Global Taxes Außensteuerrecht
Gerhard Kraft

Gedanken zur Zukunft der Hinzurechnungsbesteuerung

Die in den §§ 7-14 AStG verortete Hinzurechnungsbesteuerung wird – das ist ein weitgehend unstrittiger Befund – als dringend reformbedürftig qualifiziert. Sie gilt als zu kompliziert und damit vielfach unpraktikabel. Ferner wird ihr zur Last gelegt, sie sei im Hinblick auf Regelungsziel und Regelungskonzeption nicht mehr zeitgemäß, in sich widersprüchlich und damit nicht mehr beherrschbar. Trotz der Einführung eines Motivtests in § 8 Abs. 2 AStG sei sie weiterhin in Teilbereichen nicht mit den Grundfreiheiten des AEUV kompatibel. Schließlich verstummt die verfassungsrechtliche Kritik im Allgemeinen ebenso wenig wie der Vorwurf, im Speziellen vermöge die Hinzurechnungsbesteuerung zu exorbitanten verfassungsrechtlich nicht mehr zu rechtfertigenden Belastungswirkungen zu führen. 

Die Kritikpunkte sind der Exekutive nicht verborgen geblieben. So soll – dem Vernehmen nach – die Hinzurechnungsbesteuerung nach einem wohlgemerkt bislang nicht öffentlich zugänglichen Eckpunkte-Papier der Außensteuerreferatsleiter in absehbarer Zeit reformiert werden.

Hinzurechnungsbesteuerung gerät international unter Druck

Bezüglich ihres künftigen Schicksals und ihrer künftigen Konzeption Fahrt aufgenommen hat die Hinzurechnungsbesteuerung ferner aufgrund internationaler Normsetzungsaktivitäten. So hat einerseits die OECD mit ihrem am 5.10.2015 veröffentlichten Aktionsplan 3 (action point 3) „Designing Effective Controlled Foreign Company Rules“ (CFC) Leitlinien einer international akzeptablen Konzeption von Systemen der Hinzurechnungsbesteuerung formuliert. Diesem Instrument kommt die Qualität von „soft law“ zu, es nimmt Empfehlungscharakter ein. Daneben ist auf die am 12.07.2016 formal verabschiedete EU-Richtlinie gegen Steuervermeidung („Anti Tax Avoidance Directive” – „ATAD”) zu verweisen.

Diese Richtlinie des Rates mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts vom 5.7.2016 nimmt aufgrund ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt als RL (EU) 2016/1164 am 19.7.2016 den Rang Europäischen Sekundärrechts ein und ist demzufolge als „hard law“ zu charakterisieren. Die ATAD formuliert in zwei Artikeln (Art. 7 und 8 ATAD) das hinzurechnungssteuerliche „Mindestschutzniveau“, welches mit Ablauf der Umsetzungsfrist in sämtlichen Mitgliedsstaaten Geltung beanspruchen soll.

Die Fragestellungen, die sich aufgrund der skizzierten internationalen Entwicklungen ergeben, lassen sich wie folgt umschreiben:

  • Müssen die deutschen Regelungen zur Hinzurechnungsbesteuerung aufgrund von BEPS und ATAD angepasst werden?
  • Empfehlen sich Anpassungen in solchen Regelungsbereichen, in denen die positive deutsche Rechtslage über die Anforderungen BEPS und ATAD hinausgeht?

Hinweis Erhöhte Aufmerksamkeit kommt der Hinzurechnungsbesteuerung schließlich aufgrund diverser Entwicklungen in der Rechtsprechung zu. So waren noch niemals in ihrer mittlerweile 45-jährigen Geschichte so viele Verfahren anhängig wie derzeit. Bemerkenswert ist insoweit, dass in nahezu sämtlichen Fällen die Finanzgereichte die Revision zugelassen haben.

BFH zweifelt an der Unionsrechtskompatibilität

Ferner schlägt der Hinzurechnungsbesteuerung kalter unionsrechtlicher Wind entgegen. Mit seinem Vorlagebeschluss vom 12.10.2016 – I R 80/14 hat der I. Senat des BFH seine erheblichen Zweifel an der Unionsrechtskompatibilität der Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter artikuliert. Zwar betrifft der Vorlagebeschluss „nur“ die Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter (§ 7 Abs. 6 und 6a AStG). Es steht indessen außer Frage, dass die Erwägungen des Vorlagebeschlusses sich mit einigen Modifikationen auf die „allgemeine“ Hinzurechnungsbesteuerung nach § 7 Abs. 1 AStG in Drittstaatensachverhalten übertragen lassen.

Materiell geht es darum, ob die Regelungsmaterie der sogenannten Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter im Drittstaatenfall mit der in Artikel 64 AEUV garantierten Kapitalverkehrsfreiheit in Konflikt steht. Die in den Streitzeiträumen noch durch die Vorläuferbestimmung des Artikel 64 AEUV (Art. 57 des EG-Vertrags) geregelte Kapitalverkehrsfreiheit enthält bekanntlich als einzige Grundfreiheit einen Drittstaatenbezug dergestalt, dass die tatbestandliche Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedsstaaten und dritten Ländern verboten ist.

Da es sich um einen Sachverhalt mit Drittstaatenbezug handelt, muss geklärt werden, ob die Anwendbarkeit der einzigen insoweit anwendbaren Grundfreiheit, der Kapitalverkehrsfreiheit, nicht aufgrund der sogenannten Standstill-Klausel des Artikel 64 AEUV gesperrt ist. Dies wäre dann der Fall, wenn – vereinfacht ausgedrückt – die Grundgedanken der fraglichen Regelungen zum 31.12.1993 mit den Grundgedanken der im Streitzeitraum anwendbaren Regelungen im Kern übereinstimmten. Nach überzeugend begründeter Auffassung des I. Senats des BFH kann davon indessen aufgrund der zwischenzeitlich eingetretenen Rechtsentwicklungen keine Rede sein.

Quintessenz | Mit Sicherheit darf prognostiziert werden, dass die zu erwartende Entscheidung enormen Einfluss auf das unionsrechtlich kompatible Design von Hinzurechnungsbesteuerungssystemen in der Europäischen Union haben wird. Eine strukturelle Gegenläufigkeit zu den internationalen legislatorischen Entwicklungen liegt in der Natur der Sache. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich der Charakter der Hinzurechnungsbesteuerung in der Besteuerungswirklichkeit fundamental geändert hat. Kam ihr früher weitgehend „generalpräventive“ Qualität zu, sind heute internationale Steuergestaltungsstrategien ohne vertiefte Kenntnis dieser Regelungsmaterie kaum noch zu verantworten. Die sorgsame Beobachtung der sich abzeichnenden Entwicklungen verkörpert daher einen zentralen Eckpfeiler des aktuellen und künftigen Internationalen Steuerrechts.