Verrechnungspreise und unerlaubte Beihilfe
Die im vergangenen Jahr in der Tagespresse bekanntgewordenen Beihilfe-Fälle zu den „Steuerdeals“ internationaler Firmen wie Apple, Fiat oder Starbucks betrafen nicht nur die Unternehmen, sondern haben auch die steuerlichen Berater vor neuen Herausforderungen gestellt. Vordergründig stellt sich die Frage, ob wir nunmehr eine durch die EU-Kommission etablierte „neue“ Verrechnungspreisauslegung anzusetzen haben und welche Grundsätze dabei angewendet werden.
Keine einseitige Vergünstigung bestimmter Unternehmen
Das Unionsrecht enthält ein Beihilfeverbot (Art. 107 Abs. 1 AEUV), nach dem die EU-Staaten nicht einseitig bestimmten Unternehmen Vergünstigungen gewähren dürfen. Beihilfen bedürfen nach diesen Regelungen der Genehmigung der EU-Kommission zur Wahrung des fairen Wettbewerbs innerhalb der EU. Eine Genehmigung kann erteilt werden, sofern mit einer nationalen Regelung nicht nur „bestimmte“ Unternehmen begünstigt werden (Prüfung der Selektivität).
Die Selektivität in diesem Sinne wird durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) bisher in drei Schritten geprüft: (1) Bestimmung des Referenzsystems, (2) Ausnahmen vom Referenzsystem sowie (3) Rechtfertigung einer selektiven Maßnahme durch den inneren Aufbau des Steuersystems. Diese materielle Selektivität kann de jure oder de facto (vgl. EuGH vom 15.11.2011, RS. C- 106/09P, C-107/09P, „Gibraltar“) durch die Bestimmung des Bezugsrahmens vorliegen.
Zutreffendes Referenzsystem ist unklar
Die Analyse der bisher durch die EU-Kommission aufgegriffenen Fälle beinhaltet die Frage nach dem zutreffenden Referenzsystem für die Bestimmung eines zulässigen oder unzutreffenden Verrechnungspreissystems. Entweder ergibt sich dieses Referenzsystem (1) aus den nationalen Steuerrechtsreglungen und deren bestehender Praxis, (2) aus den OECD Verrechnungspreis-Richtlinien oder (3) aus einem durch die EU-Kommission entwickelten „neuen“ Verrechnungspreis-Standard, letztlich aus einer „sui generis“ Interpretation der bisherigen Regelungen.
Die Anwendung nationaler Verrechnungspreisregelungen führt zur Anwendung des als „arm’s length principle“ beschriebenen Fremdvergleichsgrundsatzes. Im Ergebnis hat dies beispielsweise zur Folge, dass in Belgien ohne eine gesetzliche Grundlage über das sogenannte „excess profit regime“ verschiedenen Unternehmen unterschiedliche steuerliche Vergünstigungen gewährt werden. Die EU-Kommission hat diese belgische Regelung nicht auf der Grundlage des Fremdvergleichsgrundsatzes, sondern direkt gegen die Kriterien des Art. 107 Abs. 1 AEUV, auf die Gleichbehandlung im Sinne des Beihilferechts getestet, was nachvollziehbar erscheint.
Neue Kriterien der EU-Kommission
Im Apple-Fall zweifelt hingegen die EU-Kommission die Auswahl der Verrechnungspreismethode, die Länge der verbindlichen Auskunft als auch die inkonsistente Allokation von Umsätzen und Kosten an, ohne auf die bestimmenden Verrechnungspreisgrundsätze einzugehen. Im Fiat-Fall befindet die EU-Kommission gar, dass der sogenannte Rückhalt im Konzern nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entspräche und verlässt damit die bekannten Verrechnungspreisgrundsätze. Die EU-Kommission testet in den bisher bekanntgewordenen Fällen, ob das steuerpflichtige Einkommen eines verbundenen Unternehmens eine Ergebnisallokation im Sinne eines „market based outcome“ entspricht. Diese Vorgehensweise ist konträr den bisherigen EuGH-Entscheidungen. Der EuGH hat stets Verrechnungspreisregelungen auf der Grundlage von Gesetzen und nicht auf der Basis eines „market based outcome“ geprüft (EuGH C-182/03; C-217/03, Belgium and Forum 187 vs Commission).
Hinweis | Die „neuen“ Testkriterien der EU-Kommission entsprechen zudem nicht den sich entwickelnden Kriterien im Sinne der BEPS Aktionspunkte 8, 9 und 10. Die OECD versucht mit dem BEPS-Report die bisherigen Verrechnungspreisgrundsätze weiterzuentwickeln und eben nicht durch neue Kriterien zu ersetzen.
Fazit | Am Ende stellt sich die Frage, was von den Ansätzen der EU-Kommission bleiben wird? Die Argumentation der EU-Kommission in den kurz dargelegten Fällen überzeugt zumindest nicht und kann sich auch nicht auf die bekannten Verrechnungspreisgrundsätze beziehen. Steuerrecht ist und bleibt Wirtschaftslenkungsrecht. Die steuerlichen Grundsätze allgemein mit Beihilfevorwürfen neu definieren zu wollen, sollten die Staaten nicht herausfordern, das Beihilferecht als neues Verrechnungspreisinterpretationskriterien heranzuziehen.