Global Taxes Steuerpolitik
Ralf Klapdor

ATAD-Umsetzung – Die Zeit drängt!

Die Anti-Tax Avoidance Richtlinie (ATAD; Richtlinie (EU) 2016/1164, ABl. L193/1 vom 19.7.2016, i.d.F. der Richtlinie (EU) 2017/952, ABl. L 144/1 vom 7.6.2017) muss mit ihren ersten Regelungsbestandteilen bis zum Ende des Jahres 2018 umgesetzt sein. Aufgrund der längeren Regierungsbildung gibt es hierzu bisher noch keinen Gesetzentwurf. Auch wenn noch über ein halbes Jahr Zeit ist, steht zu befürchten, dass aufgrund des Zeitdrucks eigentlich notwendige steuersystematische Diskussionen nicht in der notwendigen Tiefe geführt werden.

Hinsichtlich der zeitlichen Abfolge der Verfahrensschritte im Gesetzgebungsverfahren wäre es sicherlich problemlos möglich, den gesamten Gesetzgebungsprozess erst nach der Sommerpause des Bundestages (also ab dem 10. September) zu starten. Der auf den ersten Blick eher geringe Umsetzungsbedarf, z. B. im Bereich der Zinsschranke sollte jedoch nicht den Blick dafür verstellen, dass es sinnvoll wäre, im Rahmen der Umsetzung einige steuersystematische Grundsatzentscheidungen zu treffen. Im Gesetzgebungsverfahren sollte vielmehr genügend Zeit für die Diskussion mit der Wissenschaft und eine entsprechende Ausschussanhörung gegeben sein.

ATAD gibt nur Mindeststandards vor

Insbesondere wäre es wünschenswert, wenn die ATAD-Umsetzung von einer grundsätzlichen steuerpolitischen Diskussion begleitet würde. Da die ATAD nur Mindeststandards der Missbrauchsabwehr vorgibt und die bestehenden deutschen Regelungen häufig deutlich über diese Mindeststandards hinausgehen, sind sonst erhebliche Nachteile für den Steuerstandort Deutschland zu befürchten. Würde der Gesetzgeber sich darauf konzentrieren, nur die Bereiche zu ergänzen, in denen Deutschland bisher die Mindeststandards nicht erreicht, hätte Deutschland hinterher wahrscheinlich eine deutlich schärfere „Missbrauchsvermeidungsgesetzgebung“ als die anderen EU-Mitgliedstaaten. Da Missbrauchsvermeidung häufig als „Kollateralschaden“ auch völlig unproblematische Konstellationen erschwert, von den bürokratischen Lasten ganz zu schweigen, wäre das Ergebnis für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland wenig wünschenswert.

Beachte | Verschärft würde dieser Effekt durch die beginnende neue Runde von Steuersenkungen (siehe bereits die USA und Großbritannien), welche in den nächsten Jahren voraussichtlich nicht von Deutschland erwidert wird.

Änderungen bis Ende 2018

Bis Ende 2018 müssen zunächst nur die Regelungen zur Zinsschranke (Art. 4 ATAD), Hinzurechnungsbesteuerung (Art. 7 und 8 ATAD) und zur Allgemeinen Missbrauchsvermeidung (GAAR) (Art. 6) umgesetzt werden. Dabei ist bezüglich Art. 6 aufgrund des vorhandenen § 42 AO kein Handeln des Gesetzgebers erforderlich, allenfalls bei der Auslegung dieser Vorschrift mag die neue europarechtliche Vorgabe eine Rolle spielen.

Auch bezüglich der Zinsschranke sind die vorzunehmenden Änderungen eher gering (Definition der Fremdkapitalkosten, Unterschiede bei stand-alone und Escape-Klausel). Aufgrund der Diskussion der Verfassungswidrigkeit der Zinsschranke (siehe auch Lampert, Global Taxes, TLE-22-2017) stellt sich jedoch die Frage, ob es denkbar ist, dass die Zinsschranke außerhalb des Regelungsbereichs der ATAD, also für natürliche Personen und Personengesellschaften, verfassungswidrig ist und im Anwendungsbereich der ATAD, also für Kapitalgesellschaften, aufgrund der „Solange-Rechtsprechung“ des BVerfG nicht. Insoweit wäre zu diskutieren, ob es nicht systematisch günstiger wäre, die Zinsschranke für Kapitalgesellschaften eigenständig im KStG zu regeln.

Bezüglich der Hinzurechnungsbesteuerung ergeben sich einige notwendige Überlegungen mehr. Dabei ist zunächst davon auszugehen, dass innerhalb des BMF schon im letzten Jahr die Grundsatzentscheidung gefallen ist, bei dem bisherigen Konzept eines Katalogs aktiver Einkünfte zu bleiben (also weder auf das System der ATAD eines Katalogs passiver Einkünfte zu wechseln noch zum alternativen Ansatz der Generalklausel gem. Art. 7 Abs. 2 lit. b) ATAD) und den Katalog an die Erfordernisse der ATAD anzupassen. Alleine die Diskussionen über einen zeitgemäßen Einkünftekatalog könnten durchaus länger geführt werden, ganz zu schweigen von anderen Diskussionspunkten wie die Einführung eines Kriteriums der Verbundenheit bei der Unternehmensbeherrschung, die Frage des richtigen Maßes für eine Niedrigbesteuerung, die richtige Belastungshöhe aufgrund der Hinzurechnungsbesteuerung und vieles mehr. Angesichts von Aussagen, wonach bei der Hinzurechnungsbesteuerung „kein Stein auf dem anderen bleiben werde“, erscheint eine Gesetzesberatung in 6 bis 7 Monaten doch recht ambitioniert. Andererseits ist vor dem Hintergrund der vielfältigen Kritikpunkte an der bisherigen Hinzurechnungsbesteuerung eine durchgreifende Überarbeitung eine dringliche Hoffnung.

Hinweis | Auch wenn für die Wegzugsbesteuerung (Art. 5 ATAD) und die Korrespondenzvorschriften gegen „hybrid mismatches“ (Art. 9 ATAD) die Umsetzung noch bis zum 31.12.2019 dauern darf, ist auch hier die Zeit eher knapp. So sollte insbesondere die Frage diskutiert werden, inwieweit die sechs hybriden Konstellationen durch Generalklauseln kodifiziert werden können. Dadurch könnten z.B. auch gerade erst eingeführte Regelungen wie der § 4i EStG wieder obsolet werden.

Ausblick | Insofern bleibt abschließend nur zu wünschen, dass die Bundesregierung noch vor der Sommerpause einen möglichst umfassenden Gesetzesvorschlag, der eventuell auch bereits die beiden zuletzt genannten Aspekte beinhaltet, vorlegt.