Global Taxes Konzernsteuerrecht
Dietmar Gosch

Nur ein Denkanstoß: Was folgt eigentlich aus der veränderten Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums bei der Wertpapierleihe?

Vor gut zwei Jahren erreichte die geschätzte Fachöffentlichkeit ein Urteil des BFH zur sog. Wertpapierleihe, das Urteil vom 18. August 2015 (Az. I R 88/13). Es weckte besondere Auf-merksamkeit. Denn der Leitsatz, mit dem es belegt wurde, lautet: „Das wirtschaftliche Eigentum an Aktien, die im Rahmen einer sog. Wertpapierleihe an den Entleiher zivilrechtlich übereignet wurden, kann ausnahmsweise beim Verleiher verbleiben, wenn die Gesamtwürdigung der Umstände des Ein-zelfalles ergibt, dass dem Entleiher lediglich eine formale zivilrechtliche Rechtsposition verschafft werden sollte. § 8b KStG (…) findet dann beim Entleiher bezogen auf die „entliehenen“ Anteile und die daraus resultierenden Einkünfte insgesamt keine Anwendung.“

Wirtschaftliches Eigentum soll „ausnahmsweise“ beim Wertpapierverleiher verbleiben

Besondere Aufmerksamkeit erweckt dies dadurch, weil hier von einem „ausnahmsweise“ die Rede ist, welches das wirtschaftliche Eigentum beim Wertpapierverleiher belassen soll. Eine „Ausnahme“ sucht man aber vergeblich, handelt es sich bei der Wertpapierleihe in der ausgestalteten Weise – man spricht allseits von einer „strukturierten“ Wertpapierleihe – doch eigentlich um etwas „Stinknormales“ und durch und durch Gängiges:

Ein Unternehmen, konkret ein Maschinenbauunternehmen in der Rechtsform der GmbH, schloß mit einem im Ausland, konkret in Großbritannien, ansässigen Finanzinstitut einen Rahmenvertrag für Wertpapierdarlehen. Danach waren die Vertragsparteien sich einig, daß mit der Lieferung das unbeschränkte Eigentum an den Darlehenspapieren auf den Darlehensnehmer übergeht. Weiterhin hatte der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber für jedes Wertpapierdarlehen ein Entgelt zu zahlen. Dem Darlehensgeber sollten die während der Laufzeit des Darlehens auf die Darlehenspapiere geleisteten Zinsen, Gewinnanteile sowie sonstigen Ausschüttungen zustehen; der Darlehensnehmer hatte in dieser Höhe Kompensationszahlung zu leisten.

Aus den geliehenen Wertpapieren erhielt die GmbH an Dividenden insgesamt rund 10 Mio. € und leistete Kompensationszahlungen in nämlicher Höhe zzgl. eines Darlehensentgelts in Höhe von jeweils 2 % pro Jahr bezogen auf die Marktwerte der Darlehenspapiere und die Darlehenszeiträume. Die Dividendengutschriften sollten nun, so war es die Absicht, nach § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz verbleiben. Die Kompensationszahlungen sowie die Darlehensentgelte behandelte das Unternehmen als Betriebsausgaben und berücksichtigte in Höhe von 5 % der Dividenden die pauschale Kürzung von Betriebsausgaben gemäß § 8b Abs. 5 KStG.

Beachte | Ziel der Übung war es also, einen „Überhang“ abziehbarer Betriebsausgaben zu „generieren“, den der Entleiher sodann zur Verrechnung mit steuerpflichtigen Betriebseinnahmen anderer Quellen nutzen konnte.

Prüfung eines Gestaltungsmißbrauchs

Das war der Finanzbehörde ebenso wie dem Niedersächsischen Finanzgericht ein Dorn im Auge. Beide hatten (u.a.) einen Gestaltungsmißbrauch und damit den § 42 AO in den Raum gestellt. Der BFH hingegen „arbeitet“ den Fall aus methodischer Sicht auf einer systematischen Vorstufe ab: Die GmbH sei bei der gebotenen „Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls“, hier also der wechselseitigen vertraglichen Abreden, nicht wirtschaftliche Eigentümerin der „verliehenen“ Aktien i. S. von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO geworden. Und folglich seien die Dividenden von vornherein nicht ihr, vielmehr der Bank in Großbritannien nach Maßgabe von § 20 Abs. 5 EStG zuzurechnen.

Was sich daraus ergibt!

Der Entleiher vereinnahmt zum einen keine Dividenden, ihm wird zum anderen der Abzug der Kompensationszahlungen und der Entleihgebühren als Betriebsausgaben genommen. Der Aufwand, der im Zusammenhang mit den Kapitalanteilen steht, bleibt (nur) bei demjenigen abziehbar, dem auch die Kapitalanteile zuzurechnen sind. (Nur) beim Zurechnungssubjekt verwirklicht sich das objektive Nettoprinzip. Anders gewendet: Obschon die Kompensationszahlungen tatsächlich abgeflossen sind, werden sie steuerrechtlich außerbilanziell wieder hinzugerechnet.

Letzteres – der Abzugsausschluß für die Kompensationszahlungen – läßt sich zwischenzeitlich dem klaren Regelungsbefehl des § 8b Abs. 10 KStG entnehmen. Immerhin beläßt diese Neukreation des Gesetzgebers dem Entleiher im Grundsatz aber die Stellung als wirtschaftlicher Eigentümer. Nimmt man ihm diese Stellung jedoch – mit dem BFH – auf besagter systematischer Vorstufe, dann sollte das eigentlich zur Konsequenz haben, daß nicht nur der Betriebsausgabenabzug, sondern zugleich auch die Vereinnahmung der Dividenden entfällt. Denn auch die Dividenden gebühren dann dem Verleiher und sind diesem zuzurechnen, ebenso wie ihm der Betriebsausgabenabzug zusteht.

Diesen Schritt scheint der BFH in seinem Urteil vom 18.08.2015 (Az. I R 88/13) aber nicht gehen zu wollen: „Verbleibt das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien aber ausnahmsweise trotz der sog. Wertpapierleihe beim Verleiher, findet § 8b KStG … beim Entleiher bezogen auf die ‚entliehenen‘ Anteile und die daraus resultierenden Einkünfte von vornherein insgesamt keine Anwendung. Für eine außerbilanzielle Korrektur ist somit kein Raum; Maßgröße für die Besteuerung ist der Steuerbilanzgewinn.“

Quintessenz | Als zwingend erscheint das keineswegs. In Symmetrie zu den durch die Leihtransaktion veranlaßten Aufwendungen wären strenggenommen vielmehr auch die Einkünfte abweichend von der Handelsbilanz zu behandeln und deswegen steuerrechtlich außerbilanziell herauszurechnen. Sollte das nicht die richtige und einzige Konsequenz aus der Verschiebung der „steuerlichen“ Eigentümerstellung sein? Und sollte das dann nicht gleichermaßen die Richtschnur für die Verschiebung des wirtschaftlichen Eigentums bei den (mit gewiß guten rechtlichen Gründen, zuweilen aber auch allzu „moralisch aufgeladen“ inkriminierten) Cum/Ex-Geschäften sein? Daß die Kapitalgesellschaft keine „außerbetriebliche Sphäre“ haben mag, hat damit, entgegen dem FG Düsseldorf in seinem dazu jüngst ergangenen und leider rechtskräftig gewordenen Urteil vom 12.12.2016 (6 K 1544/11 K,AO), jedenfalls nichts zu tun. Was der Ausgabenseite recht ist – die außerbilanzielle Hinzurechnung –, sollte der Einnahmeseite eigentlich nur billig sein: Nämlich die außerbilanzielle Herausrechnung.