Die Corona-Krise und die Insolvenzantragspflicht
Die „Corona-Krise“ wirft zahlreiche Rechtsfragen auf. Dazu gehört u.a. die Frage, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen die Erfüllung von Leistungspflichten verweigern können und ob sie sich schadensersatzpflichtig machen, wenn ihnen die Pflichterfüllung „corona-bedingt“, etwa aufgrund von Problemen in der Lieferkette, unmöglich oder erschwert wird. Darüber hinaus erleiden zahlreiche Unternehmen erhebliche Umsatzeinbußen, nachdem das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen gekommen ist. Hinzukommen zahlreiche arbeitsrechtliche oder gesellschaftsrechtliche Fragen.
Das Insolvenzrecht rückt in den Vordergrund
Auch das Insolvenzrecht ist angesprochen, weil zahlreiche Unternehmer in eine existenzgefährdende Lage rutschen oder schon gerutscht sind. Während Einzelunternehmer keiner Insolvenzantragspflicht unterliegen, stehen Organe einer Kapitalgesellschaft in besonderem Maße im Feuer, weil sie nach § 15a InsO einer Insolvenzantragspflicht für die Gesellschaft im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung unterliegen. Es ist deshalb in den letzten Tagen vermehrt der Ruf nach einer Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für Kapitalgesellschaft bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung laut geworden. Zuletzt hat am 13.3.2020 die TMA Deutschland e.V., eine Vereinigung von Restrukturierungsexperten, gefordert, die Antragspflicht bei Überschuldung (§ 19 InsO) vorläufig auszusetzen, da es unter den gegenwärtigen Umständen für viele Unternehmen nicht seriös möglich sei, eine gerichtsfeste Fortbestehensprognose zu treffen. Im Fall der Antragspflicht aufgrund bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) ist nach Ansicht der TMA eine Verlängerung dieser Frist von derzeit höchstens drei Wochen auf jedenfalls 90 Tage angezeigt. Daraus müsse weiter folgen, dass während der verlängerten Antragsfrist auch die Geschäftsleiter für im ordentlichen Geschäftsgang getätigte Zahlungen nicht nach § 64 GmbHG haften.
Die Bundesregierung will die Antragspflichten aussetzen
Das Bundesjustizministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat am 16.3.2020 in einer Pressemitteilung angekündigt, die Antragspflichten auszusetzen. Dies soll geschehen durch eine zeitlich zunächst bis zum 30.9.2020 befristete, ggf. bis zum 31.3.2021 verlängerbare Suspendierung der Antragspflicht, und zwar, soweit ersichtlich, auch für Fälle der Zahlungsunfähigkeit. Die Bundesjustizministerin will damit vermeiden, dass betroffene Unternehmen allein deshalb einen Insolvenzantrag stellen müssen, weil die Bearbeitung von Anträgen auf öffentliche Hilfen bzw. Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen in der außergewöhnlichen aktuellen Lage nicht innerhalb der dreiwöchigen Insolvenzantragspflicht abgeschlossen werden können. Voraussetzung für die Aussetzung soll sein, dass der Insolvenzgrund auf den Auswirkungen der Corona-Epidemie beruht und dass aufgrund einer Beantragung öffentlicher Hilfen bzw. ernsthafter Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen eines Antragspflichtigen begründete Aussichten auf Sanierung bestehen.
Das Vorbild der Hochwasserschäden
Vorbilder für eine solche temporäre Aussetzung gibt es. Durch Art. 3 des Aufbauhilfegesetzes vom 15.7.2013 (BGBl I 2013, S. 2401) war die Antragspflicht schon einmal für den Zeitraum vom 30.5.2013 bis zum 31.3.2014 ausgesetzt worden, seinerzeit wegen der Folgen eines massiven Hochwassers. Diese Aussetzung bildet offenbar eine Blaupause für die aktuellen Überlegungen, denn sie weist in dieselbe Richtung wie die jüngste Pressemitteilung. Damals war die Antragspflicht zeitlich ausgesetzt, wenn der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf den Auswirkungen der Hochwasserkatastrophe beruhte, solange die Antragspflichtigen ernsthafte Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen führten und dadurch begründete Aussichten auf Sanierung bestanden.
Eine schwierige Aufgabe für Gesetzgeber und Rechtsanwender
Während seinerzeit die Masseschmälerungshaftung für entsprechende Zahlungen nach Eintritt des Insolvenzgrunds unberührt blieb, dürfte und müsste dies in der aktuellen Krise wohl anders werden; sachgerecht erschiene es jedenfalls, die noch notwendigen Zahlungen (z.B. Lohnzahlungen) nicht mit einer Haftungsgefahr zu belegen oder zumindest den Entlastungsbeweis des § 64 S. 2 GmbHG großzügiger zu handhaben. Freilich muss verhindert werden, dass Unternehmen, die ohnedies schon kriselnd waren, die zu erwartende Aussetzungsregelung als Feigenblatt nehmen, um nunmehr weiter zu wirtschaften, ohne ihre eigentlichen Probleme anzugehen, oder dass Gesellschafter sich ungehindert auf dem Rücken der Gläubiger aus dem Gesellschaftsvermögen bedienen können. Freilich werden wohl die Kapitalerhaltungsregeln weiterhin anwendbar bleiben. Auch wird eine bereits verwirklichte Haftung wegen Insolvenzverschleppung kaum nachträglich entfallen.
Es ist vor diesem Hintergrund für den Gesetzgeber keine leichte Aufgabe, den Aussetzungstatbestand präzise zu beschreiben. Gewisse Lücken und Grauzonen wird man ihm zubilligen müssen. Nur einige der Schwierigkeiten seien angedeutet: Es muss naturgemäß verhindert werden, dass Unternehmen von der Aussetzung profitieren, die kein tragfähiges Geschäftsmodell haben und ohnedies insolvenzreif waren. Daher ist Wert darauf zu legen, dass tatsächlich, wie in der Pressemitteilung angedeutet, „ernsthafte“ Sanierungsaussichten bestanden. Auch nicht erfasst sein dürfte der Fall, dass ein „Zombie-Unternehmen“ nunmehr wegen oder im Zusammenhang mit der Corona-Krise endgültig das Vertrauen seiner Finanzierer verliert. Schließlich dürfte es bei einer Antragspflicht wegen Überschuldung bleiben, wenn auch über den Aussetzungszeitraum des 30.9.2020 hinaus die Zahlungsfähigkeit unabhängig von den Kredithilfen nicht mehr bzw. nicht wieder gesichert erscheint. Zudem werden die staatlichen Kredithilfen als Verbindlichkeiten einzupreisen sein; allerdings können etwaige Steuerstundungen die Zahlungsunfähigkeit schon unabhängig von der Aussetzung beseitigen.
Es wäre allerdings illusorisch zu glauben, die Aussetzung könne insgesamt alle Prognoseunsicherheiten vollständig beseitigen. Immerhin wird man aber von Geschäftsführern nicht erwarten können, dass sie zum Virologie-Experten werden oder dass sie den mit der Pandemie verbundenen weiteren Verlauf der Weltwirtschaft zielsicher vorhersagen. Eine großzügige Linie, etwa bei der Fortbestehens- und Überschuldungsprüfung, ist daher sicher vertretbar. Umgekehrt wird und darf die Aussetzung der Antragspflicht die Geschäftsleitung natürlich nicht vollständig aus der Verantwortung nehmen. Aber auch Vertragspartner und Gläubiger tragen bei ihren Transaktionen mit dem insolvenzreifen Unternehmen weiterhin Risiken, denn in einer etwaigen späteren Folgeninsolvenz sind die Insolvenzanfechtung und Haftungsgefahren nicht von vornherein vollständig ausgeschlossen. Auch hier liegt der Teufel im Detail, denn wenn Banken die angestrebten Kredithilfen wegen dieser Restrisiken nicht auszahlen, ist mit der Aussetzung der Antragspflicht für den Schuldner wenig gewonnen.
Fazit | Das alles zeigt skizzenhaft, dass das Corona-Virus auch das Insolvenzrecht infiziert hat. Die rechtliche Aufarbeitung seiner Auswirkungen wird auch dann noch andauern, wenn das Virus besiegt oder die Krankheitswelle abgeebbt ist.