die durch die Gewinnminderung entstandene Steuerentlastung schlicht Steuerhinterziehung. Hinzu kommt, dass die Vorschrift Zähne hat: Steuerprüfer sind verpflichtet, Vorgänge der Staatsanwaltschaft zu melden und umgekehrt.
Hinweis | Wer Korruption mit einer gewissen Regelmäßigkeit begeht – das war in den Bauämtern mancher Städte Standard – hinterzieht nicht nur Einkommensteuer, sondern auch Gewerbesteuer.
Die bestrafte Selbstanzeige
Ein weiterer oft aktiver Verknüpfungspunkt zum allgemeinen Strafrecht liegt in der Selbstanzeige nach § 371 AO. Hierbei legt der Steuerpflichtige steuerstrafrechtliche Delikte offen, um einer Strafe zu entgehen, setzt sich aber zugleich dem Risiko aus, dass er damit Hinweise auf Korruptionshandlungen oder andere Straftaten offenlegt (vgl. BGH NJW 2008, 3517, 3518).
Beachte | Der Geschäftsführer hat über die Jahre dem Unternehmen Geld entzogen und in der Schweiz angelegt. Wenn er die dort angefallenen und nicht versteuerten Beträge „sauber“ machen will, läuft er Gefahr, dass nach der Herkunft der Gelder geforscht wird und damit seine Untreue aufgedeckt wird. Dann ist zwar das Steuerstrafverfahren vermieden, jedoch das Ermittlungsverfahren wegen Untreue durch die selbst belastenden Angaben im Steuerstrafverfahren verteidigungslos.
Fazit | Es gibt viele weitere Fälle, in denen Steuerstrafrecht und das Wirtschaftsstrafrecht durch die materielle Ebene des Steuerrechts verbunden sind. Die vorstehenden Ausführungen sollten bereits zum Beleg der These in der Überschrift ausreichen.
Prof. Dr. Wessing ist Partner der auf Wirtschafts- und Steuerstrafrecht spezialisierten Kanzlei Wessing & Partner Rechtsanwälte mbB. Er ist Lehrbeauftragter für Strafprozessrecht und Steuerstrafrecht an der Universität Düsseldorf und tätig als Koordinator/Verteidiger in Umfangverfahren von mehrjähriger Dauer sowie in der Präventions- und Krisenberatung von Produktionsfirmen, Kreditinstituten und internationalen Konzernen.