Die Änderung der gesellschaftsrechtlichen Fusionsrichtlinie
Am 25.4.2018 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen veröffentlicht (COM(218)241final). Dadurch soll die bestehende Richtlinie geändert und an neuere Entwicklungen angepasst werden.
Entwurf enthält Vorschriften mit steuerlichem Charakter
Der Richtlinienentwurf betrifft eigentlich im Grunde nur gesellschaftsrechtliche Fragen der Umwandlungen von Unternehmungen, enthält aber zum ersten Mal auch Vorschriften, die einen steuerlichen Charakter haben. Art. 86c (grenzüberschreitende Umwandlungen) und Art. 160d (Spaltungen) des Richtlinienentwurfs haben den Zweck, Umwandlungen zu verhindern, die das Ziel der Erlangung eines missbräuchlichen Steuervorteils haben. So stellen beide Vorschriften Umwandlungen unter den Vorbehalt einer Genehmigung durch die zuständige Behörde, „wenn sie nach Prüfung des betreffenden Falls und unter Berücksichtigung aller relevanten Tatsachen und Umstände feststellt, dass es sich um eine künstliche Gestaltung mit dem Ziel handelt, unrechtmäßige Steuervorteile zu erlangen“.
Die genannten Vorschriften benützen die Ausdrücke „künstliche Gestaltung“ sowie „unrechtmäßige Steuervorteile“. Die Bedeutung wird in beiden Fällen nicht weiter erklärt. Die Präambel verwendet in Tz. 40 ohne weitere Konkretisierung leicht abweichend den Begriff des „ungerechtfertigten Steuervorteils“. In den Erläuterungen zum Richtlinienentwurf verweist die Kommission auf die Rechtsprechung des EuGH.
EuGH mit abweichender Formulierung
Der EuGH formuliert aber die Rechtfertigung einer Einschränkung der Grundfreiheiten durch missbräuchliche Gestaltungen abweichend. In dem maßgebenden Urteil in der Rs. Cadbury Schweppes (Urt. v. 12.9.2006, C-196/04) heißt es in Tz. 51: „Eine nationale Maßnahme, die die Niederlassungsfreiheit beschränkt, kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn sie sich speziell auf rein künstliche Gestaltungen bezieht, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats zu entgehen“. Der Richtlinienentwurf gibt also die EuGH-Rechtsprechung nicht korrekt wieder, er verwässert die strengen Anforderungen des EuGH und verlangt nur noch „eine“ künstliche Gestaltung, wo der EuGH eine „rein“ künstliche Gestaltung fordert.
Beachte | Das ist sicherlich ein rechtlich nicht unbedeutender Unterschied.
Auffallend ist auch, dass der Richtlinienentwurf nicht von missbräuchlicher Gestaltung oder Steuervermeidung bzw. Steuerumgehung spricht, sondern den neuen Begriff des unrechtmäßigen Steuervorteils einführt. Nun führen aber Unternehmensumwandlungen, die bestimmte Bedingungen erfüllen, regelmäßig dazu, dass die Aufdeckung stiller Reserven im Augenblick der Umwandlung nicht zu einer Besteuerung führt, sie also mit einem Steuervorteil verbunden sind. Es bleibt aber offen, unter welchen Umständen Steuervorteile „unrechtmäßig“ oder „ungerechtfertigt“ sein sollen.
Weitere Unklarheiten des Entwurfs sind offensichtlich
Der Richtlinienentwurf weicht aber nicht nur von der EuGH-Rechtsprechung ab, sondern auch vom Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 der Steuervermeidungsrichtlinie vom 12.7.2016 (RICHTLINIE (EU) 2016/1164 „ATAD I“). Hier heißt es: „Liegt unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände eine unangemessene Gestaltung oder eine unangemessene Abfolge von Gestaltungen vor, bei der der wesentliche Zweck oder einer der wesentlichen Zwecke darin besteht, einen steuerlichen Vorteil zu erlangen, der dem Ziel oder Zweck des geltenden Steuerrechts zuwiderläuft, so berücksichtigen die Mitgliedstaaten diese bei der Berechnung der Körperschaftsteuerschuld nicht.“ Während diese Vorschrift die Begriffe der reinen Künstlichkeit und des unangemessenen Steuervorteils konkretisieren, geschieht das in dem hier besprochenen Richtlinienentwurf nicht.
Ferner sind die Vorschriften des Richtlinienentwurfs nicht mit dem Wortlaut der Antimissbrauchsvorschrift der steuerlichen Fusionsrichtlinie zu vereinbaren. Art. 15 dieser Richtlinie bietet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die Steuervorteile der Richtlinie nicht zu gewähren, wenn eine Transaktion „als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat …”. Das ist vor allem dann nicht der Fall, wenn der Vorgang auf wirtschaftlich vernünftigen Gründen beruht. Der EuGH hat klargestellt, dass “eine Fusion, die auf mehreren Beweggründen beruht, zu denen auch steuerliche Überlegungen zählen können, jedoch vorausgesetzt, dass diese im Rahmen des beabsichtigten Vorgangs nicht überwiegen, einen vernünftigen wirtschaftlichen Grund haben [kann]“ (Urt. v. 10.11.2010 – Rs. C-126/10, Foggia).
Ausblick | Dies alles zeigt sehr deutlich, dass es innerhalb der verschiedenen Abteilungen der Kommission an Zusammenarbeit mangelt (ähnliches lässt sich beim Zusammenspiel von Sozialversicherungsrecht, Arbeitsrecht und Steuerrecht beobachten). So kann dies jedenfalls nicht stehenbleiben. Die unterschiedliche Begrifflichkeit führt zu Verwirrung und Rechtsunsicherheit. Wollte man diese steuerlichen Missbrauchsvorschriften tatsächlich in die Richtlinie aufnehmen, wäre es anzuraten, sich an Art. 6 Abs. 2 ATAD I zu orientieren.
Allerdings stellt sich die Frage, ob die gesellschaftsrechtliche Richtlinie überhaupt den geeigneten Ort für steuerliche Vorschriften darstellt. So wäre etwa an eine Anpassung der steuerlichen Fusionsrichtlinie zu denken, wobei auch die einschlägige Rechtsprechung des EuGH berücksichtigt werden könnte. Auch ist es eigentlich nicht einzusehen, warum der Steuervorbehalt nur für grenzüberschreitende Umwandlungen und Spaltungen gelten sollte und nicht etwa für eine Verschmelzung und den Anteilstausch.
Schließlich stellen sich verfahrensrechtliche Fragen. Die Richtlinie soll nach Art. 50 und Art. 114 Abs. 1 AEUV verabschiedet werden, also im Rahmen eines ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens, in dem es lediglich einer qualifizierten Mehrheit bedarf. Nach Art. 115 AEUV bedarf es aber für steuerliche Regelungen der Einstimmigkeit im Rat. Das wirft die Frage auf, ob das auch hier gilt, in einem Fall, in dem eine gesellschaftsrechtliche Regelung durch spezielle steuerliche Missbrauchsvorschriften ergänzt wird.