Reformstillstand in den Niederlanden hält an
Seit den Wahlen vor mehr als drei Monaten versuchen die Parteien, eine Regierungskoalition zustande zu bringen. Bereits zwei Runden sind nach langwierigen Verhandlungen vorerst gescheitert. Da die alte Regierung noch kommissarisch tätig ist, aber wenig Gestaltungsfreiraum hat, tut sich auf steuerlichem Gebiet wenig und wenn es so weitergeht, kommen dieses Jahr keine Steueränderungsvorschläge mehr auf den Tisch. Der Prinsjesdag, an dem jährlich die Steueränderungen für das nächste Jahr vorgestellt werden, fällt dann sozusagen aus. Finanziell scheint der Druck allerdings nicht sehr hoch, so werden auch in den Niederlanden ansehnliche Mehreinnahmen in 2017 erwartet.
Allerdings enthielten schon die Wahlprogramme wenig Konkretes zu Änderungen des Steuersystems, obwohl es dafür einigen Anlass gegeben hätte. Denn unlängst hat noch die Europäische Kommission den Niederlanden empfohlen, den Abzug von Hypothekenzinsen (Nutzungswertbesteuerung) und die Steuervergünstigungen für Selbstständige (“zelfstandigenaftrek”) abzuschaffen oder zumindest einzuschränken. Das waren genau die Punkte, die vor den Wahlen schon in der Diskussion standen. Die Kommission scheint sich lediglich an die innerstaatliche Debatte anzuhängen.
Koalitionsvereinbarung fehlen bislang steuerliche Initiativen
Es ist also Zeit, Einfluss auf die Verhandlungen zwischen den Parteien zu nehmen, sie müssen sich schließlich in ihrer Koalitionsvereinbarung auch auf steuerliche Initiativen einigen. Leo Stevens, der Doyen des niederländischen Steuerrechts, nimmt in einem Aufsatz, den er zusammen mit Koen Caminada schrieb (Blauwdruk voor belastinghervorming, WFR 2017/101), seine schon öfter geäußerten Vorschläge wieder auf. Die Wissenschaft reagiert weitgehend positiv, während sich die Politik bedeckt hält.
Deutlich halten beide nicht viel von der radikalen Ökologisierung des Steuerrechts, die der Partei GroenLinks so am Herzen liegt und ohne die eine Regierung nur sehr schwierig zu bilden sein wird. In der Tat gibt es gute Argumente dafür, dass das Steuerrecht allein möglicherweise nicht der geeignete Ort ist, um die Erde global zu retten. Andererseits sollte aber über eine Steuer auf den Ausstoß von CO2 auf europäischer Ebene zumindest offen diskutiert werden können.
Spitzensteuersatz ist zu hoch
Im Steuersystem wird der Spitzensteuersatz von 52% in der niederländischen Einkommensteuer schon lange als zu hoch empfunden, zumal Einkünfte ab 67.000 € (2017) schon dem Spitzensteuersatz unterliegen. Die Autoren schlagen deshalb einen einheitlichen Steuersatz von 33,8% vor. Die so erhobene Einkommensteuer soll auch die Sozialversicherungsprämien für die sogenannten Volksversicherungen und den einkommensabhängigen Beitrag zur Krankenversicherung beinhalten. Das würde zwar zwangsläufig zu einem Verlust von Steueraufkommen aus der Einkommensteuer führen, jedoch könnte dies durch eine Vereinfachung des Steuersystems sowie durch eine höhere Umsatzsteuer kompensiert werden.
Mit Vereinfachung ist vor allem die Abschaffung von Steuervergünstigungen gemeint. Eine Analyse der Regelungen zeigt, dass sie zumeist ihr Ziel kaum erreicht und zu einer wesentlichen Verkomplizierung des Steuersystems geführt haben. Konkret geht es vor allem um Rückstellungen für Altersbezüge, die Freistellung von Gewinnen bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen und dem Steuerabzugsbetrag für Selbstständige. Ferner sollen alle Wohnsubventionen für Eigentümer und Mieter abgebaut werden. Bei der Umsatzsteuer soll ein allgemeiner Tarif von 18% gelten (Einheitstarif), der zwar niedriger ausfällt als der gegenwärtige Tarif, aber durch die Abschaffung des niedrigeren Umsatzsteuertarifs Mehreinnahmen generiert. Da dies vor allem zulasten niedriger Einkommensgruppen geht, wollen sie durch Steuererleichterungen in der Einkommensteuer kompensierende Steuererleichterungen schaffen.
Hinweis | Bezweckt ist ein langsamer Übergang von der jetzigen hohen Besteuerung von Arbeitslohn hin zu einer höheren Besteuerung des Konsums. Insofern wird auf wirtschaftswissenschaftliche Analysen verwiesen, die eine solche Verlagerung der Lasten empfehlen, um der Wirtschaft neue Impulse zu geben. Ein Vergleich der Steuerverteilung (OECD) lässt erkennen, dass die Niederlande wie auch Deutschland Arbeitseinkommen relativ hoch belasten, die in beiden Ländern Raum für eine solche Verschiebung geben.
Steuervergünstigungen verkomplizieren das System
Ein besonderes Anliegen ist den Autoren das Gleichgewicht zwischen Einzelunternehmern und Mitunternehmern einerseits und Anteilseignern von Kapitalgesellschaften andererseits. 2001, als die neue Einkommensteuer eingeführt wurde, betrug die Körperschaftsteuer 35% und die Einkommensteuer auf Gewinnausschüttungen 25%, was zu einer totalen Belastung von Unternehmensgewinnen von 51,25% führte. Dies kam dem Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer sehr nahe. Durch die Senkung des Körperschaftsteuersatzes auf 25% ist dieses Gleichgewicht nicht mehr gegeben (Belastung von 43,75%). Der Gesetzgeber schuf anschließend Steuererleichterungen für einkommensteuerpflichtige Unternehmen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Diese Steuervergünstigungen machen aber das Steuersystem unnötig kompliziert und sind aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten problematisch.
Beachte | Der Körperschaftsteuertarif könnte auf 22,5% und der Einkommensteuertarif auf Dividendeneinkünfte auf 20% gesenkt werden mit der Konsequenz, dass die Totalbelastung der Unternehmensgewinne dann 38% betragen würde. Dieses Ergebnis würde auch mit dem vorgeschlagenen Einkommensteuertarif übereinkommen.
Fazit | Ohne Zweifel wird die neue niederländische Regierung diesen Vorschlägen nicht folgen. Zwar bestehen bei den eher konservativen Parteien durchaus Sympathien für eine “Flattax”, die zukünftigen eher linksgerichteten Parteien werden da aber nicht mitmachen. Die Kritiker machen es sich vielleicht manchmal zu einfach. Progressivität des Einkommensteuersystems lässt sich auch dadurch erreichen, dass Steuerpflichtige je nach Leistungsfähigkeit oder Lebenslage bestimmte Beträge von ihrer Steuerschuld abziehen dürfen. Jedenfalls verdienen die Vorschläge beider Ökonomen Beachtung und sollten nicht einfach (wie so häufig) in einer Schublade verschwinden.