Rechtsunsicherheiten im Anfechtungsrecht – neue Entscheidungen des BGH
Nahezu alle Insolvenzrechtsordnungen haben Vorschriften über die Anfechtung von Rechtshandlungen, die vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorgenommen wurden, aber nach der Eröffnung vom Insolvenzverwalter angefochten werden können, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligt haben. Typischerweise lassen sich diese Vorschriften in drei Gruppen einteilen.
Die erste umfasst Rechtshandlungen, die einem Gläubiger des Schuldners in zeitlicher Nähe zum Beginn des Insolvenzverfahrens eine Sicherheit oder gar Befriedigung seiner Forderung verschafft haben. Meistens wird dann zusätzlich vorausgesetzt, dass der Schuldner bereits zahlungsunfähig war und der Gläubiger das wusste oder dass dieser etwas bekommen hatte, was er nicht beanspruchen konnte, etwa Erfüllung vor Fälligkeit oder eine bislang nicht geschuldete Kreditsicherheit. Die zweite Gruppe umfasst unentgeltliche Leistungen, also Geschenke, aber auch Zuwendungen ohne angemessene, den Verlust ausgleichende Gegenleistung. Die dritte Gruppe besteht aus Rechtshandlungen, mit denen der Schuldner seine Gläubiger zugunsten des Leistungsempfängers in vorsätzlicher Weise benachteiligt; solche Regelungen finden ihre Wurzel in der actio pauliana des römischen Rechts, der „Mutternorm“ allen Anfechtungsrechts.
Anfechtungsrecht bei grenzüberschreitenden Vorgängen
Anfechtungsrecht ist in allen Rechtsordnungen relativ kompliziert. Erst richtig schwierig wird es aber, wenn grenzüberschreitende Vorgänge angegriffen werden, etwa eine Zahlung an einen im Ausland sitzenden Gläubiger. Hier stellt sich die schwierige Frage, nach welchem (Anfechtungs-)Recht sich dieser Vorgang beurteilt. Dazu finden sich zwei Normen in der EuInsVO. Die erste ist Art. 7 Abs. 2 lit. m EuInsVO, der bestimmt, dass sich die Insolvenzanfechtung nach dem Recht des Staates richtet, dessen Gerichte das Insolvenzverfahren eröffnet haben, also nach der lex fori concursus. Ist also das Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet worden, dann gilt für die Insolvenzanfechtung deutsches Recht, mithin §§ 129 ff. InsO. Das ist eine vernünftige, dem Universalitätsprinzip genügende Bestimmung, denn sie erlaubt es einem deutschen Insolvenzverwalter, auf der Grundlage des ihm bekannten deutschen Rechts zu beurteilen, ob der Vorgang anfechtbar ist, und das für den Anfechtungsprozess nach Art. 6 EuInsVO zuständige Gericht kann ebenfalls das ihm bekannte deutsche Recht anwenden.
Art. 16 EuInsVO ist für deutschen Insolvenzverwalter schwierig zu handeln
Konterkariert wird diese Regelung aber durch Art. 16 EuIns-VO. Denn nach dieser Vorschrift bleibt es dem Anfechtungsgegner der Einwand unbenommen, dass sich die angefochtene Rechtshandlung nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates richtet als nach dem des Eröffnungsstaates und dass die Rechtshandlung nach diesem Recht wirksam und nicht anfechtbar ist. Hat also beispielsweise der Schuldner neun Monate vor dem Eröffnungsantrag ein Gesellschafterdarlehen zurückgezahlt, das von einem französischen Gesellschafter gewährt wurde, so ist dies nach deutschem Recht (§ 135 InsO) ohne weiteres anfechtbar, nach französischem Recht aber nur, wenn der Schuldner bei Rückzahlung seine Zahlungen bereits eingestellt hatte und der Gesellschafter dies wusste (Art. L. 632-2 Code de Commerce). Art. 16 EuInsVO ist für den deutschen Insolvenzverwalter schwierig, denn er muss nun, um seine Prozesschancen bewerten zu können, für eine nach deutschem Recht angreifbare Rechtshandlung prüfen, welchem Recht diese Rechtshandlung unterliegt und ob dieses Recht ebenfalls zur Anfechtbarkeit führt. Das ist aufwändig, teuer und mit großer Rechtsunsicherheit behaftet.
Beachte | Es ist aber zugleich von zunehmender praktischer Relevanz, denn grenzüberschreitende Anfechtungsfälle nehmen zu, wie sich u. a. daran zeigt, dass es immer mehr höchstrichterliche Rechtsprechung dazu gibt. Zwei neuere Entscheidungen des deutschen Bundesgerichtshofs mögen das belegen.
Rechtslage nach schweizerischem Recht ist unklar
Im ersten Fall (BGH, Urt. v. 12.12.2019 – IX ZR 328/18) wur-de die Rückzahlung eines von einem in der Schweiz wohnhaften Gesellschafter gewährten Darlehens angefochten. Der BGH wandte Art. 7 Abs. 2 lit. m, 16 EuInsVO (in der Vorgängerversion der Art. 4 Abs. 2 lit. m, 13 EuInsVO 2000) an und gab der Klage statt mit der Begründung, die Rechtslage nach schweizerischem Recht sei ungeklärt und das gehe zulasten des Anfechtungsgegners. Beides ist bemerkenswert. Denn zum einen ist keineswegs klar, dass man die genannten Vorschriften der EuInsVO auch im Verhältnis zur Schweiz anwenden kann, die bekanntlich nicht Mitglied der EU ist, sodass die Voraussetzungen des Art. 16 EuInsVO eindeutig nicht erfüllt sind. Letztlich konnte das aber offenbleiben, denn § 339 InsO enthält für deutsche Insolvenzverfahren im Verhältnis zu Drittstaaten eine entsprechende Regelung. Zum anderen ist es aber sicher richtig, die Darlegungs- und Beweislast beim Anfechtungsgegner anzusiedeln, denn sowohl Art. 16 EuInsVO als auch § 339 InsO geben diesem nur eine Einrede, deren Voraussetzung er zu beweisen hat.
EuGH hat das letzte Wort
Im zweiten Fall (BGH, Beschl. v. 23.1.2020 – IX ZR 94/19) hatte die deutsche Schuldnerin eine vertragliche Forderung eines in den Niederlanden ansässigen Schuldners gegen eine zu diesem Zeitpunkt bereits insolvente deutsche Schwestergesellschaft beglichen. Das ist nach deutschem Recht gemäß § 134 InsO anfechtbar. Der Gläubiger wandte aber ein, der zugrundeliegende Vertrag richte sich nach niederländischem Recht und nach diesem Recht sei die Zahlung nicht anfechtbar. Dem hielt der Kläger entgegen, niederländischem Recht unterliege nur der Vertrag, nicht aber die Zahlung, um deren Anfechtung es hier allein gehe. Etwas überraschend hat der BGH den Fall dem EuGH vorgelegt und gefragt, ob nach der Rom-I VO das Vertragsstatut auch für die Erfüllungshandlung gelte und, wenn ja, wie sich das auf Art. 16 EuInsVO auswirke. Man darf gespannt sein, wie sich der EuGH dazu positionieren wird.