European Insolvency & Restructuring Insolvenzverordnung
Reinhard Bork

Fundamentale Prinzipien der Europäischen Insolvenzordnung

Das transnationale Insolvenzrecht materialisiert sich in den Vorschriften der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO), die 2015 überarbeitet wurde und in allen EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme von Dänemark gilt. Die Normen der EuInsVO beruhen auf einer Reihe von Grundwerten. Diese fundamentalen Prinzipien sollen im Folgenden vorgestellt werden, bevor ihre praktische Bedeutung anhand einer ganz neuen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) illustriert werden soll.

Die Prinzipien des internationalen Insolvenzrechts können in drei Gruppen eingeteilt werden.

Kollisionsrechtliche Prinzipien

Eine erste Gruppe befasst sich mit den kollisionsrechtlichen Prinzipien. Bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren sind mindestens zwei souveräne Staaten betroffen. Moderne Internationale Insolvenzrechte gehen im Allgemeinen von den Prinzipien der Einheit und der Universalität aus: Es soll für einen insolventen Schuldner nur ein einheitliches Verfahren geben, das weltweite Wirkung entfaltet. Letzteres gilt jedenfalls aus der Sicht des Eröffnungsstaates, der für sein „hinausgehendes“ Verfahren weltweite Geltung beansprucht. Ob andere Staaten das „hereinkommende“ Insolvenzverfahren mit seinem Geltungsanspruch anerkennen, steht auf einem anderen Blatt.

Das Prinzip der Gleichheit von Staaten verhindert, dass ein Staat dem anderen die weltweite Geltung aufzwingt, aber das Prinzip des wechselseitigen Vertrauens darauf, dass das Insolvenzrecht und das Insolvenzverfahren im Ursprungsstaat den erforderlichen Standards genügen, sollte diese Anerkennung nahe legen. Jedenfalls ist das Prinzip der Kooperation und Kommunikation zwischen den Verfahrensorganen heute für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren allgemein anerkannt. Ergänzend sind das Subsidiaritätsprinzip sowie das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Verfahrensrechtliche Prinzipien

Neben die kollisionsrechtlichen treten die verfahrensrechtlichen Prinzipien, an erster Stelle das Effizienzprinzip, demzufolge Verfahren den beantragten Rechtsschutz so schnell und umfassend wie möglich gewähren müssen. Ihm steht das Transparenzprinzip zur Seite: Verfahren müssen öffentlich gemacht und transparent geführt werden, damit die Betroffenen daran teilnehmen und ihre Rechtspositionen einbringen können. Die internationalen Regelungswerke bekennen sich ferner zum Prinzip der Verfahrensgerechtigkeit. Schließlich ist das Prioritätsprinzip zu beachten, demzufolge ein erstes Insolvenzverfahren ein zweites auch im Ausland grundsätzlich ausschließt.

Materiell-rechtliche Prinzipien

Eine dritte Gruppe bilden die materiell-rechtlichen Prinzipien, an erster Stelle das Prinzip der Gläubigergleichbehandlung, demzufolge Gläubiger mit gleichem Rang sowohl verfahrensrechtlich als auch materiell-rechtlich gleichzubehandeln sind. Viele Regularien verfolgen sodann im Interesse optimaler Gläubigerbefriedigung das Prinzip der bestmöglichen Masseverwertung und bekennen sich zum Prinzip angemessenen Schuldnerschutzes. Vor allem aber wird das Prinzip des Vertrauensschutzes hoch gehalten, in erster Linie für gesicherte Gläubiger und Anfechtungsgegner. Von großer Bedeutung ist schließlich das Sozialschutzprinzip, das sich beispielsweise zugunsten von Arbeitnehmern auswirkt.

EuGH-Entscheidung verdeutlicht praktische Relevanz

Dass es sich bei diesen Prinzipien nicht um blutleere akademische Ordnungskategorien, sondern um die Auslegung und Anwendung von Normen bestimmende Aspekte mit einiger praktischer Relevanz handelt, zeigt die jüngste Entscheidung des EuGH zur EuInsVO. In der Entscheidung Tarragó da Silveira ging es um die Frage, welche Auswirkungen es auf den in Portugal geführten Zahlungsprozess eines in London ansässigen Portugiesen gegen einen in Luxemburg ansässigen Beklagten hat, wenn über das Vermögen des Beklagten in Luxemburg ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Die Gerichte in Portugal wandten Art. 15 EuInsVO 2000 (= Art. 18 EuInsVO 2015) an, demzufolge sich die Rechtsfolgen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf einen Prozess nach dem Recht des Landes richten, in dem der Prozess geführt wird, und erklärten den Rechtsstreit gemäß portugiesischem Prozessrecht für erledigt.

Demgegenüber machte der Kläger geltend, Art. 18 EuInsVO gelte nicht für Zahlungsklagen, da damit nicht, wie es der Wortlaut von Art. 18 EuInsVO verlange, um einen Rechtsstreit handele, der sich auf einen bestimmten Gegenstand oder ein bestimmtes Recht des Schuldners beziehe. Es sei daher nicht portugiesisches, sondern luxemburgisches Recht (als lex fori concursus) anzuwenden. Damit hatte er beim EuGH keinen Erfolg.

Zur Begründung nimmt der EuGH unter anderem eine prinzipienorientierte Abwägung vor: Zwar sei der Grundsatz, dass sich alle Rechtswirkungen der Eröffnung nach dem Recht des Eröffnungsstaates richten (Universalitätsprinzip). Es sei aber ineffizient, wenn das Prozessgericht das Schicksal seines Verfahrens nach ausländischem Recht beurteilen müsste (Effizienzprinzip).

Fazit und Ausblick | Wie viele Entscheidungen zuvor zeigt das hier referierte EuGH-Urteil, dass die Auslegung und Anwendung (auch) des Europäischen Insolvenzrechts durch Grundprinzipien bestimmt wird, die sich in zahlreichen Normen der EuInsVO spiegeln und deren Kenntnis die sachgerechte Handhabung dieser Normen erheblich erleichtert.

Einen tieferen Einblick zu den fundamentalen Prinzipien erhalten Sie in: Bork, Principles Of Cross-Border Insolvency Law, Januar 2017.