Die Modernisierung des Insolvenzrechts im Jahr 2021
Im Bereich des Insolvenzrechts stehen zwei wesentliche Veränderungen an: Zum einen wird die EU-Restrukturierungsrichtlinie 2019/1023 vom 20.6.2019 in nationales Recht umgesetzt. Entscheidend ist vor allem die Umsetzung der Art. 15-18 RRL, da dort die Auswirkungen des Restrukturierungsplans niedergelegt sind. Zum anderen werden die §§ 270 ff. InsO reformiert werden. Dabei ist insbesondere eine Erhöhung der Eingangsvoraussetzungen zur Eigenverwaltung zu erwarten. Die voraussichtlichen Neuerungen sollen im Folgenden skizziert werden.
Wichtige Punkte bei Umsetzung der Art. 15 – 18 der Restrukturierungsrichtlinie in nationales Recht
1. Nach Erwägungsgrund 64 Satz 3 der Restrukturierungsrichtlinie legen die Mitgliedstaaten fest, wer „beteiligter“ Gläubiger ist, was die Verbindlichkeit des Restrukturierungsplans für diese zur Folge hat (Art. 15 I RRL).
Dabei ist im Hinblick auf unbekannte Gläubiger entscheidend, dass die Restrukturierungsrichtlinie keine öffentliche Bekanntmachung vorsieht und demnach bislang unbekannten Gläubigern keine Mitwirkungsmöglichkeit eröffnet; daher kann der Plan für diese auch nicht bindend sein, was gesetzlich klargestellt werden sollte.
2. Bei Umsetzung des Art. 16 Abs. S. 2 der Restrukturierungsrichtlinie könnte das Regelungsmodell des § 253 Abs. 4 S.1 InsO aufgegriffen werden (Hirschberger in: Morgen (Hrsg.), Präventive Restrukturierung, 2019, Tl. C, Kap.3, Rz. 16 ff., Rz. 134 ff.). So könnte ein Rechtmittel gegen einen Beschluss zur Bestätigung eines Restrukturierungsplans sofort zurückgewiesen werden, was die schnellere Planumsetzung und -akzeptanz fördern könnte. Voraussetzung wäre, dass im Plan Mittel für den Fall bereitgestellt würden, dass der Betroffene eine Schlechterstellung nachweist.
3. Bei Umsetzung des Art. 16 Abs. 4 der Restrukturierungsrichtlinie sollten Planänderungen durch das Gericht in Eigenregie nicht zugelassen werden (Hirschberger in: Morgen (Hrsg.), aaO, Art. 16 Rz. 16). Vielmehr sollte das Gericht den Parteien die Möglichkeit geben, selbst den Plan zu ändern. Es droht ansonsten eine zu große Abweichung vom Plankonzept.
4. Nach Art. 17 Abs. 1 RRL ist eine entscheidende Wirkung des Restrukturierungsplans der Schutz von Finanzierungen im Falle einer späteren Insolvenz des Schuldners. Da dies zulasten der späteren Insolvenzgläubiger geht, bedarf das Restrukturierungsverfahren einer zeitlichen Limitierung.
Hilfreich wäre es insoweit die Rechtsprechung des BGH zum ernsthaften Sanierungsversuch (BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 22/15; BGH v. 12.5.2016 – IX ZR 65/14) gesetzlich zu verankern (vgl. Stellungnahme Gravenbrucher Kreis v. 19.12.2019, https://www.gravenbrucher-kreis.de/esug20, S. 4 f. l. 5). Dessen wichtigster Bestandteil ist eine Liquiditätsplanung, die die Finanzierung während der Restrukturierungsphase erkennen lässt.
Hinsichtlich des frühestmöglichen Zugangs lässt Erwägungsgrund 28 Satz 3 („verlorener Auftrag“) erkennen, dass der Zugang auch deutlich vor der eigentlichen Insolvenzsituation liegen kann.
Beachte | In Fällen einer problematischen Marktveränderung, etwa von Auftragseinbrüchen infolge der Corona-Pandemie, stellt sich dabei insbesondere die Frage, welche Anforderungen an eine negative Prognose zu stellen sind. Oft weiß der Geschäftsführer in diesen Fällen zwar, dass Ereignisse sich negativ auswirken werden, wenn die Bedingungen fortbestehen. Wann dies der Fall ist, wird er jedoch nicht sicher voraussagen können.
Auch in diesen Fällen sollte indes der Zugang zum Restrukturierungsverfahren nicht verwehrt sein. Vielmehr sollte dieser von einer durchfinanzierten Restrukturierungsphase, der Bestandsfähigkeit und dem Gläubigerinteresse abhängig gemacht werden. Dem Gläubigerinteresse kann man in diesen Fällen durch Vereinbarung eines nur bedingten Forderungsverzichts gerecht werden; Bedingung wäre der Fortbestand der problematischen Marktverhältnisse.
Auswirkungen der Restrukturierungsrichtlinie auf Non-Performing Loans
Ein immer wieder seit Veröffentlichung des Richtlinienvorschlags vom 22.11.2016 COM(2016) 723 diskutiertes und grundsätzliches Bedenken gegen das Restrukturierungsverfahren oder besser gesagt gegen die Dauer eines Moratoriums über zwei oder drei Monate hinaus ist die CRR-Problematik. Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK) äußert auch im aktuellen Positionspapier vom 19.09.2019 zur Restrukturierungsrichtlinie, dass beim Zugangszeitpunkt und der Verfahrensdauer jedenfalls darauf zu achten sei, einen zwingenden Ausfall gemäß Art. 178 Abs. 1 S. 1 lit. a i. V. m. Abs. 3 lit. f CRR zu vermeiden (Positionspapier DK zur Restrukturierungsrichtlinie vom 19.09.2019, S. 3 (Pkt. 1 aE u. Pkt. 2. a.)). Sowohl ein zu später Zugangszeitpunkt als auch eine Moratoriumsdauer über zwei Monate hinaus würde nach dem genannten Bankenregularium Non-Performing Loans herbeiführen, anstatt sie – gemäß dem immer wieder genannten, volkswirtschaftlich übergeordneten Ziel der Restrukturierungsrichtlinie – zu vermeiden (vgl. Erwägungsgrund 3 S. 1 Restrukturierungsrichtlinie).
Hinweis | Hierzu das Positionspapier DK zur Restrukturierungsrichtlinie vom 19.09.2019, S. 4 (Pkt. 2. a.): „Bei einer Moratoriumsdauer von mehr als 90 Tagen würde die Zielrichtung der Richtlinie, insbesondere die Vermeidung und der Abbau von Forderungsausfällen, in ihr Gegenteil verkehrt werden.“
Eine derartige Auswirkung der RRL müsste notwendigerweise die Intentionen der beteiligten Kreditinstitute leiten, wenn ein Unternehmen mit den Planungen zu einem Restrukturierungsverfahren beginnt.
Doch es stellen sich in diesem Kontext vor allem zwei Fragen zum konkreten Zusammenspiel zwischen Restrukturierungsrichtlinie und CRR:
- Nach Art. 178 Abs. 1 S. 1 lit. a i. V. m. Abs. 3 lit. d CRR gilt die Kreditforderung als ausgefallen, wenn das Kreditinstitut einer krisenbedingten Restrukturierung zustimmt und dies zu einer Verringerung der Verbindlichkeit führt. Pkt. 49 der aktuellen Leitlinie der European Banking Authority (EBA) zur Anwendung des Art. 178 CRR (EBA/GL/2016/07 v. 18.01.2017), welche die BaFin zum 01.01.2021 in ihre Verwaltungspraxis übernimmt, erweitert dies von „Zustimmung“ auf jedes „Zugeständnis“ im Rahmen der Restrukturierung. Führt das Restrukturierungsverfahren im Ergebnis des Restrukturierungsplans dann nicht ohnehin und unabhängig von den 90 Tagen des Art. 178 Abs. 1 S. 1 lit. b CRR zum Ausfall, wenn das Kreditinstitut vom Plan betroffen ist?
- Nach Art. 178 Abs. 5 CRR i. V. m. Pkt. 73 der Leitlinie der EBA zur Anwendung des Art. 178 CRR kann das Kreditinstitut die Forderung wieder dem nicht-ausgefallenen Status zuordnen, wenn ein Jahr vergangen ist und die dortigen Bedingungen erfüllt sind. Würde dies nicht – zumindest ein Jahr nach einem Restrukturierungsplan – aus dem Dilemma der durch die Restrukturierungsrichtlinie entstandenen NPL´s heraus helfen?
Die Diskussionen zu diesen Aspekten des Art. 178 CRR sind in der Kreditwirtschaft bislang nicht abgeschlossen. Andere Auslegungskriterien oder neue Leitlinien hierzu sind jedoch nicht zu erwarten. Wird daher die erste Frage erwartungsgemäß mit ja und die zweite mit nein zu beantworten sein, kann eine erste große Welle von Restrukturierungsverfahren zu einem vermehrten Verkauf derartiger Forderungen durch die Banken führen. Nach einer solchen ersten Verkaufsflut könnten sich außergerichtliche Regularien entwickeln, die ein Restrukturierungsverfahren und daraus folgende NPL´s zu vermeiden suchen. Insofern ist die Formulierung in Erwägungsgrund 3 S. 2 der Restrukturierungsrichtlinie, dass die „Verfügbarkeit“ (im engl. Text genauso: „availability“) – und nicht etwa die Durchführung – eines Restrukturierungsverfahrens die Entstehung von NPL´s verhindern wird, vielleicht keine versehentliche Ungenauigkeit?
Beachte | Gerade die aus heutiger Sicht nicht kurzfristig lösbare CRR-Problematik eröffnet eine Möglichkeit die Restrukturierungskultur langfristig positiv zu ändern und tatsächlich NPL´s abzubauen.
Die Reform der §§ 270 ff. InsO
Derzeit beantragen viele Unternehmen oft die Eigenverwaltung, ohne immer in der Lage zu sein, zeitnah einen Liquiditätsplan vorzulegen oder im Eröffnungsverfahren die Insolvenzgeldvorfinanzierung zu organisieren. Zugleich fehlt es oft an Wissen über die insolvenzsteuerrechtlichen Spezifika im Eröffnungsverfahren. Diese Praxis ist geeignet, das Instrument der Eigenverwaltung in Misskredit zu bringen. Es scheint daher vorzugswürdig, die von der überwiegenden Praxis ohnehin eingehaltenen Maßstäbe in Gesetzesform zu gießen.
Als Zugangsvoraussetzungen wären daher zu normieren:
- es bestehen keine Rückstände gegenüber in Beschäftigung stehenden Arbeitnehmern, Sozialversicherungsträgern und Finanzämtern außerhalb des Antragszeitraums,
- die handels- und steuerrechtlichen Pflichten zur Buchführung und Rechnungslegung (§ 155 InsO) sind erfüllt,
- bei Antragstellung wird ein Liquiditätsplan vorgelegt, der einen Zeitraum von drei Monaten nach Eröffnung umfasst; dieser berücksichtigt auch die Besonderheiten der Eigenverwaltung (insbesondere verfahrensbedingte Kosten für Berater, Gericht und Verwalter) sowie Auswirkungen auf verbundene Unternehmen oder Personen,
- der Schuldner selbst bzw. der Geschäftsführer oder ein beauftragter Dritter verfügen über eine dem § 56 InsO vergleichbare Eignung,
- die Umsetzung der Insolvenzgeldvorfinanzierung ist gewährleistet.
Daneben sind jedoch weitere Änderungen angezeigt: So sollte ein Vorgespräch sowohl zwischen Gericht und Schuldner als auch zwischen Gericht und Gläubigerausschuss für mehr Aufklärung und Kompetenz sorgen. Die Kassenführungsbefugnis ist abzuschaffen, da durch Normierung der erhöhten Zugangsvoraussetzungen die Eignung des Schuldners gewährleistet ist. Auch ist die Vergütung des vorläufigen Sachwalters gesetzlich zu regeln. Die öffentliche Bekanntmachung der vorläufigen Sachwaltung (§§ 270 a, 270 b InsO) sollte als Option normiert werden. So kann dann im Einzelfall entschieden werden, ob ein „stilles“ oder „lautes“ Verfahren vorzugswürdig ist (vgl. Jacobi, ZRI 2020, 256 ff.).
Fazit | Sinn und Akzeptanz des Restrukturierungsverfahrens hängen von dessen Wirkungen ab. Daher muss der Umsetzung der Art. 15-18 der Restrukturierungsrichtlinie mit besonderer Aufmerksamkeit begegnet werden. Insbesondere die sich in der Corona-Pandemie ergebenden Schwierigkeiten könnten dann teilweise durch dieses Verfahren aufgefangen werden, anstatt sie etwa durch staatliche Kredite lediglich zu verschleppen. Hinsichtlich der Reform der §§ 270 ff. InsO wird die Erhöhung der Eingangsvoraussetzungen zu einer Beschränkung auf hierfür geeignete Schuldner führen, was das Institut der Eigenverwaltung aufwerten dürfte.