Anzeigepflicht von Steuergestaltungen – Handlungspflicht auch ohne nationales Umsetzungsgesetz
Der Europäische Rat hat am 25.5.2018 die EU-Richtlinie (EU)2018/822 des Rates zur Änderung und Ergänzung der Richtlinie 2011/16/EU vom 15.2.2011 hinsichtlich des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen verabschiedet. Die Änderungsrichtlinie ist am 25.6.2018 in Kraft getreten. Bis spätestens 31.12.2019 müssen die Mitgliedstaaten entsprechende nationale Rechts- und Verwaltungsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie erlassen und veröffentlichen und die Kommission hierüber in Kenntnis setzen (Art. 2 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie (EU)2018/822). Diese Vorschriften sind erst ab dem 1.7.2020 anzuwenden (Art. 2 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie (EU)2018/822).
Jeder Mitgliedstaat ist verpflichtet, darüber hinaus erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um Intermediäre und relevante Steuerpflichtige zur Vorlage von Informationen über meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltungen zu verpflichten, deren erster Schritt zwischen dem 25.6.2018, also dem Tag des Inkrafttreten der Änderungsrichtlinie, und dem 30.6.2020 umgesetzt wurde (neuer Art. 8ab Abs. (12), vgl. Art. 1 Ziff. 2 der Richtlinie (EU)2018/822). Solche Informationen für zurückliegende Maßnahmen sind bis zum 31.8.2020 offenzulegen.
Umsetzung in nationales Recht
Obwohl die Richtlinie „nur“ grenzüberschreitende Sachverhalte erfasst, beabsichtigt der deutsche Gesetzgeber auch nationale Steuergestaltungen einer Anzeigepflicht zu unterwerfen. Das BMF hat am 30.1.2019 den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Einführung der Pflicht zur Mitteilung von Steuergestaltungen zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2018/822 EU v. 25.5.2018 in die Ressortabstimmung gebracht. Zur Umsetzung der Richtlinie (EU)2018/822 sieht der Entwurf die Einfügung der neuen §§ 138d bis 138i AO-E vor. Die darüber hinaus gehende Ausweitung auf nationale Steuergestaltungen soll in einem neuen § 138j AO-E geregelt werden.
Dieser Referentenentwurf ist seit Monaten Gegenstand einer steuerpolitischen Diskussion. Auch wenn es sich bislang nur um einen Entwurf handelt, der von den Berufsverbänden (BRAK, StBK, WPK) zu Recht kritisiert wird und über den auch auf politischer Ebene noch keine Einigung – insbesondere im Hinblick auf die vorgesehene Erweiterung auf rein nationale Steuergestaltungen – erzielt wurde, bleibt festzustellen, dass die Pflicht zur Offenlegung von grenzüberschreitenden Steuergestaltungen auch ohne nationales Umsetzungsgesetz bereits ab dem 25.6.2018 zu beachten ist. Damit besteht Handlungsbedarf sowohl für Berater und als auch für Steuerpflichtige.
Wer ist verpflichtet?
Die Mitteilungspflicht soll vorrangig den sog. Intermediär treffen. Intermediär ist nach dem Wortlaut der Richtlinie jede Person, die eine grenzüberschreitende Gestaltung konzipiert, vermarktet, organisiert oder zur Umsetzung bereitstellt oder die die Umsetzung einer solchen Gestaltung verwaltet. Definitionsgemäß fallen insbesondere die steuerlichen Berater unter diesen Begriff. Grundsätzlich kollidiert eine solche Anzeigepflicht mit der berufsrechtlichen Verschwiegenheit von Rechtsanwälten und Steuerberatern.
Jeder Mitgliedstaat ist daher berechtigt die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um Intermediäre, die zur gesetzlichen Verschwiegenheit verpflichtet sind, von der Anzeigepflicht zu befreien. Den Steuerpflichtigen soll die Pflicht zur Anzeige einer grenzüberschreitenden Steuergestaltung nur treffen, wenn sich ein Intermediär auf seine gesetzliche Verschwiegenheitspflicht berufen kann und es keinen weiteren Intermediär gibt, der zur Meldung verpflichtet ist.
Obwohl das Verschwiegenheitsprivileg im Zusammenhang mit den o.g. Anzeigepflichten noch nicht in einem Umsetzungsgesetz verankert ist, ergibt sich keine Kollission mit der Verschwiegenheitspflicht im Hinblick auf die bereits heute nach der Richtlinie zu beachtenden Pflichten. Zwar müssen Informationen zu ersten Schritten betreffend etwaige grenzüberschreitende Gestaltungen ab dem 25.6.2018 gesammelt werden. Diese müssen jedoch erst bis zum 31.8.2020 offengelegt werden. Bis dahin muss die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erfolgt sein. Das Umsetzungsgesetz wird voraussichtlich die bereits in dem Entwurf vorgesehene Möglichkeit zur Berufung auf die Verschwiegenheit des Beraters berücksichtigen. Mandanten müssen seit Inkrafttreten der Richtlinie darauf hingewiesen werden, dass grenzüberschreitende Gestaltungsmaßnahmen im Zeitraum bis zum 30.6.2020 nachträglich offen zu legen sind.
Beachte | Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist auf keinen bestimmten Personenkreis begrenzt. Grundsätzlich kommt daher jeder Steuerpflichtige in Betracht, der an einer grenzüberschreitenden Gestaltung beteiligt ist.
Die Richtlinie gilt für Steuern aller Art mit Ausnahme der Umsatzsteuer, Verbrauchsteuern und Zölle (vgl. Art. 2 der Richtlinie 2011/16/EU).
Was ist offenzulegen bzw. anzuzeigen?
Der Anwendungsbereich der Richtlinie zielt auf die Meldung von „potenziell aggressiven grenzüberschreitenden Steuerplanungsgestaltungen“. Was genau darunter zu verstehen ist, soll anhand bestimmter Kennzeichen („Hallmarks“) gemäß Anhang IV der Richtlinie ermittelt werden. Diese Kennzeichen sollen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie das Kriterium des „Main benefit-Test“ erfüllen. Der Main benefit-Test gilt als erfüllt, wenn festgestellt werden kann, dass „der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile, den eine Person unter Berücksichtigung aller Fakten und Umstände vernünftigerweise von einer Gestaltung erwarten kann, die Erlangung eines Steuervorteils ist“.
Hinsichtlich der Kennzeichen unterscheidet Anhang IV zwischen allgemeinen Kennzeichen in Verbindung mit dem „Main benefit-Test“ (z.B. Verpflichtung zur Einhaltung einer Vertraulichkeitsklausel, standardisierte Dokumentation, die mehrfach verwendet werden kann), spezifisichen Kennzeichen in Verbindung mit dem „Main benefit-Test“ (z.B. Vornahme künstlicher Schritte, um ein verlustbringendes Unternehmen mit dem Ziel der Verlustnutzung zu erwerben) und spezifischen Kennzeichen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Transaktionen (z.B. in mehr als einem Hoheitsgebiet werden Abzüge für die Abschreibung desselben Vermögenswertes beantragt).
Der Begriff „grenzüberschreitend“ ist sehr weit definiert (vgl. Art. 1 Ziff. 1 lit b) der Richtlinie). Der Tatbestand einer grenzüberschreitenden Transaktion ist u.a. dann erfüllt, wenn nicht alle an der Gestaltung Beteiligten in demselben Hoheitsgebiet steuerlich ansässig sind.
Der Begriff „Gestaltung“ bleibt bedauerlicherweise undefiniert. Weder aus der Begründung zur Richtlinie noch aus der Richtlinie selbst geht hervor, wann eine meldepfichtige Gestaltung vorliegt. Faktisch kann jede Anwendung des Gesetzes als Gestaltung gewertet werden. Vorteile aus der Anwendung des Gesetzes, die der Gesetzgeber möglicherweise nicht bedacht oder nicht gewünscht hat, dürfen letzlich nicht genutzt werden. Somit fällt es in den Verantwortungsbereich des Intermediärs zu beurteilen, welche steuerlichen Vorteile, die sich aus der Anwendung des Gesetzes ergeben, der Gesetzgeber möglicherweise nicht gewünscht hat. Faktisch werden auf den Steuerpflichtigen und seine Berater Aufgaben verlagert, die in den Kompetenzbereich der Legislative fallen.
Hinweis | Aufgrund der fehlenden Definition einer Gestaltung besteht die Gefahr, dass vorsorglich jede grenzüberschreitende Steueranwendung gemeldet wird. Denn theoretisch kann jede Gesetzesanwendung, die einen steuerlichen Vorteil ermöglicht, als Gestaltung im Sinne der Richtlinie gewertet werden.
Beispiel:
Eine ausländische Gesellschaft beabsichtigt in Deutschland eine Tochtergesellschaft in der Rechtsform einer GmbH zu gründen. Wegen der unterschiedlichen gewerbesteuerlichen Hebesätze empfiehlt der steuerliche Berater den Sitz der Gesellschaft nicht in München, sondern in Grünwald zu begründen.
Das Tatbestandsmerkmal „grenzüberschreitend“ ist hier erfüllt. Die ausländische Gesellschaft ist nicht im deutschen Hoheitsgebiet ansässig. Der einzige Grund, warum der Sitz nach Grünwald verlegt wird, ist die beabsichtigte Einsparung von Gewerbesteuer. Der Berater, der eine Vielzahl ausländischer Mandanten berät, empfiehlt diese Vorgehensweise jedem seiner Mandanten, die das auch jeweils umsetzen. Diese Vorgehensweise ist somit für mehr als einen Steuerpflichtigen relevant.
Damit erfüllt diese Gestaltung sowohl den Main benefit-Test als auch mindestens ein Kriterium der Anlage IV zur Richtlinie.
Was ist zu melden?
Die zu übermittelnden Informationen müssen folgende Angaben enthalten:
- Angaben zu den Intermediären und relevanten Steuerpflichtigen, einschließlich Name, Geburtsdatum und -ort (bei natürlichen Personen), Steueransässigkeit, Steueridentifikationsnummer sowie gegebenenfalls der Personen, die als verbundene Unternehmen des relevanten Steuerpflichtigen gelten;
- Einzelheiten zu den in Anhang IV aufgeführten Kennzeichen, die bewirken, dass die grenzüberschreitende Gestaltung meldepflichtig ist;
- eine Zusammenfassung des Inhalts der meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung;
- Datum, an dem der erste Schritt der Umsetzung der meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung gemacht wurde oder gemacht werden wird;
- Einzelheiten zu den nationalen Vorschriften, die die Grundlage der meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung bilden;
- den Wert der meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung;
- die Angabe des Mitgliedstaats des/der relevanten Steuerpflichtigen und aller anderen Mitgliedstaaten, die wahrscheinlich von der meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung betroffen sind;
- Angaben zu allen anderen Personen in einem Mitgliedstaat, die wahrscheinlich von der meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung betroffen sind, einschließlich Angaben darüber, zu welchen Mitgliedstaaten sie in Beziehung stehen.
Allein die Anzeige ist keine Indikation für die Zulässigkeit der beabsichtigten Transaktion; auch die Tatsache, dass eine Steuerverwaltung nicht auf eine meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung reagiert, impliziert nicht die Anerkennung der Gültigkeit oder der steuerlichen Behandlung dieser Gestaltung.
Die Mitteilung hat gegenüber der zuständigen Finanzbehörde zu erfolgen, die dann in einem weiteren Schritt diese Informationen mit den Behörden der anderen Mitgliedstaaten automatisch austauschen soll.
Sanktionen
Um die Erfolgsaussichten der Richtlinie zu gewährleisten, sollen die Mitgliedstaaten nach dem Wortlaut der Richtlinie Sanktionen bei Verstößen gegen die nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie festlegen. Diese Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.
Der Referentenentwurf sieht bei vorsätzlichem oder leichtfertigem Verstoß gegen die Mitteilungspflichten Geldbußen bis EUR 25.000 vor.
Ausblick | An dieser Stelle kann nur auf einige wenige Aspekte der Anzeigepflicht von (grenzüberschreitenden) Steuergestaltungen hingewiesen werden. Es steht außer Frage, dass jegliche Maßnahmen, die auf eine Steuerhinterziehung gerichtet sind, unterbunden werden müssen. Der Anwendungsbereich der Richtlinie und des Referentenentwurfs zielt jedoch auf die legale Anwendung des geltenden Rechts ab. Steuerpflichtige und deren Berater sollen faktisch den Gesetzgeber auf steuerliche Vorschriften hinweisen, die bei ihrer Anwendung Steuervorteile einräumen, welche der Gesetzgeber möglicherweise nicht beabsichtigt hat.
Angesichts der bisherigen Formulierungen in dem Referentenentwurf, welche faktisch jede Steueranwendung erfassen, mit denen der Steuerpflichtige einen gesetzlichen Steuervorteil erzielt, ist damit zu rechnen, dass es zu einer unüberschauben Anzahl von Meldungen kommen wird, mit denen die Finanzbehörden überfordert sein werden. Zwar mag bei kleinvolumigen Fällen die vorgesehene Geldstrafe Abschreckungswirkung entfalten. Jedoch wird dies bei großvolumigen Fällen wohl eher nicht der Fall sein. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, eindeutige Regelungen im Umsetzungsgesetz zu schaffen, um jegliche Interpretationsschwierigkeiten von vornherein zu vermeiden.