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Martin Strahl

Rückwirkende Gesetzgebung contra BFH – Rechtssicherheit adé

Der Regierungsentwurf des BMF eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 31.7.2019 kommt harmlos daher, indem er als Ziel formuliert, eine nachhaltige, bezahlbare und klimafreundliche Mobilität zu fördern. Zudem heißt es, es habe sich „in verschiedenen Bereichen des deutschen Steuerrechts fachlich notwendiger Gesetzgebungsbedarf – auch für Erleichterungen beim Bürger – ergeben. Dies betrifft insbesondere Maßnahmen zur Vereinfachung sowie zur Umsetzung von EU-Recht“, vgl. Abschn. A des Regierungsentwurfs.

Tatsächlich umschließt der Regierungsentwurf zahlreiche Regelungen, die Nichtanwendungsgesetze zu höchstrichterlichen Judikaten sind. Dabei geht es um alles andere als um Erleichterungen für die Steuerpflichtigen. Dies erfährt insbesondere negative Emphase, wenn höchstrichterliche Judikate rückwirkend aus der Welt geräumt werden sollen. Dazu diene der folgende – nicht abschließende – Überblick:

Nicht als Veräußerung gilt …

… nach § 20 Abs. 2 Satz 3 EStG-Entwurf die ganz oder teilweise Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung, die Ausbuchung wertloser Wirtschaftsgüter durch ein Finanzinstitut oder die Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter auf einen Dritten.

Mit dieser Regelung, die erst nach dem 31.12.2019 greifen soll, wird eine ganze Legion von Entscheidungen mit dem Diktum der Nichtanwendbarkeit belegt, vgl. BFH-Urt. VIII R 13/15 v. 24.10.2017, DStR 2017, 2801; VIII R 32/16 v. 12.6.2018, DStR 2018, 1964, sowie zahlreiche FG-Urt., zu denen die Revision beim BFH noch anhängig ist, s. dazu im Überblick Carlé, in: TT 64, 2018, Tz. H/1–9. Die Finanzverwaltung als Antreiber des Gesetzgebers schneidet hier einen ganzen Strang systematischer Rechtsprechungsentwicklung ab.

Und es sind doch Anschaffungskosten!

Nach Etablierung der Sondernorm für modellhafte Gestaltungen in § 15b EStG hielt der BFH die auf § 42 AO gestützte Aktivierung von Fondsetablierungskosten nicht mehr für anwendbar, vgl. BFH-Urt. IV R 33/15 v. 26.4.2018, DStR 2018, 1491. Nunmehr soll neben die Sonderregelung zur Versagung des Verlustabzugs aus modellhaften Gestaltungen in § 15b EStG mit § 6e EStG-Entwurf eine weitere Sonderregelung treten, wonach Fondsetablierungskosten als Anschaffungskosten zu behandeln sind. Es handelt sich soweit auch nur um einen Fall der Nichtanwendungsgesetzgebung, der zudem nach § 52 Abs. 14a EStG-Entwurf auch rückwirkend in Wirtschaftsjahren anzuwenden sein soll, die vor dem Tag nach der Verkündung des Änderungsgesetzes liegen.

Verkehrung des Begriffs der gewerblichen Tätigkeit

Der BFH hatte mit Urt. IV R 5/15 v. 12.4.2018, DStR 2018, 1421, entschieden, die Abfärbewirkung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG könne für eine vermögensverwaltende GbR nicht eintreten, wenn aus der Nutzungsüberlassung an eine Betriebskapitalgesellschaft lediglich Verluste erlitten werden. Eine gewerbliche Abfärbung könne allenfalls aus positiven gewerblichen Einkünften resultieren. Dieser Ansatz ist systematisch zutreffend, da allein eine mit Gewinnerzielungsabsicht entfaltete selbständige nachhaltige Betätigung gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG Gewerbebetrieb ist.

In Anwendung der Entscheidung hätte sich ein interessanter Aspekt für freiberufliche Mitunternehmerschaften ergeben, welche auch eine gewerbliche Tätigkeit ausüben, deren Umfang die Bagatellgrenze von 24.500 € oder 3 % des Gesamtumsatzes überschreitet, vgl. dazu BFH-Urt. VIII R 6/12 v. 27.8.2014, BStBl. 2015 II, 1002. Ebenso wäre der Fall betroffen gewesen, dass die freiberufliche Mitunternehmerschaft auch Vergütungen aus Leistungen erzielt, die in nicht unerheblichem Umfang durch einen angestellten Berufsträger ohne leitende und eigenverantwortliche Beteiligung der Mitunternehmer-Gesellschafter erbracht werden, vgl. dazu BFH-Urt. VIII R 62/13 v. 3.11.2015, BStBl. 2016 II, 381; VIII R 63/13 v. 3.11.2015, BStBl. 2016 II, 383. In beiden vorgenannten Konstellationen droht grds. die Anwendung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, mithin die vollständige Einstufung der Mitunternehmerschaft als Gewerbebetrieb. Ließe sich in den vorbezeichneten Fällen indes darstellen, dass die gewerbliche Betätigung einerseits oder die nicht hinreichend durch Mitunternehmer-Gesellschafter geprägte Tätigkeit angestellter Berufsträger andererseits ohne Gewinnerzielungsabsicht ausgeführt wurde, so käme die Abfärbewirkung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht zum Tragen.

Angestoßen durch die Finanzverwaltung – der entsprechende Regelungs-ansatz findet sich bereits im Regierungsentwurf des BMF eines Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften v. 8.5.2019 – ist nunmehr beabsichtigt, § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG wie folgt zu fassen:

Als Gewerbebetrieb gilt in vollem Umfang die mit Einkünfteerzielungsabsicht unternommene Tätigkeit

1. einer offenen Handelsgesellschaft, einer Kommanditgesellschaft oder einer anderen Personengesellschaft, wenn die Gesellschaft auch eine Tätigkeit i.S. des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ausübt oder gewerbliche Einkünfte i.S. des Abs. 1Satz 1 Nr. 2 bezieht. Dies gilt unabhängig davon, ob aus der Tätigkeit i.S. des Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ein Gewinn oder Verlust erzielt wird oder ob die gewerblichen Einkünfte i.S. des Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 positiv oder negativ sind;“ (Hervorhebungen nicht im Original.)

Damit soll die Abfärbewirkung auch eintreten, wenn die mitentfaltete gewerbliche Tätigkeit verlustträchtig ist oder die Personengesellschaft an einer Mitunternehmerschaft beteiligt ist und ihr daraus ein Verlust zugerechnet wird. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Anordnung dieser Rechtsfolge mit dem Einleitungssatz zu § 15 Abs. 3 EStG vereinbar ist, der nach wie vor voraussetzt, dass die Tätigkeit „mit Einkünfteerzielungsabsicht“ unternommen wird. Dieser Einleitungssatz ist bislang nicht zur Änderung vorgesehen.

Der gesetzgeberische Ansatz ist nicht nur rechtsprechungsbrechend, sondern auch systemwidrig, weil er die Grundregel, wonach ein Gewerbebetrieb das Handeln in Gewinnerzielungsabsicht voraussetzt, im Rahmen einer Sonderregelung aushöhlt, die nach der Rspr. des BVerfG nur deswegen verfassungsgemäß ist, weil sie – durch die Errichtung einer gewerblichen Schwesterpersonengesellschaft – vermieden werden kann, vgl. BVerfG-Beschl. 1 BvL 2/04 v. 15.1.2008, DB 2008, 1243, Rn. 135 („Die Personengesellschaft kann die drohende Erstreckung der GewSt. auf Einkünfte aus anderen Einkunftsarten und die entsprechende Verstrickung der zugehörigen Vermögenswerte weitgehend risikolos und ohne großen Aufwand durch Gründung einer zweiten personenidentischen Schwestergesellschaft vermeiden“). Es stellt sich die Frage, ob die beabsichtigte Neuregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nunmehr doch zur Verfassungswidrigkeit der Vorschrift führt; denn eine verlustträchtige gewerbliche Tätigkeit kann nicht auf eine personenidentische Schwestergesellschaft verlagert werden, da dies zur Insolvenz der Schwesterpersonengesellschaft führte.

Nach § 52 Abs. 23 Satz 1 EStG-Entwurf soll die Neuregelung des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 auch für VZ vor 2019 anzuwenden sein. Damit soll die rechtsprechungsbrechende Neurege-lung rückwirkend Anwendung finden. Auch dies ist verfassungsrechtlich problematisch, da damit eine höchstrichterliche Auslegung der Norm in abgeschlossenen VZ für nicht anwendbar erklärt wird, s. dazu bereits kritisch ms, kösdi 2019, 21295, 21296. – (Referatsleiter im BMF) Hörster, NWB 2019, 2484, 2491, hält demgegenüber diese Rückwirkung für zulässig, da dadurch eine Rechtsauffassung gesetzlich festgeschrieben wird, „die von der Verwaltung nach der Rspr. bereits über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren ununterbrochen angewandt wurde“. – Dies ist unzutreffend; denn die Entscheidung ist nicht in Änderung der Rspr. ergangen und hat die unrichtige vorherige Verwaltungsauffassung korrigiert.

Zum Schluss | Der vorliegende Regierungsentwurf unterstreicht, dass Äußerungen, die Praxis der Nichtanwendungserlasse solle zurückgefahren werden, wertlos sind, wenn stattdessen der Gesetzgeber bemüht wird und sich im Übrigen die Nichtveröffentlichung von höchstrichterlichen Entscheidungen im BStBl. II als neue Form des Nichtanwendungserlasses in der Betriebsprüfungspraxis darstellt. Der Rechtssicherheit wird ein weiterer Aushöhlungsstoß durch die gar rückwirkende Kodifikation von Neuregelungen gegeben.

Die Unseligkeit solcher Rückwirkungen wird sich zudem aber auch bei der Umsetzung von EU-Recht ergeben. So ist womöglich noch nicht allzu tief ins öffentliche Bewusstsein gedrungen, dass in Art. 97 § 33 Abs. 1 EGAO bezüglich der Mitteilungspflicht von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen geregelt werden soll, diese greife bereits, wenn der „erste Schritt einer mitteilungspflichtigen grenzüberschreitenden Steuergestaltung nach dem 24. Juni 2018 umgesetzt wurde“, vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung von Steuergestaltungen v. 30.1.2019. Dieses Gesetz steht noch nicht im BGBl., doch wir bewegen uns bereits mitten in seinem Anwendungsfeld.