Global Taxes Europäisches Steuerrecht
Gerhard Kraft

EuGH kippt § 9 Nr. 7 GewStG

Am 20.09.2018 hat die Fünfte Kammer des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) für Recht erkannt, dass die Art. 63 bis 65 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die eine Kürzung um die Gewinne aus Anteilen an einer Kapitalgesellschaft mit Geschäftsführung und Sitz in einem Drittstaat an strengere Bedingungen knüpft als die Kürzung um die Gewinne aus Anteilen an einer nicht steuerbefreiten inländischen Kapitalgesellschaft.

Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

Der Ausgangsrechtsstreit dieser Meilensteinentscheidung des Gerichtshofs zum deutschen internationalen Gewerbesteuerrecht führte zum Vorlagebeschluss des FG Münster vom 20.9.2016 (9 K 3911/13 F, EFG 2017, 323). Im Sachverhalt des Ausgangsverfahrens betreffend das Streitjahr 2009 war die dem Verfahren den Namen gebende Klägerin, die EV, eine in Deutschland ansässige KGaA, als Obergesellschaft eines weltweiten Konzerns unter anderem zu 100 % an einer in Deutschland ansässigen Kapitalgesellschaft (GmbH) beteiligt, die ihrerseits zu 100 % an einer australischen Ltd. beteiligt war. Bei der Ltd. handelte es sich wiederum um eine Holdinggesellschaft mit diversen Beteiligungen in Asien und Australien. Unter anderem war die Ltd. an einer philippinischen Inc. beteiligt. Zwischen der im Inland ansässigen EV und ihrer Tochter-GmbH bestand ein Organschaftsverhältnis.

Fraglich war die gewerbesteuerliche Behandlung einer Gewinnausschüttung der australischen Ltd. an die deutsche GmbH. Aufgrund der Umstände des Sachverhalts kam eine Anwendung eines DBA-Schachtelprivilegs wegen des Aktivitätsvorbehalts im mittlerweile nicht mehr in Kraft befindlichen früheren DBA-Australien nicht in Betracht. Das Finanzamt hatte entgegen der Auffassung der EV keine gewerbesteuerliche Kürzung bei der GmbH vorgenommen und dies damit begründet, dass die Voraussetzungen des internationalen Schachtelprivilegs nach § 9 Nr. 7 GewStG nicht erfüllt seien. Aufgrund erheblicher Zweifel an der Unionsrechtskompatibilität dieser Vorschrift hatte das FG Münster das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der EuGH bestätigte nunmehr die unionsrechtlichen Bedenken des FG Münster und folgt in seiner Begründung im Wesentlichen sowohl den Argumenten des FG und der EV als auch den Ausführungen des Generalanwalts und der EU-Kommission.

Drittstaatenkonstellation

Bemerkenswert ist, dass es sich um eine Drittstaatenkonstellation handelt, in der von sämtlichen primärrechtlich verbürgten Grundfreiheiten allenfalls die Kapitalverkehrsfreiheit Relevanz entfalten kann. Der EuGH begründet zunächst unter Verweis auf seine ständige Rechtsprechung, dass im konkreten Fall die Kapitalverkehrsfreiheit einschlägig ist. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann die steuerliche Behandlung von Dividenden unter Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) und unter Art. 63 AEUV (freier Kapitalverkehr) fallen. Bei der Beantwortung der Frage, ob eine nationale Regelung unter die eine oder die andere Verkehrsfreiheit fällt, ist – ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung – auf den Gegenstand der betreffenden Regelung abzustellen.

In den Anwendungsbereich von Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) fällt eine nationale Regelung, die nur auf Beteiligungen anwendbar ist, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen. Hingegen sind nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen.

Um eine Vorschrift, die diese Charakteristik erfüllt, handelt es sich bei der zentralen Vorschrift des Ausgangsverfahren. Denn § 9 Nr. 7 GewStG macht die Kürzung um die Dividenden, die die gebietsansässigen Gesellschaften von ihren in Drittstaaten ansässigen Tochtergesellschaften bezogen haben, davon abhängig, dass die gebietsansässige Gesellschaft seit Beginn des Erhebungszeitraums ununterbrochen mindestens zu 15 % an der Tochtergesellschaft beteiligt ist. Der Gerichtshof hat bereits wiederholt entschieden, dass die Beteiligung von mindestens 15 % am Nennkapital der Tochtergesellschaft nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Gesellschaft, die sie hält, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der die Dividenden ausschüttenden Gesellschaft ausübt. Daher beurteilt der Gerichtshof die Regelung des § 9 Nr. 7 GewStG anhand von Art. 63 AEUV (Kapitalverkehrsfreiheit).

Gewerbesteuerliches Schachtel“privileg“ entfaltet Beschränkung

Bei dieser Prüfung gelangt der EuGH zum Ergebnis, dass von der Bestimmung des § 9 Nr. 7 GewStG eine Beschränkung zu sehen ist. Da nämlich Kapitaleinkünfte aus Drittstaaten steuerlich ungünstiger behandelt werden als Dividenden, die von gebietsansässigen Gesellschaften ausgeschüttet werden, sind Aktien von Gesellschaften, die in Drittstaaten ansässig sind, für die gebietsansässigen Anleger weniger attraktiv als Aktien gebietsansässiger Gesellschaften. Mithin stellt eine solche Regelung wie die des § 9 Nr. 7 GewStG eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten und den Drittstaaten dar, die von Art. 63 AEUV grundsätzlich verboten ist.

Keine Rechtfertigung der Grundfreiheitenverletzung durch die Standstill-Klausel

Wie stets bei der Anwendung des Art. 63 AEUV musste der EuGH schließlich untersuchen, ob die sogenannte Stillstandsklausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV ausnahmsweise doch der Bundesrepublik Deutschland gestattete, die diskriminierende Vorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG anzuwenden. Nach dieser Bestimmung, also der Stillstandsklausel bzw. Stillhalteklausel oder Standstill-Klausel, stellen solche Vorschriften des nationalen Steuerrechts keine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit dar, die am 31.12.1993 aufgrund einzelstaatlicher oder gemeinschaftlicher Rechtsvorschriften für den Kapitalverkehr mit dritten Ländern im Zusammenhang mit Direktinvestitionen bestanden.

Der Gerichtshof schließt insoweit an seine Rechtsprechung an und gelangt zum Ergebnis, dass sich Deutschland der Möglichkeit begeben hat, sich auf die Stillhalteklausel des Art. 64 Abs. 1 AEUV zu berufen. Folglich vermag Art. 64 Abs. 1 AEUV keinen Bestandsschutz für die deutsche Vorschrift des § 9 Nr. 7 GewStG zu entfalten. Denn aus ständiger Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass eine den Grundgedanken ändernde und neue Verfahren einführende Vorschrift, auf dem das frühere Recht beruht, den Rechtsvorschriften nicht gleichgestellt werden kann, die zum Referenzzeitpunkt der Stillhalteklausel (31.12.1993) des Art. 64 AEUV bestanden haben. Demgemäß betont der EuGH seine Auffassung, dass im Kontext der gewerbesteuerlichen Behandlung von Dividenden seit dem 31.12.1993 erfolgten Gesetzesänderungen nicht die Annahme zulassen, dass der Rechtsstand im einschlägigen Zeitraum 2009 in Bezug auf Wesensgehalt, Verfahren und Grundgedanken mit dem Rechtsstand identisch ist, der am 31.12.1993 galt.

Beispielsweise wurde bekanntlich die Regelung zur Dividendenbesteuerung in Deutschland im fraglichen Zeitraum völlig neu ausgerichtet. Insbesondere ist die Abschaffung des Systems der Besteuerung im Rahmen der Körperschaftsteuer und der Einführung der Befreiung der Dividenden ab dem 1.1.2001 zu nennen. Demzufolge wurde nach Auffassung des EuGH der rechtliche Rahmen der Dividendenbesteuerung grundlegend geändert. Belegt wird dies darüber hinaus durch das sehr einfache Kriterium, dass die Mindestbeteiligungsschwelle für eine Kürzung von 10 % auf 15 % angehoben wurde, wodurch der Anwendungsbereich der Steuerfreiheit eingeschränkt und die Beschränkung verschärft wurde. Ebenfalls im Einklang mit der Auffassung des vorlegenden Gerichts deckt sich die Einschätzung der Fünften Kammer des EuGH, dass die seit 1993 vorgenommenen Änderungen des Systems der Dividendenbesteuerung in Deutschland einen „vollständigen Systemwechsel“ darstellen.

Mit Ausnahme der Bundesregierung gelangen somit im Besprechungsverfahren C-685/16 sämtliche Meinungsäußerungen – EuGH-Urteil, Schlussanträge des Generalanwalts, Kommission, Klägerin des Ausgangsverfahrens – zum Ergebnis, bei der konkret einschlägigen gewerbesteuerliche Behandlung sogenannter Drittstaatsdividenden sei kein Stillstand im Sinne des Art. 64 AEUV eingetreten. Dies konnte durchaus erwartet werden, denn der Gerichtshof hatte im vergleichbar gelagerten SECIL-Verfahren vom 24.11.2016 (C-464/14) bereits so entschieden.

Rechtfertigung nicht ersichtlich

Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung weist der EuGH darauf hin, dass die steuerliche Situation einer im Mitgliedsstaat ansässigen Kapitalgesellschaft mit einer im gleichen Mitgliedsstaat ansässigen Tochtergesellschaft der steuerlichen Situation einer im Mitgliedsstaat ansässigen Kapitalgesellschaft in einem Drittstaat ansässigen Tochtergesellschaft in Bezug auf die Behandlung von Dividendenausschüttungen auf Ebene der Muttergesellschaft vergleichbar ist. Diese Bemerkung verdient deswegen besondere Erwähnung, weil diese Vergleichbarkeit von der Bundesregierung bestritten worden war.

Ferner machte die deutsche Regierung geltend, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, also insbesondere § 9 Nr. 7 GewStG, sollten missbräuchliche Steuergestaltungen bekämpfen. Darin liege ein zwingender Grund des Allgemeininteresses, der die Verletzung der Grundfreiheit zu rechtfertigen imstande sei. Allerdings dürfte diese Argumentationslinie der Bundesregierung den Gerichtshof kaum überzeugt haben, betont er doch, dass im vorliegenden Fall sich weder den dem Gerichtshof vorliegenden Akten noch den Erläuterungen der deutschen Regierung entnehmen ließe, welche Art von Missbrauch die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuervorschriften genau bekämpfen sollen. Folglich gelangt der EuGH zum Ergebnis, dass die einschlägigen Rechtsvorschriften daher nicht mit der Notwendigkeit gerechtfertigt werden können, Missbräuche und Steuerhinterziehung zu verhindern.

Da auch die Rechtfertigung der Bestimmung des § 9 Nr. 7 GewStG vor primärrechtlichem Hintergrund gescheitert ist, gelangt der Gerichtshof zur Schlussfolgerung, dass die Kapitalverkehrsfreiheit so auszulegen ist, dass sie durch die Bestimmung des § 9 Nr. 7 GewStG verletzt wird.

Bewertung der Entscheidung und Ausblick

Auch wenn es sich auf den ersten Blick bei diesem die Gewerbesteuer betreffenden Verfahren um eine deutsche Spezialität zu handeln schien, ist davon auszugehen, dass das Besprechungsjudikat weitreichende Verzweigungen entfalten wird und dem Konzernsteuerrecht der Mitgliedsstaaten enge Zügel anzulegen imstande sein wird. Denn tatsächlich geht es über die gewerbesteuerliche Ausgangsfrage hinaus um Problembereiche, deren Ausgang weitreichenden Einfluss auf die Konzernbesteuerungssysteme der Mitgliedstaaten erwarten lassen. Diese Einschätzung findet ihre Berechtigung darin, dass sich Begründung und Ergebnis des EuGH-Urteils sowohl auf Grundfragen des steuerlichen Konzernorganisationsrechts als auch auf grundlegende ertragsteuersystematische Fragestellungen übertragen lassen.

Handlungsbedarf für den Gesetzgeber | Der deutsche Gesetzgeber wird nun die kaum mehr verständliche, kaum handhabbare und von daher schon steuersystematisch mehr als fragwürdige Bestimmung des § 9 Nr. 7 GewStG anpassen müssen. Die „große Lösung“ bestünde sicherlich darin, die Vorschrift insgesamt aufzuheben.

Die wahrscheinlich realistischerweise zu erwartende Lösung wird wohl darauf hinauslaufen, dass – wie regelmäßig bei eklatanten Unionsrechtsverstößen – nicht systematisch gearbeitet, sondern an Symptomen kuriert werden wird. Mit anderen Worten besteht die Gefahr, dass der Gesetzgeber die Vorgaben des EuGH in die schon jetzt semantisch nicht mehr verständliche Vorschrift einzubetten. Das sprachliche Ergebnis eines solchen Ansatzes mag man sich gar nicht vorstellen.