Die “Paradisepapers” und die Niederlande
In den Paradisepapers, die uns vor einigen Wochen sehr beschäftigt haben und die in der Presse großen Widerhall fanden, werden auch die Niederlande als Steuerparadies genannt. Wie meist steckt in solchen Vorwürfen auch ein Körnchen Wahrheit. So hat sich der niederländische Staatssekretär auffallend beeilt mitzuteilen, dass man die Informationen aus den Paradise Papers gründlich analysieren werde und dass die daraus folgenden Maßnahmen umgehend ergriffen würden (Schr. v. 8.11.2017, V-N Vandaag 2017/2625).
Den Niederlanden werden unter anderem die sogenannten CV/BV-Strukturen vorgeworfen, die Möglichkeit der Nutzung von Briefkastengesellschaften und die Nichterhebung von Quellensteuern auf Lizenzgebühren. Der Staatssekretär verweist darauf, dass in vielen Fällen bereits erste Schritte unternommen wurden. So werde man die EU- Richtlinien gegen steuerlichen Missbrauch (ATAD I und ATAD II) zügig umsetzen und es sei bereits beschlossen, dass in den Fällen von Zahlungen in niedrigbesteuernde Länder zukünftig auf Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren Quellensteuern erhoben würden. Es könne daher keine Rede davon sein, bei den Niederlanden handele es sich um ein Steuerparadies.
Niederlande ist kein Steuerparadies
Eine klassische Steueroase sind die Niederlande sicherlich nicht. Die Niederlande sind ein Hochsteuerland. Der Spitzensteuersatz in der Einkommensteuer beträgt 52% und dieser auch aus deutscher Sicht sehr hohe Tarif greift bereits ab einer Höhe der Einkünfte von 67.000 €. Dabei kommen vor allem Arbeitnehmer mit höheren Einkünften schlecht weg, da sie keine Werbungskosten abziehen dürfen und darauf angewiesen sind, dass bestimmte Aufwendungen (steuerfrei) vom Arbeitgeber ersetzt werden. Zwar können die Steuerpflichtigen noch bestimmte Beträge von ihrer Steuerschuld abziehen, diese wurden aber von der letzten Regierung progressiv gekürzt, sodass Besserverdiener davon nicht mehr profitieren. Unternehmern geht es besser, sie erhalten mehrere spezifische Steuervergünstigungen und können (selbstverständlich) Betriebsausgaben geltend machen.
Beachte | Der Körperschaftsteuersatz beträgt im Moment noch 25%, damit liegen die Niederlande im internationalen Mittelfeld und verlangen das Doppelte wie etwa der Wettbewerber Irland.
Standortvorteile sind außersteuerliche Gründe
Die Niederlande waren – als relativ kleines Land – immer bemüht, für ausländische Investitionen attraktiv zu sein. Vor einigen Jahrzehnten ging es vor allem noch um Finanzierungsgesellschaften ausländischer multinationaler Unternehmen. Da diese aber vom Finanzministerium kritikwürdige verbindliche Auskünfte (“Rulings”) bekamen – es ging vor allem um die Höhe des Gewinns bei Durchleitungsgesellschaften – mussten die Niederlande die Rulingpraxis im Rahmen des Vorgehens gegen schädlichen Steuerwettbewerb ändern. In der Folge sind viele Finanzierungsgesellschaften wieder abgewandert.
Briefkastengesellschaften sind in den Niederlanden weit verbreitet. Allerdings dienen sie in vielen Fällen nicht der Steuervermeidung, sondern haben andere Zwecke, die aber möglicherweise ebenso verwerflich sind. Steuerlich sollten sie eigentlich kein größeres Problem darstellen, da sie wegen ihrer Substanzlosigkeit keine Abkommensvorteile geltend machen können. Das Problem ist eher eines der Informationsgewinnung, aber hier haben die Niederlande reagiert und versorgen die betroffenen Partnerländer mit Informationen über die Substanz dieser Gesellschaften, sodass diese adequat reagieren können. Zusätzlich soll zukünftig der Trustsektor, der hauptsächlich mit Briefkastenfirmen Handel treibt, stärker reguliert und beaufsichtigt werden.
Geldansammlungen in Steueroasen
Ein anderer Aspekt sind Gesellschaften, die ihre Geschäftsleitung in den Niederlanden haben. So fiel im Rahmen der Paradisepapers auch der Name “NIKE”. Das amerikanische Unternehmen hat seine außeramerikanischen Aktivitäten in den Niederlanden konzentriert und schüttet keine Gewinne in die USA aus. Der so angesammelte Betrag soll nach Presseberichten inzwischen über 12 Mrd. US$ betragen und liegt wohl auf Bankkonten auf den Bermudas. Das ist an sich im Grunde nicht verwerflich, wenn NIKE seine Steuern in den Niederlanden und in den Ländern, wo die Produkte verkauft werden, gezahlt hat. Da die USA bewußt keine außeramerikanischen Gewinne besteuern, solange diese nicht in die USA zurückgeführt werden, kann man NIKE die Nichtbesteuerung in den USA wohl kaum vorwerfen, obwohl es betriebswirtschaftlich wenig Sinn macht, das Geld in einer Steueroase zu parken.
Hinweis | Die Trump-Steuerreform wird dieses Verhalten allerdings noch belohnen, da die zurückgeführten Gewinne lediglich einem Steuersatz von 15,5% unterliegen werden.
Intransparentes Besteuerungsverfahren
Fraglich ist allerdings, ob NIKE wirklich seine Gewinne in den Niederlanden und in den Ländern, in denen die Konsumenten wohnen, angemessen versteuert hat. Ob die Niederlande die dort entstandenen Gewinne tatsächlich in regulärer Weise besteuert haben, ist zumindest zweifelhaft. Zwar lässt sich nicht nachweisen, dass es zwischen dem Finanzministerium und NIKE Absprachen gab. Die niederländische Regierung gibt auf entsprechende Fragen unter Verweis auf das Steuergeheimnis keine Antwort. Andererseits hatte NIKE schon 2006 angegeben, dass man mit der niederländischen Regierung eine “steuerlich günstige Vereinbarung” abgeschlossen habe, die bis 2015 gelte.
Die hier fehlende Transparenz ist ein Ärgernis, schon die entsprechende Praxis in Luxemburg (LuxLeaks) wurde nur durch den “Geheimnisverrat” eines Mitarbeiters einer Steuerberatungsgesellschaft bekannt. Es ist daher zu begrüßen, dass in Zukunft auf Grund der Richtlinie zum automatischen Austausch von grenzüberschreitenden Steuervorbescheiden („Rulings“) und Vorabverständigungsvereinbarungen („APAs) verbindliche Auskünfte mit internationalem Bezug den anderen EU-Mitgliedsstaaten zur Kenntnis gebracht werden. Aber man sollte sich nichts vormachen. Die Richtlinie enthält so viele unbestimmte Rechtsbegriffe, dass sich sicherlich Argumente finden lassen, warum ein Staat nicht verpflichtet sei, Rulings transparent zu machen. Hinzu kommt, dass große Teile der auflaufenden Gewinne als Lizenzgebühren ins (niedrig besteuernde) Ausland fließen.
Beachte | Da die Niederlande bisher keine Quellensteuer auf Lizenzgebühren erhoben haben, konnten die Unternehmen große Teile der Gewinne auf diese Weise ohne Besteuerung ins Ausland verschieben. NIKE hat diese Struktur mit Hilfe der Kanzlei Appleby kürzlich geändert und benutzt CV/BV-Strukturen, um die Gewinne steuerfrei in den Niederlanden zu belassen.
Verteilung der Steuerrechte weltweit
Weltweit hat NIKE einen Umsatz von etwa 16 Mrd. US$, der Nettogewinn hat sich in den letzten zehn Jahren auf mehr als 4 Mrd. US$ verdreifacht. Davon unterliegt in den Ländern, die die Konsumenten beherbergen, nur wenig der dortigen Besteuerung. Verkaufsverträge werden zumeist mit der in den Niederlanden ansässigen Distributionsgesellschaft geschlossen, das gilt auch für Käufe, die über die Website des Unternehmens getätigt werden. Das allerdings ist ein Teil eines allgemeinen Problems der Verteilung der Steuerrechte weltweit. Auch wenn nach Angaben der Süddeutschen Zeitung der Umsatz von NIKE in Deutschland etwa 600 Mio. € beträgt, heißt das noch nicht, dass Deutschland die daraus entstehenden Gewinne versteuern kann.
Deutschland muss sich weitgehend mit der Umsatzsteuer begnügen. Man könnte darum durchaus auch darüber nachdenken, die Umsatzsteuer zu erhöhen und die Ertragsteuern entsprechend zu senken. Facebook hat im übrigen kürzlich bekannt gegeben, dass es in Zukunft in allen Nutzerländern Tochtergesellschaften gründen wird, die die Werbeverträge mit den lokalen Werbetreibenden abschließen. Die Gewinne aus den jeweiligen Werbeverträgen verbleiben dann in den jeweiligen Nutzerländern und können auch dort besteuert werden. Man kann aber wohl nicht erwarten, dass alle Unternehmen diesem Beispiel freiwillig folgen werden. Es scheint mir eine interessante rechtliche Frage, ob sie dazu gesetzlich gezwungen werden könnten.
Ausblick | Mit der Einführung einer Quellensteuer auf Zinsen und Lizenzgebühren, dem Auslaufen der Vergünstigungen aus den CV/BV-Strukturen sowie des europäischen Austausches von Informationen über Rulings besteht die Gefahr, dass die Niederlande ihre Attraktivität für Geschäftsleitungsgesellschaften verlieren. Die neue niederländische Regierung hat reagiert. Zum einen soll der Körperschaftsteuersatz von 25% auf 21% gesenkt und zum anderen soll die Quellensteuer auf Dividenden abgeschafft werden (mit Ausnahme von Dividendenzahlungen in Niedrigsteuerländer). Man wird abwarten müssen, ob diese Maßnahmen ausreichen werden, um vor allem amerikanische Unternehmen in den Niederlanden zu halten bzw. neue Unternehmen anzulocken. Angesichts der kommenden Steuersenkungen in den USA kommen möglicherweise schwierige Zeiten auf die Niederlande zu.