Internationale Zuständigkeit für Anfechtungsklagen – eine neue Entscheidung des EuGH
In grenzüberschreitenden Insolvenzen stellt sich immer wieder die Frage nach der internationalen Zuständigkeit der Gerichte für Klagen, die mit dem Insolvenzverfahren zusammenhängen. Schon zur alten EuInsVO 2000 hatte der EuGH entschieden, dass für Prozesse, die aus dem Insolvenzverfahren resultieren und eng mit diesem zusammenhängen, die Gerichte des Staates zuständig sind, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
Diese auf den Sachzusammenhang abstellende Rechtsprechung – das Prozessgericht wird in solchen Verfahren regelmäßig das Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates anzuwenden haben, so dass es sinnvoll ist, dass Gerichte zuständig sind, die dieses Recht als Heimatrecht haben – ist heute in Art. 6 EuInsVO 2015 niedergelegt, demzufolge die „Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Insolvenzverfahren nach Artikel 3 eröffnet worden ist, zuständig sind für alle Klagen, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen, wie beispielsweise Anfechtungsklagen“. Noch zum alten Recht, aber mit Wirkung auch für Art. 6 EuInsVO 2015, hat der EuGH jetzt in der Rechtssache UB gegen VA u.a. (C-493-18, ECLI:EU:C:2019:1046) am 4.12.2019 entschieden.
Sachverhalt der Entscheidung
Der Schuldner UB, ein niederländischer Staatsangehöriger, besaß eine Wohnung in Frankreich. Obwohl sein Vermögen am 7.8.2008 von einem englischen Gericht eingefroren worden war, belastete er die Wohnung am 22.8.2008 zugunsten seiner Schwester VA zur Absicherung eines zeitgleich gewährten Schuldanerkenntnisses über 500.000 € mit einer Hypothek. Im März 2010 verkaufte er die Wohnung an Tiger, eine von VA gegründete Gesellschaft. Am 10.5.2011 wurde gegen ihn in England vom County Court Croydon ein Insolvenzverfahren eröffnet. WZ, der Insolvenzverwalter in diesem Verfahren, wollte die Hypothekenbestellung und die Veräußerung als unentgeltliche Leistungen anfechten. Der County Court Croydon ermächtigte ihn, bei den Gerichten in Frankreich auf Feststellung zu klagen, dass diese Rechtshandlungen ohne relevante Gegenleistung im Sinne der einschlägigen insolvenzrechtlichen Bestimmungen des Vereinigten Königreichs seien. Der Insolvenzverwalter machte von dieser Ermächtigung Gebrauch und hatte damit beim Tribunal de grande instance de Paris sowie bei der Cour d’appel de Paris Erfolg. Auf Revision der Beklagten hin legte die Cour de Cassation dem EuGH den Fall vor mit der Bitte, sich zur internationalen Zuständigkeit zu äußern.
Recht des Eröffnungsstaates
Insolvenzrechtlich ist zunächst interessant, dass sich die Frage der Anfechtbarkeit gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. m EuInsO 2000 (= Art. 7 Abs. 2 lit. m EuInsVO 2015) grundsätzlich nach der lex fori concursus, also dem Recht des Eröffnungsstaates, mithin nach englischem Recht richtet, und zwar unabhängig davon, ob das Eröffnungsgericht für das Insolvenzverfahren international zuständig war. Damit kommen sec. 238, 339 Insolvency Act 1986 zur Anwendung, denen zufolge „transactions at an undervalue“ anfechtbar sind. Es ist bemerkenswert, dass sich nach englischem Recht die Rechtsfolge nicht aus dem Gesetz ergibt, sondern gemäß sec. 241, 342 Insolvency Act 1986 vom Insolvenzgericht festzusetzen ist. Das zeigt bereits, dass eine internationale Zuständigkeit der französischen Gerichte für den die Anfechtbarkeit betreffenden Feststellungsprozess nicht sinnvoll ist, weil die französischen Gerichte das englische Anfechtungsrecht im Zweifel nicht so gut anwenden können wie die englischen Gerichte und weil sie, da sie nicht das Eröffnungsgericht sind, auch die Rechtsfolge nicht festsetzen können.
Es ist daher wenig überraschend, dass der EuGH auch in diesem Fall an seiner ständigen, heute in Art. 6 EuInsVO 2015 kodifizierten Rechtsprechung festhält, dass Streitigkeiten, die unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen, von den Gerichten des Staates zu entscheiden sind, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, und dass zu diesen Klagen insbesondere Anfechtungsklagen gehören. Mit Recht hat der EuGH es dabei für unerheblich gehalten, ob auf Leistung oder auf Feststellung geklagt wird. Nicht die prozessuale Einkleidung, sondern der enge Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren ist entscheidend.
Offene Fragen | Spannender ist die Frage, ob die englischen Gerichte gleichsam auf ihre internationale Zuständigkeit verzichten können. Anlass zu dieser Frage gibt die Ermächtigung des Insolvenzverwalters durch das englische Gericht, in Frankreich zu klagen. Dazu war ausgeführt worden, diese Entscheidung sei gemäß Art. 25 EuInsVO 2000 (= Art. 32 EuInsVO 2015) für die französischen Gerichte bindend. Der EuGH verwirft das. Er bedient sich dazu des eher formellen Arguments, diese Bestimmung lasse es lediglich zu, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dessen Gebiet ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, auch über eine Klage befinden, die unmittelbar aufgrund dieses Verfahrens ergeht und in engem Zusammenhang damit steht, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um das Gericht handelt, das die Eröffnung des Insolvenzverfahrens verfügt hat, oder um ein anderes örtlich und sachlich zuständiges Gericht dieses Mitgliedstaats. Hingegen handele es sich nicht um einen Mechanismus zur Zuweisung internationaler Zuständigkeit. Der EuGH rekurriert also auf den Anwendungsbereich des Art. 25/32 EuInsVO.
Hinweis | Noch überzeugender wäre es gewesen, die durch die EuInsVO geregelte internationale Zuständigkeit für nicht disponibel zu erklären, was dazu passen würde, dass der EuGH die internationale Zuständigkeit für Annexstreitigkeiten in der Rechtssache Wiemer & Trachte (C 296/17, ECLI:EU:C:2018:902) erst kürzlich für ausschließlich erklärt hat.