Die Auswahl des Insolvenzverwalters, ein ungeregeltes Mysterium
Die Auswahl des „richtigen“ Insolvenzverwalters im Einzelfall stellt seit der Entscheidung des BVerfG zur Erforderlichkeit einer offenen Verwaltervorauswahlliste (BVerfG, Beschl. v. 3.8.2004 – 1 BvR 135/00, ZInsO 2004, 913), die jedes Insolvenzgericht und jeder Insolvenzrichter zu führen hat, ein Dauerproblem dar, dessen Lösung sich der Gesetzgeber beharrlich verschließt.
Verwalterauswahl ist weiterhin intransparent und objektiv willkürlich
Obwohl den Gerichten verbindlich aufgegeben ist, mit großem zeitlichen und personellen Aufwand Verwalterauswahllisten zu führen, die den Beteiligten eine Scheingerechtigkeit bei der Vergabe des Verwalteramtes vorgaukeln sollen, bleibt die Auswahl undurchsichtig und unkalkulierbar wie eh und je. Ein Anspruch auf Bestellung im konkreten Verfahren besteht nicht. Ungeachtet der mit viel Akribie erarbeiteten Listen, die sich häufig dadurch auszeichnen, dass die Zahl der gelisteten Bewerber in keinem Verhältnis zur Zahl der Verfahren steht, welche die Gerichte zu vergeben hat, bleibt es dabei, dass die Vergabe des Amtes im Einzelfall oft nicht nachvollziehbar ist. Bei manchen Gerichten, die etwa ein Punktesystem unterhalten, hat die Rechtsprechung ein Bürokratiemonster geschaffen, das sich mehr mit sich selbst beschäftigt, als mit den zu vergebenden Verfahren.
Die vor den Entscheidungen des BVerfG geübte Vergabepraxis mit mehr oder weniger geschlossene Bewerberlisten mag zwar fragwürdig gewesen sein. Tatsächlich werden entsprechende closed shops von einigen Gerichten aber auch unter der Ägide von offenen Listen immer noch praktiziert. Die Vergabe von Verfahren erfolgt weiterhin an einen sehr eingeschränkten Personenkreis. Alle anderen Bewerber sind zwar gelistet, werden aber bei der konkreten Vergabe links liegengelassen oder mit wirtschaftlich belanglosen Verfahren abgespeist. Eine Anfechtung der Vergabe im Einzelfall findet nicht statt. Die Beibehaltung von verdeckten closed shops ist deshalb praktisch folgenlos. Das rein formale Vorhalten einer Auswahlliste reicht aus, um den Vorgaben des BVerfG gerecht zu werden. Eine gleichmäßige gerechte Beschäftigung aller gelisteten Bewerber ist im Hinblick auf die Uferlosigkeit offener Listen, die unterschiedliche Struktur und Größe der Verfahren und das häufig offenkundige Missverhältnis der zu vergebenden Verfahren zur Zahl der gelisteten Bewerber ohnehin unmöglich.
Für Errichtung von Vorauswahllisten fehlen normative Vorgaben
Bei dieser Sachlage, an der sich seit 2004 nichts verändert hat, sind Streitigkeiten um die Gestaltung der Listen, die teilweise erbittert geführt werden, zwar ein mehr oder weniger unnützes Beschäftigungsprogramm für die Justiz. Großen Einfluss auf die Verwalterbestellung haben sie aber nicht. Letztlich bleibt doch undurchschaubar, nach welchen Kriterien die Vergabe im Einzelfall erfolgt.
Das Fehlen gesetzlicher Vorgaben für die Ausgestaltung der Listen und die dabei maßgeblichen Kriterien führt zu Konflikten, die praktisch unlösbar sind. So können mit Beiträgen zu der Frage, ob die Ortsnähe des Bewerbers ein zulässiges Kriterium ist oder ob der Titel des Fachanwalts für Insolvenzrecht eine entscheidende Bedeutung haben kann, ganze Bibliotheken gefüllt werden. Für die Bestellung im Einzelfall sind diese Kriterien gleichwohl letztlich nicht maßgeblich. Ob es zulässig ist, für die Aufnahme auf die Liste ein Punktesystem zu schaffen, dessen Grundlagen wiederum mit Fug und Recht in Frage gestellt werden können, weil ungeregelt ist, welche Kriterien bei der Punktevergabe eine Rolle spielen und wie diese zu gewichten sind, ist nach wie vor ungeklärt.
Letztlich schafft sich jedes Gericht und im schlechtesten Fall, wenn sich die Richter der Abteilung nicht einig sind, jeder Insolvenzrichter mit viel Mühe eine Liste, die dann doch keine Aussagekraft hat, weil es eine Vielzahl von gleichermaßen qualifizierten Bewerbern gibt, die aufgrund der Verfahrenszahlen nicht gleichmäßig beschäftigt werden können. Fest steht derzeit nur eins: Eine Obergrenze für die Aufnahme von Bewerbern auf die offene Liste darf es nicht geben, sodass letzten Endes auch ungeachtet aller mehr oder weniger geeigneten Kriterien oder Systeme der Versuch, die Liste auf den tatsächlichen Bedarf des Insolvenzgerichts zuzuschneiden, schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt ist.
Versagen des Gesetzgebers bei Verabschiedung der §§ 56, 56a InsO
Der Gesetzgeber hat spätestens mit der Verabschiedung des ESUG und dessen Regelungen zum Einfluss der Gläubiger auf die Auswahl des Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters im Verfahren mit Eigenverwaltung des Schuldners sein fehlendes Interesse und Unvermögen, die Listenauswahl entsprechend den Vorgaben des BVerfG zu regeln, dokumentiert. Statt der gerichtlichen Praxis wenigstens ein paar Vorgaben für die Gestaltung der Listen zu machen und die in Betracht kommenden Kriterien vorzugeben, hat er ein weiteres System der Vergabe von Verfahren geschaffen, das beziehungslos neben dem Vorauswahlverfahren steht. Wie die Verfahren miteinander zu verzahnen sind, ist – auch nach der Begründung des ESUG – nicht zu erkennen.
Ob es sich bei den von den Beteiligten für das konkrete Verfahren vorgeschlagenen Verwaltern/Sachwaltern, die unter bestimmten Voraussetzungen nicht abgelehnt werden dürfen, um Personen handeln muss, die auf der Liste des Gerichts stehen, ist nicht einmal im Ansatz geregelt. Selbst eine Diskussion über diese Frage haben Vertreter des BMJ im Vorfeld der Verabschiedung des ESUG mit dem Hinweis auf ein „anderes System“ verweigert. Damit bleibt die Praxis auch insoweit mit der Frage allein, ob es gerechtfertigt ist, einen Verwalter zu bestellen, der zwar nicht auf der Liste des Gerichts steht, von den Beteiligten aber gewünscht wird und ob dies dann noch den Geboten einer fairen und gleichmäßigen Chance auf Bestellung entspricht, wie sie das BVerfG verlangt hat. Die Bedeutung der von den Insolvenzgerichten vorzuhaltenden Verwaltervorauswahllisten für die Praxis tritt noch weiter in den Hintergrund, wenn eine ganze Reihe von Verfahren von vornherein nach anderen Maßgaben vergeben werden.
Bezeichnend für die fragwürdige Art der Verwalterbestellung, die in den §§ 56, 56a InsO im Jahr 2011 neu geregelt und am 1.3.2012 mit dem ESUG in Kraft getreten sind, sind die erkennbaren Zweifel an der Unabhängigkeit eines Teils der so bestellten Insolvenzverwalter und Sachwalter, die aus dem gerade erschienen Bericht über die Evaluation des ESUG zu entnehmen sind. Der Gesetzgeber hat mit der Verabschiedung des ESUG die Gerichte nicht nur bei der Frage der Ausgestaltung von Vorauswahllisten und der Vergabe anhand dieser Listen im Regen stehen lassen. Er hat zugleich das überragende Gebot der Gläubiger- und Schuldnerunabhängigkeit des Verwalters oder Sachwalters verwässert, das seit jeher zu den Grundfesten der Verwalterauswahl gehört.
Suche nach alternativen Gestaltungsmöglichkeiten
Die nach dem Gutachten zu Evaluation des ESUG anstehende Umsetzung der Erkenntnisse aus dem Bericht der Wissenschaftler, die Anlass gibt, auch die Vorschriften zur Verwalterauswahl und –bestellung zu überarbeiten, sollte genutzt werden, um zu einem in sich geschlossenen Auswahlsystem zu kommen, bei dem sich die einzelnen Elemente nicht beziehungslos – teilweise geregelt, teilweise ungeregelt – gegenüberstehen.
Beachte | Neben der Sicherstellung der Unabhängigkeit des Verwalters, die bei einer wie auch immer gearteten Vorbefassung mit der Sache nicht gewährleistet ist, müssen der Einfluss der Beteiligten auf die Verwalterauswahl und das Listensystem in Einklang gebracht werden.
Sollte das bisherige System von Einzellisten bei jedem Insolvenzgericht beibehalten werden, müsste es eine Beschränkung auf eine Zahl von Bewerbern geben, die nicht nur in der Theorie eine Chance auf Bestellung haben. Sollte eine solche Beschränkung aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich sein, weil sie den Zugang zum Beruf unzulässig beschränkt oder eine ebenfalls nicht zulässige Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit bedeutet, dürfte daraus die Konsequenz der Aufgabe individueller Vorauswahllisten zu ziehen sein. Besser wäre es dann, eine bundesweite Auswahlliste zu schaffen, wie sie etwa in Österreich gemäß § 269 IO existiert, aus der alle Insolvenzgerichte den passenden Insolvenzverwalter auswählen können.
Hinweis | Ein ausufernde Vorauswahlliste mit hunderten von Bewerbern, die doch nicht bestellt werden (können), ist jedenfalls sinnlos und der Aufwand für die Erstellung solcher Listen für die Katz.
Fazit | Die mehr als ein Jahrzehnt alte ungelöste Frage der Verwalterauswahl muss gelöst werden. Die Führung uferloser Auswahllisten durch jedes Insolvenzgericht und jeden Insolvenzrichter, die für die Auswahl im konkreten Verfahren letztlich keine oder nur marginale Bedeutung haben, ist Stückwerk. Es handelt sich um eine Form der Beschäftigungstherapie, die sich die Justiz nicht leisten kann.
Der Gesetzgeber muss sich entscheiden, ob er den Gerichten klare Richtlinien für die Aufstellung derartiger Listen vorgibt und eine Beschränkung auf eine Bewerberzahl ermöglicht, die im Verhältnis zu den zu vergebenden Verfahren jedem Gelisteten eine reale Chance auf Bestellung gibt. Ist er dazu nicht bereit oder kommt eine zahlenmäßige Einschränkung aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht, bietet es sich an, ein bundesweites Portal mit zentraler Bewerbung und Listung der Prätendenten einzurichten, aus dem die Gerichte den jeweils passenden Verwalter auswählen können.
Die Fehlentwicklungen des Gesetzes zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen sind bei dieser Gelegenheit zu stoppen. Die Schuldner- und Gläubigerunabhängigkeit von Verwaltern und Sachwaltern muss wieder oberstes Gebot werden. Ein Bewerber, der schon im Vorfeld der Insolvenz beratend tätig geworden ist und Kontakt zum Schuldner und dessen Beratern – und sei es auch nur in allgemeiner abstrakter Form – gehabt hat, darf nicht Verwalter oder Sachwalter werden. Die geltende Fassung des § 56 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 InsO schafft Anreize, denen die Beteiligten nicht ausgesetzt werden dürfen. Nur unter diesen Voraussetzungen ist gewährleistet, dass das Vorschlagsrecht des § 56a InsO sich nicht zum Nachteil der Gläubigergesamtheit auswirkt.