Rückkehr des Protektionismus: Beachtung des Zusammenspiels von Zöllen und Steuern
Nahezu täglich gibt es neue Meldungen zur Zollpolitik der USA und ihrer Handelspartner: Strafzölle für Waschmaschinen und Solarmodule wurden eingeführt, ebenso solche für Stahl und Aluminium, wobei Importe aus der EU vorerst noch ausgenommen werden. Die EU wiederum hat Pläne für Strafzölle auf amerikanische Produkte bei der WTO hinterlegt und auch Indien hat jüngst die Zölle beispielsweise für Smartphones und Automobilteile deutlich erhöht (vgl. zur US-Zollpolitik und möglicher Reaktionen der EU: Herrmann, Global Mergers & Transactions, TLE-013-201). Zu dieser zollrechtlichen Unsicherheit kommt die umfassende US-Steuerreform vom Dezember 2017, deren Kernpunkt die Absenkung des Körperschaftsteuersatzes auf 21 % ist (vgl. zu Details Becker/Englisch, Global Taxes, TLE-38-2017 und Watrin, Global Taxes, TLE-005-2018).
Die Wertschöpfungskette – Zentrale Anknüpfung für Steuern und Zölle
Lucks (Lucks, Global Mergers & Transactions, TLE-015-2018) skizziert in seinem Beitrag eine Welt der Industrie 4.0, die durch hochflexible Wertschöpfungsketten geprägt sein werde, welche dann den Gegebenheiten aus Markt und Zöllen schnell angepasst werden können. Dabei können diese schon heute hinsichtlich der Abgabenlast optimiert werden. Dazu müssen jedoch die Wechselwirkungen zwischen Zöllen und Steuern bekannt sein und der Konzern muss über ein entsprechendes Optimierungsmodell verfügen. Die Auswirkungen geplanter oder umgesetzter Änderungen des zoll- und steuerrechtlichen Umfelds können dann akut erfasst werden. Auch wenn beispielsweise die Endfertigung eines Automobils nicht schnell verlagert werden kann (vgl. Lucks, Global Mergers & Transactions, TLE-015-2018), so können doch die vorgelagerten Stellen in der globalen Wertschöpfungskette identifiziert werden, bei denen eine Änderung kurz- oder mittelfristig möglich ist und eine Abgabenreduzierung erreicht werden kann.
Zölle und Steuern – isolierte Betrachtung greift zu kurz
Im Vordergrund stehen dabei in der Regel Produkte, die bzw. deren Komponenten in mehreren Ländern hergestellt und dann in einem Zielland wie z.B. den USA oder Indien abgesetzt werden sollen. Diese grenzüberschreitenden Prozesse erfordern besondere Beachtung durch die Steuer- und Zollabteilungen, um die Abgabenlast möglichst gering zu halten. Hinzu kommen die gegensätzlichen Interessenlagen von Steuer- und Zollbehörden bzgl. der Bemessungsgrundlage: Bei der Einfuhr einer Ware wird die Zollverwaltung einen höheren Zollwert im Zweifel nicht beanstanden, da dieser die Zolleinnahmen positiv beeinflusst; aus ertragsteuerlicher Sicht vermindert ein hoher Verrechnungspreis hingegen die Bemessungsgrundlage. Wenig praxisfreundlich ist auch das jüngste Urteil des EuGH (EuGH vom 20.12.2017, C-529/16), wonach eine nachträgliche Verrechnungspreisanpassung durch Gutschriften keinen Anspruch auf Reduzierung des Zollwerts begründet.
Plant das Unternehmen den Aufbau einer globalen Wertschöpfungskette für ein neues Produkt oder soll die eines bereits produzierten Produkts optimiert werden, sind folgende steuer- und zollrechtliche Wirkungen zu beachten: Ein möglichst großer Teil des Gewinns sollte in dem Land mit den relativ geringeren Ertragsteuersätzen anfallen. In Ländern mit relativ höheren Einfuhrzollsätzen sollten wertmäßig möglichst kleine Bestandteile eingeführt werden. Die Zollzahlung wiederum kann die steuerliche Bemessungsgrundlage mindern, was sich in einem relativ hoch besteuernden Land mehr auswirkt. Ertragsteuerlich unterliegt nur der im jeweiligen Land nach Verrechnungspreisgrundsätzen realisierte Gewinn der Steuer, wohingegen der Zollwert i.d.R. den gesamten bis zum Grenzübertritt geschaffenen Wert umfasst. Die zollrechtliche Bemessungsgrundlage wird also mit fortschreitender Wertschöpfung größer.
Beispiel
Folgendes vereinfachtes Beispiel soll aufzeigen, dass nur eine kombinierte Analyse beider Abgaben zum optimalen Ergebnis führen kann.
Ein Unternehmen will ein Produkt in Land 4 absetzen, dessen Wertschöpfung anteilsmäßig zu mindestens je 10% in den Ländern 1, 2, 3 und 4 stattfindet. Folgende Ertragsteuer- (τ^E) und Einfuhrzollsätze (τ^Z) seien gegeben: τ_1^E=20%,τ_2^E=25%,τ_3^E=28%,τ_4^E=40% sowie τ_2,1^Z=10%,τ_3,2^Z=10%,τ_4,3^Z=7,5%. Weiterhin wird angenommen, dass Wertschöpfung und Kostenanteile gleichlaufen und auch die Bruttogewinnmarge vor Steuern und Zöllen (annahmegemäß 40%) der Wertschöpfung folgt, was insoweit den Vorgaben der OECD entspricht (vgl. OECD Transfer Pricing Guidelines for Multinational Enterprises and Tax Administrations 2017, S. 111, 127 ff., 142 ff.).
Lösung: Die geringste Zollbelastung würde sich ergeben, wenn möglichst viel (70%) im letzten Land 4 und in den anderen Ländern 1 bis 3 nur der Mindestanteil (10%) produziert wird, da die Wertschöpfung im Absatzland 4 dort nicht zu verzollen ist. Bei rein ertragsteuerlicher Betrachtung (keine Zölle) wäre der umgekehrte Fall optimal: 70% in Land 1 mit dem niedrigsten Steuersatz und in Land 2 bis 4 nur je 10%. Ist der Endumsatz (Absatzpreis) an den unverbundenen Dritten in Land 4 (markt)gegeben, ergibt sich bei kombinierter Betrachtung die höchste Nettoumsatzrentabilität mit 22,49% jedoch bei einer Aufteilung von Land 1 10%, Land 2 10%, Land 3 60% und Land 4 20%. Der relativ hohe Einfuhrzollsatz von Land 2 nach 3 wirkt sich bei höherer Wertschöpfung in Land 3 nur gering aus, da nur 20% zu verzollen sind. Würde man allerdings produktbezogen den niedrigsten effektiven Steuersatz ermitteln, ergäbe sich dieser bei einer Aufteilung von Land 1 40% und Land 2 bis 4 je 20%, wobei die Nettoumsatzrentabilität dann aber nur 18,44% betragen würde.
Beachte | Das zeigt, dass der effektive Steuersatz bei einer produktbezogenen Betrachtung keine geeignete Kennzahl darstellt. Würde der Steuersatz im Beispielfall in Land 4 auf 35% sinken, läge die höchste Nettoumsatzrentabilität bei Land 1 bis 3 je 10% und Land 4 70% vor. Bei Beibehaltung der vorher günstigsten Aufteilung, würde die Nettoumsatzrentabilität sogar sinken.
Noch deutlich differenziertere Ergebnisse können sich ergeben, wenn zusätzlich zollrechtliche Abstufungen i.S. der Zollklassifizierungen (der Zollsatz wäre dann nicht linear) und andererseits auch Abweichungen zwischen den Verrechnungspreisen beachtet werden. Einerseits kann es Divergenzen zwischen Verrechnungspreis und Zollwert, andererseits aber auch bei der Anerkennung von Verrechnungspreisen durch die beteiligten Behörden geben. Liegen dem Unternehmen diesbezügliche Erfahrungswerte vor, können diese im Modell berücksichtigt werden. Die zugrundeliegenden Ertragsteuersätze sollten dabei in der Praxis nicht allein den nominellen Steuersatz abbilden, sondern insbesondere dann, wenn eine Repatriierung der Gewinne in das Land 1 oder eine Holding in einem anderen Land angestrebt wird, den effektiven Steuersatz. Beispielsweise kann sich eine Änderung der optimalen Wertschöpfungsaufteilung allein schon dann ergeben, wenn ein Land seine Steuer- und Zollsätze unverändert belässt, sich jedoch das DBA oder die Anrechnungsvorschriften im Verhältnis zum Holdingstandort ändern.
Fazit und Ausblick | Das sich gegenwärtig stark wandelnde Steuer- und Zollumfeld großer Industrie- und Absatzländer sollte zum Anlass genommen werden, globalisierte Wertschöpfungsketten produktspezifisch anhand einer kombinierten Analyse der Zölle und Steuern zu untersuchen. Ein alleiniges Abstellen nur auf den niedrigsten Zoll- oder Steuersatz wird bei komplexen Produkten nicht zum bestmöglichen Ergeb-nis führen. Die integrative Zusammenarbeit von Steuer- und Zollabteilung ist unabdingbar. Zusätzlich können weitere Faktoren wie beispielsweise Transportkosten und zeitliche Restriktion in das Modell integriert werden.
Bei Implementierung eines solchen Modells und Verknüpfung mit den aktuellen Daten aller relevan-ten Geschäftsbereiche sind in Zukunft sogar eine „Echtzeit-Analyse“ und – je nach Flexibilität der Wertschöpfungskette – unmittelbare Reaktionen denkbar. Die Geschwindigkeit mit der die USA die Zölle angepasst haben und die Möglichkeiten der Industrie 4.0 sollten dabei Mahnung und Ansporn zugleich sein. Befinden sich beispielsweise Komponenten noch auf dem (teils mehrwöchigem) See-weg, könnte dann evtl. sogar mit einer Umleitung dieser auf die Änderung externer Faktoren (Zölle, Steuern, Rohstoffpreise etc.) kurzfristig reagiert werden.
Johannes Gebhardt (B.Sc.) und Konrad Richter (M.Sc., LL.M. oec.) sind Mitarbeiter am Lehrstuhl für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre von Prof. Dr. Bachmann an der Universität Leipzig.