Bilanzierung angeschaffter Rückstellungen in der Steuerbilanz nach dem BMF-Schreiben vom 30.11.2017
Nach der BFH-Rechtsprechung kann der Veräußerer im Grundsatz stille Lasten im Rahmen von Unternehmenskäufen steuerlich wirksam realisieren. Beim Erwerber liegt ein erfolgsneuraler Anschaffungsvorgang vor; die für die angeschafften Verpflichtungen geltenden steuerbilanziellen Ansatz- und Bewertungsvorbehalte sind bei der Zugangs- und Folgebewertung nicht zu beachten (vgl. u.a. BFH v. 16.12.2009 – I R 102/08, BStBl. II 2011, S. 566; BFH v. 14.12.2011 – I R 72/10, BStBl. II 2017, S. 1226). Betrachtet man Veräußerer und Erwerber zusammen, könnte eine Minderung des Steueraufkommens vorliegen. Es resultierte aus der BFH-Rechtsprechung ein steuerliches Gestaltungspotenzial zur Hebung stiller Lasten insbesondere aus Pensionsverpflichtungen innerhalb eines Konzerns.
Durch das AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz wurde Ende 2013 eine Neuregelung für die steuerliche Behandlung von Verpflichtungsübernahmen getroffen (§§ 4f, 5 Abs. 7 EStG). Die Finanzverwaltung hat am 30.11.2017 ihr finales BMF-Schreiben zur Anwendung dieser Regelungen veröffentlicht (BStBl I 2017, S. 1619). Nach grundlegenden Kritikpunkten an diesen Normen werden ausgewählte Aspekte des BMF-Schreibens im Folgenden aufgegriffen.
Steuersystematische Kritik an §§ 4f, 5 Abs. 7 EStG
Die Neuregelung betrifft die entgeltliche Übertragung der mit stillen Lasten behafteten Verpflichtungen. Es ist keine Einschränkung auf konzerninterne Transaktionen vorgenommen worden, obwohl im Gesetzgebungsverfahren betont wurde, dass die BFH-Rechtsprechung insbesondere verbundenen Unternehmen eine „steuergünstige Verschiebung“ von Verpflichtungen mit einem Steuerausfallrisiko in Milliardenhöhe und damit ein erhebliches Gestaltungspotenzial ermögliche (vgl. BT-Drucks. 17/13562, 9; BT-Drucks. 18/68 (neu), 73). Dies ist nicht konsequent; bei Veräußerungen zwischen fremden Dritten sollte den Beteiligten nicht die Absicht der Umgehung von Passivierungsbeschränkungen oder -verboten unterstellt werden.
§ 4f EStG bewirkt, dass ein Verlust nicht sofort verrechnet werden darf, obwohl er durch einen Marktvorgang bestätigt worden ist. Diese Norm führt zu einer asymmetrischen Behandlung stiller Reserven und stiller Lasten, indem stille Reserven bei ihrer Realisierung regelmäßig sofort besteuert werden, während der Verlust aus der Realisierung stiller Lasten grundsätzlich nur über 15 Wirtschaftsjahre verteilt steuermindernd gel-tend gemacht werden kann. Bei dem Erwerbsgewinn des § 5 Abs. 7 EStG handelt es sich um fiktive Erträge; er beruht nicht auf Marktvorgängen, sondern auf steuerrechtlichen Sondervorschriften.
Beachte | Das Realisationsprinzip und das damit einhergehende Prinzip der Erfolgsneutralität des Anschaffungsvorgangs werden im Ergebnis durchbrochen.
Ausgewählte Aspekte des BMF-Schreibens vom 30.11.2017
Bei einer Änderung des Durchführungsweges einer betrieblichen Altersversorgungszusage (also Direktzusage, Unterstützungskassenzusage, Direktversicherung, Pensionskasse oder Pensionsfonds) sind die Regelungen zu den angeschafften Rückstellungen nach §§ 4f, 5 Abs. 7 EStG nicht anzuwenden (BStBl. I 2017, S. 1619, Rz. 4). Die Finanzverwaltung schließt sich damit der herrschenden Meinung im Schrifttum an.
Ein nach § 4f Abs. 1 EStG zu verteilender Betriebsausgabenabzugsbetrag aus einem Übertragungsvorgang kann auch dann nicht mit Gewinnen aus anderen Geschäftsvorfällen verrechnet werden, wenn diese in einem mittelbaren oder sogar unmittelbaren Zusammenhang mit dem Aufwand aus der Übertragung stehen (BStBl. I 2017, S. 1619, Rz. 17). Es liegt ein vollständiges Verrechnungsverbot stiller Reserven mit stillen Lasten vor. Durch diese Verwaltungsauffassung soll die Verrechnung von Aufwand nach § 4f Abs. 1 EStG mit Auflösungsgewinnen i.S. des § 5 Abs. 7 Satz 6 EStG im Falle von Mehrfachübertragungen verhindert sowie eine künstliche Verminderung des Aufwands abgewehrt werden.
Die Finanzverwaltung hat sich bei der Veräußerung von Mitunternehmeranteilen für eine vollständige Anwendbarkeit des Transparenzprinzips und damit von § 4f Abs. 1 S. 1 EStG ausgesprochen, sodass die Norm auch auf passivierungsbeschränkte Verpflichtungen im Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft anwendbar ist (BStBl. I 2017, S. 1619, Rz. 20). Wird nur ein Teil des Mitunternehmeranteils veräußert, findet die Ausnahmeregelung nach § 4f Abs. 1 Satz 3 Alt. 1 EStG keine Anwendung. § 4f Abs. 1 S. 4 EStG sollte auch bei der Veräußerung eines Teils des Mitunternehmeranteils zur Anwendung kommen, was zu einer wirtschaftlichen Gleichstellung mit der Teilbetriebsveräußerung führt (Förster/Staaden, BB 2016, S. 1324 f.).
Bei wirtschaftlichen Verpflichtungsübertragungen, also einem Schuldbeitritt (§ 421 BGB) oder einer Erfüllungsübernahme (§ 329 BGB), kommt nur die 15-jährige Aufwandsstreckung zur Anwendung (§ 4f Abs. 2 EStG). In diesem Absatz fehlt ein Verweis auf § 4f Abs. 1 Satz 3 und 4 EStG, sodass die erwähnten Ausnahmeregelungen nicht zur Anwendung kommen (BStBl. I 2017, S. 1619, Rz. 25). Damit kann die Übertragung von Verpflichtungen im Wege des Schuldbeitritts und der Erfüllungsübernahme zu erheblichen steuerlichen Nachteilen führen. Daher sollte in der Praxis versucht werden, die Gläubigerzustimmung gem. § 415 BGB einzuholen.
Wenn eine bilanziell unterbewertete Verpflichtung von einem Steuerausländer auf einen Steuerinländer übertragen wird (Inbound-Übertragung), sind beim Erwerber die gleichen Bilanzierungsvorschriften zu beachten, die auch für den ursprünglich Verpflichteten am Bilanzstichtag gegolten hätten. Es ist der Wert maßgebend, der nach den Regelungen des EStG oder KStG anzusetzen gewesen wäre, auch dann, wenn der ursprünglich Verpflichtete nicht dem deutschen Steuerrecht unterlag und es sich um nach ausländischem Recht begründete Verpflichtungen handelt (BStBl. I 2017, S. 1619, Rz. 17).
Hinweis | Die Verwaltungsauffassung führt hier zu überschießenden Ergebnissen.
Das Teilwertsplittingverfahren (§ 5 Abs. 7 S. 4 EStG) ist bei Betriebsübergängen nach § 613a BGB nicht anwendbar (BStBl. I 2017, S. 1619, Rz. 27). Folglich entsteht ein Erwerbsgewinn. Diese Regelung kann nicht überzeugen; die Fälle der Einzelübertragung und des Betriebsübergangs nach § 613a BGB sollten nicht unterschiedlich behandelt werden. Auch Betriebsübergänge nach § 613a BGB sollten unter die begünstigenden Sonderregelungen des § 5 Abs. 7 S. 4 EStG und § 4f Abs. 1 S. 3 2. Halbsatz Alt. 1 EStG fallen.
Bei Kettenübertragungen, also Mehrfachübertragungen einer unterdotierten Verpflichtung auf andere Rechtsträger, wird für den „ursprünglich Verpflichteten“ i.S. des § 5 Abs. 7 Satz 1 EStG nicht auf das konkrete Vertragsverhältnis zwischen dem Überträger und dem Erwerber abgestellt, sondern auf das Steuersubjekt, das die Verpflichtung erstmalig begründet hat (BStBl. I 2017, S. 1619, Rz. 9). Dies wird in der Praxis, vor allem wenn es sich um einen fremden Dritten handelt, zu immensen Anwendungsschwierigkeiten führen, denn der Übernehmer der Verpflichtung wird auf derartige Informationen zur Ermittlung des ursprünglichen Wertes nur selten Zugriff haben.
Ausblick | Die Kritik sollte in erster Linie an der Ursache ansetzen, nämlich der steuerbilanziellen Bildung stiller Lasten. Steuerliche Ansatz- und Bewertungsvorschriften, die den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung widersprechen und zu stillen Lasten führen (z.B. § 5 Abs. 4 EStG, § 6a EStG), werden durch zwei weitere systemwidrige Regelungen (§§ 4f, 5 Abs. 7 EStG) abgesichert. Hier muss der Gesetzgeber ansetzen, ansonsten entstehen auch künftig unnötige steuerliche Planungs- und Kontrollkosten.