Abschaffung der Abgeltungsteuer nach der Bundestagswahl?
Vor dem Hintergrund der anstehenden Bundestagswahl kommt der von verschiedenen Seiten immer wieder erhobenen Forderung nach einer Abschaffung der Abgeltungsteuer neue Aktualität zu. So wird in den Wahlprogrammen von SPD, Grünen und Linkspartei die Abgeltungsteuer als ungerechtfertigte Begünstigung kritisiert, welche insbesondere die Bezieher von Kapitaleinkünften gegenüber solchen mit Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit bevorzuge. Auch das Regierungsprogramm von CDU/CSU enthält explizit die Forderung nach einer Abschaffung der Abgeltungsteuer, „wenn international ein funktionierender Informationsaustausch besteht“ (S. 33). Die Wahlprogramme von FDP und AfD nehmen zur Abgeltungsteuer nicht explizit Stellung. Ein klares positives Bekenntnis zur Abgeltungsteuer findet sich demnach in keinem der Wahlprogramme der voraussichtlich im nächsten Bundestag vertretenen Parteien, sodass durchaus zweifelhaft ist, ob die Abgeltungsteuer in ihrer derzeitigen Form eine Zukunft hat.
Argumente für eine Beibehaltung der Abgeltungsteuer
Seinerzeit wurde die Abgeltungsteuer mit dem Ziel begründet, den Anreiz zur Steuerflucht ins Ausland zu senken und die Standortattraktivität Deutschlands zu steigern. Der von Peer Steinbrück verwendete einprägsame Slogan „besser 25 Prozent auf X als 42 Prozent auf gar nichts“ gibt die damalige Sichtweise zwar pointiert, aber durchaus zutreffend wieder. Ob die gewünschten Lenkungswirkungen eingetreten bzw. so deutlich ausgefallen sind, dass sie eine derart drastische Systemumstellung wie die Einführung der Abgeltungsteuer retrospektiv rechtfertigen können, ist zu bezweifeln. Denn mit dem Halbeinkünfteverfahren bestand auch vor der Einführung der Abgeltungsteuer schon ein Besteuerungssystem, dass der ertragsteuerlichen Vorbelastung von Beteiligungserträgen angemessen Rechnung trug, während die Besteuerung von Zinserträgen im Privatvermögen in Zeiten historischer Niedrigzinsen generell an materieller Bedeutung verloren hat. Der Schlüssel zur Bekämpfung der internationalen Steuerflucht mag daher in der Tat primär in einem verbesserten internationalen Informationsaustausch liegen – völlig unabhängig von der Frage der Beibehaltung oder Abschaffung der Abgeltungsteuer.
Ein weiteres Argument für die abgeltende Besteuerung von Kapitalerträgen ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, nämlich die durch sie induzierte Reduktion von „Befolgungskosten“. Für den Großteil der Privatanleger ist die Abgeltungsteuer ein durchaus „bequemes“ System, bei dem wegen der abgeltenden Wirkung des § 43 Abs. 5 EStG in vielen Fällen bereits die Notwendigkeit zur Angabe der Kapitalerträge in der Einkommensteuererklärung entfällt.
Beachte | Nach erheblichen Reibungsverlusten im Zuge der Umstellung auf das System der Abgeltungsteuer darf mittlerweile auch eine signifikante Arbeitsentlastung für die Finanzverwaltung sowie eine gewisse Routine in ihrer Handhabung durch die Banken konstatiert werden. Auch wird die deutsche Abgeltungsteuer im internationalen Kontext keinesfalls als „exotisch“ eingestuft, denn es sind mittlerweile viele Staaten dazu übergegangen, Kapitaleinkünfte abgeltend zu besteuern.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Diskussion um die Vorzugswürdigkeit der Besteuerung von Kapitalerträgen im Rahmen der synthetischen Einkommensteuer oder im Rahmen der Abgeltungsteuer nach der Bundestagswahl nicht „auf dem leeren akademischen Reißbrett“ stattfinden wird. Vielmehr ist die Abgeltungsteuer nunmehr – mit erheblichen Aufwand – bereits vollumfänglich implementiert. Die voraussichtlichen positiven Effekte einer Abschaffung der Abgeltungsteuer müssen daher so deutlich sein, dass sie auch die zu erwartenden hohen Umstellungskosten eines nochmaligen, drastischen Eingriffs in die derzeitige Besteuerungssystematik rechtfertigen.
Kritik an der Abgeltungsteuer
Die Abgeltungsteuer konstituiert eine punktuelle Abkehr vom Prinzip der synthetischen Einkommensteuer, ohne jedoch stattdessen den alternativen Ansatz einer Schedulenbesteuerung konsequent zu Ende zu verfolgen. Damit ist die Abgeltungsteuer bereits ihrer Grundkonzeption nach sicherlich keine Sternstunde steuersystematischer Stringenz und Logik.
Konkrete Kritikpunkte an ihrer Systematik betreffen insbesondere den in § 32d Abs. 1 EStG festgelegten einheitlichen Steuersatz von 25%. Auch wenn die Vorbelastung mit Körperschaftsteuer und gegebenenfalls Gewerbesteuer auf Ebene der ausschüttenden Körperschaft durchaus ein privilegiertes Besteuerungsregime für Beteiligungserträge auf Ebene des Anteilseigners rechtfertigt, wurde mit Blick auf das Leistungsfähigkeitsprinzip in diesem Zusammenhang zu Recht die Frage aufgeworfen, wie sich der Pauschalsteuersatz auch für nicht ertragsteuerlich vorbelastete Kapitalerträge (z.B. Zinsen) rechtfertigen lässt. Berechtigte Kritik wurde auch an der pauschalen Werbungskosten-Abzugsbegrenzung gemäß § 20 Abs. 9 EStG geübt, welche im Widerspruch zum objektiven Nettoprinzip steht und in Fällen hoher tatsächlicher Werbungskosten zu äußerst fragwürdigen Belastungswirkungen führen kann.
Hinweis | Gleichwohl legt zumindest die bisherige Rechtsprechung nahe, dass die Abgeltungsteuer aus verfassungsrechtlicher Sicht den zulässigen gesetzgeberischen Handlungsspielraum noch nicht überschreitet (vgl. Pfirrmann in Kirchhof – EStG (16. Aufl. 2017), § 32d EStG, Rn. 2ff.).
Handlungsempfehlungen | Sowohl die Argumente für die Abschaffung der Abgeltungsteuer als auch die Gegenargumente haben erhebliches Gewicht. Wünschenswert wäre vor diesem Hintergrund, wenn de lege ferenda entweder eine Besteuerung von Kapitalerträgen im Rahmen des synthetischen Einkommensteuersystems oder die abgeltende Besteuerung von Kapitalerträgen systematisch konsequent und widerspruchsfrei umgesetzt würde. Für beide Fälle sollen daher im Folgenden Umsetzungsempfehlungen zur Diskussion gestellt werden:
- Beibehaltung der Abgeltungsteuer:
Soll die Systematik der Abgeltungsteuer beibehalten werden, so ist zu beachten, dass es in den Fällen, in denen der begünstigende Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG nicht zur Anwendung kommt, für die Werbungskosten-Abzugsbeschränkung gemäß § 20 Abs. 9 EStG an jeder Rechtfertigung fehlt. Entsprechend sollte die Begrenzung des tatsächlichen Werbungskostenabzugs gemäß § 20 Abs. 9 EStG mindestens für solche Fälle suspendiert werden, in denen der Sondertarif des § 32d Abs. 1 EStG nicht zum Tragen kommt, wie etwa im Rahmen der Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG.Der Tatsache, dass Beteiligungserträge in der Regel ertragsteuerlich vorbelastet sind, andere Kapitaleinkünfte (z.B. Zinserträge) jedoch nicht, kann durchaus auch im Rahmen der Systematik der Abgeltungsteuer sachgerecht begegnet werden, etwa durch differenzierte Abgeltungsteuertarife für ertragsteuerlich vorbelastete und nicht-vorbelastete Arten von Kapitaleinkünften. Wünschenswert wäre weiterhin eine Ausweitung der in § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG vorgesehenen Optionsmöglichkeiten zum Teileinkünfteverfahren. Bei fremdfinanzierten Beteiligungen im Privatvermögen sollte für den Steuerpflichtigen über die engen derzeit geltenden Voraussetzungen des § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG hinaus ein weitreichendes Wahlrecht zur synthetischen Besteuerung und zum Teileinkünfteverfahren bestehen, um die in diesen Fällen besonders fragwürdigen Folgen des § 20 Abs. 9 EStG abzumildern. - Abschaffung der Abgeltungsteuer:
Sollte der Spezialtarif des § 32d Abs. 1 EStG für Kapitaleinkünfte abgeschafft werden, so wäre es systemgerecht, auch die in § 20 Abs. 6 EStG verorteten Verlustverrechnungsbeschränkungen aufzuheben. Für Dividenden und Veräußerungsgewinne aus Beteiligungen wäre zudem konsequent das Teileinkünfteverfahren gemäß § 3 Nr. 40 EStG in Verbindung mit § 3c Abs. 2 EStG anzuwenden. Die Werbungskosten-Abzugsbeschränkung des § 20 Abs. 9 EStG hat – wenn überhaupt – nur im Zusammenhang mit § 32d Abs. 1 EStG und § 43 Abs. 5 EStG eine Daseinsberechtigung und wäre bei einer Aufhebung dieser Vorschriften ebenfalls ersatzlos zu streichen.