EuGH-Urteil zu Annexverfahren lässt Streitigkeiten aus Drittstaaten weiterhin offen
Der EuGH hat kürzlich in der Entscheidung Wiemer & Trachte (C-296/17, ECLI:EU:C:2018:902) entschieden, dass die Gerichte des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, auch für sog. Annexverfahren, also für Streitigkeiten, die – wie beispielsweise Anfechtungsklagen – unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen (vgl. Art. 6 Abs. 1 EuInsVO), international ausschließlich zuständig sind.
Zuständigkeit der Gerichte des Eröffnungsstaates
Das bedeutet beispielsweise, dass ein deutscher Insolvenzverwalter Anfechtungsklagen, die aus einem in Deutschland eröffneten Insolvenzverfahren hervorgehen, auch dann in Deutschland anhängig machen muss, wenn der Beklagte (Anfechtungsgegner) im Ausland seinen Sitz oder Wohnsitz hat. Diese ausschließliche Zuständigkeit entspricht weit verbreiteter Meinung in der Literatur. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass das Urteil des EuGH breite Zustimmung gefunden hat. Auch in diesem Blog hat ihr Jessica Schmidt (Schmidt, European Insolvency & Restructuring, TLE-045-2018) Beifall gezollt.
Die Zuständigkeit der Gerichte des Eröffnungsstaates ist solange unproblematisch, wie der Beklagte in einem anderen Mitgliedstaat der EU domiziliert. Denn dann wird das Anfechtungsurteil des deutschen Gerichts gemäß Art. 32 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO im Wohnsitzstaat ohne weitere Förmlichkeiten anerkannt, kann also dort sofort und ohne vorheriges Anerkennungs- und Vollstreckbarkeitsverfahren gegen den Anfechtungsgegner vollstreckt werden, ohne dass sich dieser gegen die Vollstreckung mit dem Argument verteidigen könnte, die deutschen Gerichte seien für diesen Prozess international nicht zuständig gewesen. Das hat den klaren Vorteil, dass die deutschen Gerichte das gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. m EuInsVO primär anzuwendende deutsche Anfechtungsrecht prüfen können, während die ausländischen Vollstreckungsorgane die dortigen Vollstreckungsregeln anwenden können.
Beachte | Durchbrochen wird dieser Gleichlauf von Zuständigkeit und Rechtsanwendung nur dadurch, dass das deutsche Gericht gemäß Art. 16 EuInsVO noch prüfen muss, ob die anzufechtende Rechtshandlung einem anderen als dem deutschen Recht unterliegt und ob sie nach diesem Recht unangreifbar ist.
Vollstreckung im Drittstaat
Ganz anders sieht es aus, wenn der Anfechtungsgegner in einem Staat wohnt, der nicht Mitglied der EU ist (sog. Drittstaat). In diesem Fall ist nämlich der Vollstreckungsstaat nicht durch Art. 32 EuInsVO gezwungen, das deutsche Urteil anzuerkennen. Vielmehr können die dortigen Gerichte die Anerkennungsvoraussetzungen nach ihrem Heimatrecht prüfen und zu diesen Anerkennungsvoraussetzungen gehört typischerweise die internationale Zuständigkeit des Gerichts, von dem die anzuerkennende Entscheidung stammt (vgl. § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). An dieser Zuständigkeit wird es aber nach dem anzuwendenden nationalen Internationalen Prozessrecht des Anerkennungsstaates meistens fehlen, weil die Zuständigkeitsregeln der EuInsVO nicht zu diesem Recht gehören. Im Ergebnis hat daher der Insolvenzverwalter in Deutschland vergebens prozessiert, weil das Anfechtungsurteil im Wohnsitzstaat des Beklagten weder anerkennungs- noch vollstreckungsfähig ist. Zwei denkbaren Ausweichstrategien hat der EuGH einen Riegel vorgeschoben.
Ausweichstrategien des Insolvenzverwalters
Die erste Ausweichstrategie ist naheliegenderweise, die Anfechtungsklage auf der Basis dortigen Zuständigkeitsrechts im Wohnsitzstaat des Beklagten mit der Begründung zu erheben, die EuInsVO sei im Verhältnis zu Drittstaaten nicht anwendbar. Eine solche Klage hat zwar die Ungewissheit, ob das ausländische Gericht deutsches Anfechtungsrecht anwenden wird und richtig anwenden kann, aber jedenfalls wäre die Anerkennung und Vollstreckung kein Problem. Diese Tür hat der EuGH aber in der Rechtssache Schmid v. Hertel (C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6) zugeschlagen, in der er anlässlich der in Deutschland erhobenen Anfechtungsklage eines deutschen Insolvenzverwalters gegen einen in der Schweiz lebenden Beklagten die EuInsVO (und damit deren Zuständigkeitsregelung für Annexverfahren) auch im Verhältnis zu Drittstaaten für anwendbar erklärt hat.
Die zweite Ausweichstrategie für den Insolvenzverwalter könnte sein, auf das durch Art. 6 EuInsVO gewährte Heimatprivileg zu verzichten und nach dortigem Zuständigkeitsrecht im Wohnsitzstaat des Beklagten zu klagen. Diesen Ausweg hat der EuGH jetzt in der Entscheidung Wiemer & Trachte möglicherweise verbaut, indem er die Zuständigkeit nach Art. 6 EuInsVO für ausschließlich und damit für weder verzicht- noch abdingbar erklärt hat. Allerdings hat das Gericht in den entscheidenden Passagen nur von einer ausschließlichen Zuständigkeit im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten gesprochen. Es ist also offen, ob das auch für Rechtsstreitigkeiten im Verhältnis zu Drittstaaten gilt.
Eine diese Frage bejahende Antwort macht das Dilemma für den Insolvenzverwalter perfekt. Ihm bleibt jetzt nur die Wahl, sich entweder an das Europäische Recht zu halten und in Deutschland zu klagen, möglicherweise mit der sicheren Aussicht, dass ein obsiegendes Urteil in Drittstaaten nicht vollstreckt werden kann, oder das Europäische Recht zu ignorieren und nach dem Zuständigkeitsrecht des Drittstaates dessen Gerichte anzurufen in der Hoffnung, dass diese das Europäische Recht ebenfalls ignorieren.
Fazit | Vor diesem Hintergrund kann eine weite, Drittstaaten einbeziehende Auslegung der Entscheidung nicht überzeugen. Sie betraf einen deutsch-bulgarischen Fall und damit einen EU-internen Streit. Der Wortlaut des Urteils berücksichtigt das, indem er sich auf Beteiligte aus zwei Mitgliedstaaten beschränkt. Jedenfalls für Streitigkeiten mit Beklagten aus Drittstaaten sollte das EU-Recht sich zurücknehmen und die Zuständigkeitsfrage dem Internationalen Zivilprozessrecht des Staates des angerufenen Gerichts überlassen.