Unternehmensrestrukturierung nach dem neuen StaRUG: Erste Erfahrungen
Das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) ist am 01.01.2021 in Kraft getreten. Sein Zweck ist es, Unternehmen in der Krise eine Restrukturierung auch gegen den Willen einzelner Gläubiger zu ermöglichen, um so eine Insolvenz abzuwenden. Es setzt die europäische Restrukturierungsrichtlinie (EU) 2019/1023 um. Ob das StaRUG geeignet ist, diesen Zweck auch zu erfüllen, zeigt sich erst in der Praxis. Im Folgenden soll daher erste Rechtsprechung zu Restrukturierungsverfahren dargestellt werden.
Verfahrenszahlen halten sich in Grenzen
Bislang wurden vier Entscheidungen betreffend StaRUG-Verfahren veröffentlicht: Durch das AG Köln, das AG Hamburg und das AG sowie das LG Dresden, wobei die letzten beiden dasselbe Verfahren betrafen. Insgesamt gibt es keine „Schwemme“ an Restrukturierungsverfahren und -entscheidungen.
Wie viele StaRUG-Verfahren insgesamt angezeigt wurden, ist unklar; Fiebig (ZRI 2021, 561) konnte für den Zeitraum bis zum 30.04.2021 sieben angezeigte Restrukturierungsverfahren verifizieren, weist dabei jedoch richtigerweise darauf hin, dass aus der Zahl der Verfahren aus dem Jahr 2021 keine belastbaren Schlüsse für die zukünftige Entwicklungen der Verfahrenszahlen gezogen werden können, da es aufgrund der erst kurzen Geltung des StaRUG an verlässlicher Rechtsprechung bzw. der Ausbildung einer Praxis fehlt, sodass das damit einhergehende Risiko möglicherweise zu einer gewissen Zurückhaltung führt.
Verfahren beim Amtsgericht Hamburg
Die Entscheidung des AG Hamburg (Beschluss v. 12.04.2021 – 61 a RES 1/21) betraf ein Logistikunternehmen. Dieses verzeichnete seit Jahren fallende Umsätze; durch die Covid-19-Pandemie verschlechterte sich die Lage noch weiter. Die bis November 2020 paritätisch beteiligten Gesellschafter konnten sich nicht auf geeignete Reorganisationsmaßnahmen einigen. Durch Änderung der Beteiligungsverhältnisse auf 75 % seitens des Geschäftsführer-Gesellschafters und 25 % seitens des zweiten Gesellschafters wurde diese Pattsituation aufgelöst und Sanierungsmaßnahmen eingeleitet, die allerdings den Eintritt der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht abwenden konnten. Als der Abschlussprüfer der Gesellschaft ankündigte, den Bestätigungsvermerk für den Jahresabschluss 2019 im Hinblick auf den Schuldenschnitt zu versagen, entschied sich der Geschäftsführer-Gesellschafter zur Einleitung eines StaRUG-Verfahrens.
Dies hatte insbesondere den Vorteil, dass eine Überschuldung nach § 19 Abs. 2 InsO verhindert werden konnte, die die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags nach § 15a InsO nach sich gezogen hätte. Ein Restrukturierungsplan nach dem StaRUG führt nämlich zu einer positiven Fortführungsprognose, wenn ein Erfolg der geplanten Sanierung (also eine Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit im Prognosezeitraum) überwiegend wahrscheinlich ist. Das war hier der Fall, da die Schuldnerin entsprechende Planrechnungen vorlegte und zwei der drei Gläubigergruppen bereits ihre Zustimmung zum Plan mit der erforderlichen Mehrheit in Aussicht gestellt hatten.
Die wesentlichen Aussagen des Beschlusses lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Gemäß § 6 Abs. 2 StaRUG muss der darstellende Teil des Plans eine Vergleichsrechnung enthalten, in der die Auswirkungen des Plans auf die Befriedigungsaussichten der Planbetroffenen dargestellt werden. Hier hat das Gericht klargestellt, dass als Vergleichsszenario zwar nicht automatisch ein Insolvenzverfahren mit Liquidation herangezogen werden kann; sofern sich jedoch kein konkretes und verlässliches Alternativszenario unter Ansatz von Fortführungswerten darstellen lässt (ein solches war von keiner Seite vorgetragen worden) ist die Insolvenz der Vergleichsmaßstab.
- Bei der Bildung der Gruppen nach § 9 StaRUG kommt dem Planersteller gegenüber der Insolvenz nach § 222 InsO ein wesentlich weiteres Ermessen zu.
- Die Auswahl der Planbetroffenen muss gemäß § 8 S. 1 StaRUG nach sachgerechten Kriterien erfolgen. Das Gericht ließ vorliegend als sachgerechtes Abgrenzungskriterium gelten, dass eine Gläubigerin der Schuldnerin ein Darlehen erst nach Plananzeige gewährt hatte.
- § 31 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG regelt, dass der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens eine Darstellung des Stands von Verhandlungen mit Gläubigern, an dem Schuldner beteiligten Personen und Dritten zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen beigefügt werden muss. Ein überstimmter Planbetroffener hatte hieraus geschlossen, dass das Restrukturierungsvorhaben den Planbetroffenen vorab angekündigt werden muss bzw. mit diesen (gescheiterte) Sanierungsverhandlungen geführt worden sein müssen. Dies hat das Gericht abgelehnt; § 31 Abs. 2 Nr. 2 StaRUG solle dem Gericht lediglich die Einschätzung ermöglichen, ob und welchen Rückhalt ein Restrukturierungsvorhaben hat und mit welchen Widerständen zu rechnen sei; die Norm habe also nur Informationscharakter.
Da aufschiebende Planbedingung nach § 62 StaRUG war, dass das zuständige Finanzamt eine bestimmte verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO erteilt, konnte die Planbestätigung erst nach Einreichung dieser Auskunft bei Gericht erfolgen. Daher hatte die Schuldnerin das Finanzamt bereits am Tag der Einleitung des Restrukturierungsvorhabens (08.02.2021) über dieses informiert und den Entwurf des Antrags auf Erteilung der verbindlichen Auskunft nebst Planentwurf übersandt.
Hinweis | Diese Vorgehensweise scheint empfehlenswert, da das StaRUG auch für die Finanzämter Neuland ist und daher mit entsprechenden Bearbeitungszeiträumen gerechnet werden muss. Im vorliegenden Fall lag die verbindliche Auskunft am 12.04.2021 vor.
Verfahren beim Amtsgericht Köln
Das Amtsgericht Köln hatte von Amts wegen gemäß § 46 Abs. 3 StaRUG zum Vorprüfungstermin geladen und dessen Ergebnis in einem Beschluss (Beschl. v. 03.03.2021 – 83 RES 1/21) zusammengefasst. Die Vorprüfung betraf die Frage, ob die Schuldnerin tatsächlich drohend zahlungsunfähig i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG ist.
Die Schuldnerin plante – unabhängig vom Erfolg des Restrukturierungsplans – Verkauf und Verwertung der E-Gruppe. Ihr war ein Konsortialkredit gewährt worden, dessen Endfälligkeit am 31.12.2021 eintreten würde. Die Schuldnerin ging davon aus, dass der Kredit um ein Jahr, also bis zum 31.12.2022, verlängert werden würde. Sie nahm aber an, die Kreditgeber würden einer nochmaligen Verlängerung über diesen Zeitpunkt hinaus dann nicht zustimmen, wenn der Verkaufsprozess bezüglich der E-Gruppe bis Ende 2022 nicht abgeschlossen sei und wies dabei auf den „Hintergrund der bisherigen Gespräche“ hin. Daher sei die Schuldnerin drohend zahlungsunfähig.
Die planbetroffenen Konsortialbanken gaben jedoch entweder nur pauschal an, die Kredite nicht ewig verlängern zu wollen, oder wiesen darauf hin, dass eine weitere Verlängerung im Gegenteil der bisherigen Vorgehensweise entspreche und kein Anhaltspunkt erkennbar sei, warum nun keine Verlängerung mehr erfolgen solle.
Nach Ansicht des Gerichts verlangt die Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG die vollständige richterliche Überzeugung. Thole (NZI 2021, 433)weist diesbezüglich jedoch darauf hin, dass nach § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG die Bestätigung zu versagen ist, wenn die drohende Zahlungsunfähigkeit fehlt; demnach müsse ein Gericht vielmehr von der fehlenden Zahlungsunfähigkeit überzeugt sein, wenn es den Plan nicht bestätigen will.
Wenig überraschend ist dagegen, dass das Gericht bezüglich des Begriffs der drohenden Zahlungsunfähigkeit auf § 18 Abs. 2 InsO abstellt. Auch im Rahmen des StaRUG versteht es dabei den Begriff „voraussichtlich“ so, dass ein Eintritt der Zahlungsunfähigkeit überwiegend wahrscheinlich sein muss.
Beachte | Im Hinblick auf § 2 StaRUG ist das Gericht der Ansicht, Änderungen seien auch dann möglich, wenn sie nicht erforderlich, aber zweckmäßig seien. Weder der Wortlaut noch die Gesetzesbegründung stünden dem entgegen. Wie Thole (NZI 2021, 433) zutreffend bemerkt, verwendet die Gesetzesbegründung jedoch beide Begriffe (vgl. BR-Drs. 619/20, 124). Ob sich diese Ansicht in späterer Rechtsprechung bestätigen wird, bleibt daher abzuwarten.
Verfahren beim Amtsgericht/Landgericht Dresden
Das AG Dresden bestätigte mit Beschluss vom 07.06.2021 – 574 RES 2/21 den Restrukturierungsplan der Schuldnerin. Nach einem Vorprüfungstermin war die gerichtliche Planabstimmung beantragt worden. Bevor dieser stattfinden konnte, zeigte der Geschäftsführer der Schuldnerin die Zahlungsunfähigkeit an. Ein Darlehen des Gesellschafters X war zum 01.05.2021 fällig geworden und konnte von der Schuldnerin nicht vollständig bedient werden. Diese Darlehensforderung war aber im Restrukturierungsplan einer Regelung unterworfen; sie sollte durch Verzicht in Eigenkapital umgewandelt werden.
Nach Ansicht des Gerichts stand § 63 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG der Planbestätigung nicht entgegen. Dieser sieht zwar die Versagung der Planbestätigung vor, wenn der Schuldner nicht drohend zahlungsunfähig ist. Das Gericht geht indes davon aus, dass nach dem Willen des Gesetzgebers hierdurch nur eine Planbestätigung bei noch nicht drohender Zahlungsunfähigkeit ausgeschlossen werden sollte. § 33 Abs. 2 Nr. 1 StaRUG, der es ermöglicht, auch nach Anzeige der Zahlungsunfähigkeit von der Aufhebung des Restrukturierungsverfahrens abzusehen, würde ansonsten ins Leere laufen.
Die Entscheidung des LG Dresden (Beschl. v. 01.07.2021 – 5 T 363/21) betraf eine sofortige Beschwerde des einzigen Planbetroffenen der Gruppe 6, dessen Zustimmung nach §§ 26, 27 StaRUG fingiert worden war. Das LG wies diese als unzulässig zurück, da der Beschwerdeführer seine materielle Beschwer durch den Restrukturierungsplan nicht glaubhaft gemacht habe.
Das LG ging jedoch durchaus von einer Schlechterstellung des Beschwerdeführers durch den Plan aus. Das AG hatte hier als Vergleichsmaßstab die Liquidation herangezogen; diese sei das nächstbeste Alternativszenario, da eine Fortführung des Unternehmens aussichtslos sei.
Das LG Dresden zog als nächstbestes Alternativszenario eine Fortführung heran; dies wurde mit einer Vereinbarung begründet, die für den Fall der Nichtbestätigung des Restrukturierungsplans geschlossen worden war und die die Veräußerung der Geschäftsanteile des Minderheitengeschäftsführers vorsah. Die Schuldnerin hatte zuvor angegeben, die Veräußerung dieser Anteile zu erreichen sei eigentlicher Zweck des Restrukturierungsplans, da die Mehrheitsgesellschafterin nur dann zur Bereitstellung von Sanierungsmitteln bereit sei. Im Beschwerdeverfahren behauptete sie nunmehr zwar, die Mehrheitsgesellschafterin werde keine liquiden Mittel zur Verfügung stellen. Dies überzeugte das Gericht jedoch nicht.
Nicht glaubhaft gemacht war dagegen, dass der Nachteil des Planbetroffenen aus dem Restrukturierungsplan nicht durch die Zahlung aus den Mitteln ausgeglichen werden kann, die im gestaltenden Teil des Restrukturierungsplans für den Fall bereitgestellt werden, dass er seine Schlechterstellung nachweist. Glaubhaft gemacht werden müsse dabei, dass ein Ausgleich aus der Rückstellung nicht vorgenommen werden „kann“, also von vornherein unmöglich sei. Der Rückstellungsbetrag deckte den entstehenden Nachteil ab. Der Beschwerdeführer hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass weitere Planbetroffene einen Nachteil erleiden und einen Ausgleich dessen verlangen werden, sodass der Rückstellungsbetrag nicht ausreichen würde.
Fazit | Wie so oft in der Welt des Rechts geht es also um viele Details bei der Umsetzung einer Restrukturierung. Bei Blick auf die Entwicklung dieser neuen Art der Restrukturierung von Unternehmen ist zumindest für das Jahr 2021 festzustellen, dass dieses neue Verfahren nach dem StaRUG bislang alles andere als ein Massenverfahren ist. Vielmehr ist die Eigenverwaltung, also das Insolvenzverfahren, nach wie vor der Hauptanwendungsfall für insolvenznahe Unternehmen. Ein Hauptgrund wird im staatlichen Insolvenzgeld liegen – also der Bezahlung der Löhne und Gehälter für drei Monate. Diese wirtschaftliche Subvention gibt es nur im Insolvenzverfahren, nicht jedoch im Restrukturierungsverfahren.