Wird Europa zum Eldorado für loan to own-Investoren?
Auf der Tagesordnung der kommenden Sitzung des Justizministerrats am 11. und 12. Oktober steht auch der von der Kommission im November 2016 vorgelegte „Entwurf einer Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren (COM 2016 723 final)“. Nimmt der Justizministerrat die von der Ratspräsidentschaft am 1.10.2018 vorgelegte „Allgemeine Ausrichtung“ an, ist der Weg frei für den Trilog zwischen Kommission, Parlament und Rat, der zu einer Verabschiedung der Richtlinie noch im Frühjahr 2019, also vor der Europawahl, führen soll.
Zahlreiche Punkte sind noch klärungsbedürftig
Bis dahin sind allerdings noch zahlreiche, zum Teil sehr grundsätzliche Punkte zu klären und gravierende Fehlsteuerungen zu korrigieren, die insbesondere das präventive Restrukturierungsverfahren betreffen. Schon die Frage, wer das Verfahren einleiten darf, ist noch nicht geklärt. Kann nur der Schuldner einen entsprechenden Antrag stellen – so sah es der Entwurf der Kommission vor oder sind – wie es nun der Entwurf der Allgemeinen Ausrichtung des Rates vorschlägt – auch Gläubigeranträge statthaft?
Ferner muss geklärt werden, wie das Restrukturierungsverfahren mit dem Insolvenzverfahren verzahnt bzw. von diesem abgegrenzt wird. Nicht zuletzt geht es in diesem Zusammenhang um die Frage, ob sich der europäische Gesetzgeber auch in Zukunft davor drücken kann, den Begriff „Insolvenz“ zu definieren (vgl. Art. 2(2) des Entwurfs der Allgemeinen Ausrichtung). Durch das Vakuum, das der europäische Gesetzgeber an dieser Stelle lässt, entstehen eine Fülle von Schwierigkeiten, die vor allem den Anwendungsbereich der Richtlinie betreffen. Das ließe sich vermeiden, wenn man die Kraft fände, für das europäische Recht festzuschreiben, dass „Insolvenz“ mit Zahlungsunfähigkeit gleichzusetzen ist. Sorgen, dass eine solche Definition zu weitgehend in die nationalen Rechte eingreifen würde, sind unbegründet, denn es bliebe den Mitgliedstaaten unbenommen, in ihrem Recht jeweils autonom die Voraussetzungen für die Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu bestimmen.
Eine weitere und vielleicht die wichtigste „Baustelle“ betrifft die Position der Anteilseigner in präventiven Restrukturierungsverfahren. Hier ist vieles vage und es drängt sich die Vermutung auf, dass dahinter Absicht steckt. Nicht zuletzt lässt sich dem Entwurf keine klare Antwort auf die Gretchenfrage entnehmen, ob ein debt to equity swap auch gegen den Willen der Gesellschafter möglich ist. Der Gesetzgeber schleicht hier um den heißen Brei herum und verbirgt die Brisanz der Regelung in einer Fülle recht unübersichtlicher Vorschriften: Aus Art. 2(1.3) ergibt sich, dass der Restrukturierungsplan auch in die Rechte von Gesellschaftern eingreifen kann. Erwägungsgrund 2 in der Fassung des Entwurfs der Allgemeinen Ausrichtung setzt voraus, dass ein solcher Eingriff auch ein debt to equity swap sein kann.
Mitwirkungsrechte der Anteilseigner
Hinsichtlich der Mitwirkungsrechte der Anteilseigner sollen die Mitgliedstaaten zwischen zwei Grundmodellen wählen können, die ihrerseits Abwandlungen zulassen:
Nach dem Modell A stehen die Anteilseigner in einem präventiven Restrukturierungsverfahren ähnlich wie in einem deutschen Insolvenzplanverfahren. Sie können in einer (ggf. auch mehreren) eigenen Klassen über die Annahme des Restrukturierungsplans abstimmen, wobei nach der Allgemeinen Ausrichtung innerhalb einer Klasse kein höheres Mehrheitserfordernis als 75% zulässig ist. Kommt die erforderliche Mehrheit in der Gruppe der Anteilseigner nicht zustande, kann die fehlende Zustimmung durch das Instrument des „cross-class cram-down“ überwunden werden.
Ein cross-class cram-down soll nach Art. 11(2) der Allgemeinen Ausrichtung schon dann möglich sein, wenn eine einzige Klasse für den Plan gestimmt hat, sofern diese Klasse bei Anlegung von going concern-Maßstäben nicht vollständig „aus dem Geld“ ist. Mit anderen Worten: Selbst wenn die Gesellschafter einen Restrukturierungsplan, der einen debt to equity swap vorsieht, ablehnen, kann der Plan trotzdem bestätigt werden, wenn nur eine einzige andere Klasse von Beteiligten, die noch etwas zu verlieren haben, den Plan annimmt.
Hinweis | Damit wird Investoren das verschafft, was man in der US-amerikanischen Praxis anschaulich als „fulcrum security“, also als Hebelpunkt für die Übernahme der Gesellschaft, beschreibt.
Schlechterstellungsverbot schützt vor Wertverschiebungen
Der einzige verbleibende Schutz der Gesellschafter vor Wertverschiebungen ist das Schlechterstellungsverbot aus Art. 10 (2(b)), das sich zwar seinem Wortlaut nach nur auf Gläubiger bezieht, das aber auch auf Anteilseigner angewendet werden muss, wenn der Plan in deren Rechtsstellung eingreifen würde. Nach dem Schlechterstellungsverbot ist ein cross-class cram-down dann nicht zulässig, wenn die dissentierende Klasse unter dem Plan schlechter stehen würde, als sie in einem going concern-Szenario ohne Plan stünde. Ob das Schlechterstellungsverbot die Gesellschafter tatsächlich effektiv schützen kann, hängt aber nicht zuletzt vom angewendeten Bewertungsmaßstab und davon ab, ob hinsichtlich der Bewertung eine effektive Kontrolle möglich ist. Insoweit sind Zweifel an der Angemessenheit der Entwurfsregelung angebracht. Denn der Entwurf lässt es nach Erwägungsgrund 27 sogar zu, auf Zerschlagungswerte abzustellen, wofür bei einer Gesellschaft mit positiver Fortführungsprognose jede Rechtfertigung fehlt.
Für loan to own-Investoren, deren Strategie darauf abzielt, über den Hebel der von ihnen erworbenen notleidenden Verbindlichkeiten die Gesellschaft zu übernehmen, würde mit einer solchen Regelung insbesondere in Verbindung mit dem angesprochenen Gläubigerantragsrecht geradezu ein Traum wahr und Europa zum Eldorado für feindliche Übernahmen mittels Restrukturierungsverfahren. Vor so einem Szenario kann man nicht energisch genug warnen. Die Regelung passt allenfalls für Unternehmen, die rechtlich überschuldet sind. Ob das der Fall ist, wird aber bei Einleitung des Restrukturierungsverfahrens nicht geprüft. Ohnedies müsste ein so ausgestaltetes Restrukturierungsverfahren unbedingt mit kapitalmarktrechtlichen Offenlegungsobliegenheiten verknüpft werden, so dass der Erwerb der notleidenden Verbindlichkeiten transparent wird.
Beachte | Es ist dringend zu hoffen, dass sich der deutlich vorsichtigere Ansatz durchsetzen wird, der dem Modell B zugrunde liegt und der in Erwägungsgrund 29 in der Fassung der Allgemeinen Ausrichtung angedeutet ist. Im Modell B ist das Instrument des cross-class cram-down nicht auf Eingriffe in die Stellung der Gesellschafter anwendbar. Vielmehr bleibt es bei den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Regeln, wobei diese allerdings so auszugestalten sind, dass entsprechende Restrukturierungsmaßnahmen „are not subject to unreasonably high majority requirements and that equity holders have no competence in terms of restructuring measures which do not directly affect their rights.“
Fazit | Der präventive Restrukturierungsrahmen hat in der Fassung des Entwurfs der Allgemeinen Ausrichtung das Potential, nicht nur die Praxis von Unternehmenssanierungen, sondern auch die Praxis von Unternehmensübernahmen gravierend zu verändern. Dabei sollte man sich nicht damit beruhigen, dass der endgültige Text der Richtlinie den Mitgliedstaaten aller Voraussicht nach ein ganz erhebliches Maß an Freiheit bei der Umsetzung lassen wird, so dass es dem deutschen Gesetzgeber unbenommen bleibt, für Deutschland ein Restrukturierungsrecht zu schaffen, das die oben angedeuteten Ansatzpunkte nicht bietet. Denn gerade weil wir es künftig mit einem Flickenteppich sehr unterschiedlicher Restrukturierungsverfahren zu tun haben werden, müssen wir uns – vorbehaltlich der unklaren grenzüberschreitenden Wirkung eines präventiven Restrukturierungsplans (vgl. den vagen Erwägungsgrund 10a) – auf Restrukturierungstourismus in einer ganz neuen Dimension einstellen.
Dadurch wird nicht nur das mit der Richtlinie ursprünglich verfolgte Ziel der Vereinheitlichung der Restrukturierungsrechte der Mitgliedstaaten klar verfehlt, es besteht auch die Gefahr eines race to the bottom, von dem vor allem loan to own-Investoren profitieren werden. Europa und seine Unternehmen haben etwas Besseres verdient.