Steuerliche Verlustverrechnung bei Termingeschäften und die Folgen für Privatanleger
Im Schatten des ATAD-Umsetzungsgesetzes und anderer gleichzeitiger Reformvorhaben hat der Gesetzgeber zum Jahreswechsel auch eine deutliche Verschärfung der steuerlichen Verlustverrechnung bei Termingeschäften in das Einkommensteuergesetz eingefügt (vgl. Art. 5 des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen, BGBl. I 2019, 2875 ff.). Diese Neuregelung könnte – in Abhängigkeit von ihrer Auslegung – die steuerlichen Rahmenbedingungen für aktive Privatanleger („Daytrader“) deutlich verschlechtern und sorgt aus diesem Grund für reichlich Verunsicherung in dieser Anlegergruppe.
Was ändert sich?
Die bisherige Regelung in § 20 Abs. 6 EStG untersagt aus gutem Grund die Verrechnung und den Abzug von Verlusten aus Kapitalvermögen mit anderen Einkünften (Satz 1 bis 3) und schränkt ferner die Verlustverrechnung bei Veräußerungsverlusten aus Aktien auf Einkünfte derselben Kategorie ein (Satz 4). Diese Regelung wurde nun ergänzt um § 20 Abs. 6 S. 5 EStG n.F., der die Verrechnung und den Abzug von Verlusten aus Termingeschäften (§ 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 EStG) qualitativ auf positive Einkünfte aus derselben Kategorie sowie Prämien aus Options-Stillhaltergeschäften (§ 20 Abs. 1 Nr. 11 EStG) begrenzt. Zudem – und deutlich gravierender – ist die gleichzeitige Begrenzung der Verrechnung auf einen Betrag von 10.000 €. Beide Beschränkungen sollen für Verluste gelten, die nach dem 31.12.2020 entstanden sind. Ebenso dürfen bereits ab dem 01.01.2020 Verluste aus der Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung sowie aus der Ausbuchung oder Übertragung wertloser Kapitalanlagen nur noch bis zur Höhe von 10.000 € mit Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden (§ 20 Abs. 6 S. 6 EStG n.F.).
Während die Finanzverwaltung ihre Interpretation des Begriffs Termingeschäft bereits im BMF-Schreiben vom 18.01.2016 (IV C 1 -S 2252/08/10004) dargelegt hat, ist in Ermangelung eines Anwendungsschreibens bzw. Durchführungsgesetzes zur vorliegenden Neuregelung noch nicht vollständig klar, wie der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dieser Regelung die Begriffe „Verluste“ und „Verrechnung“ versteht. Der Wortlaut legt allerdings eine restriktive Auslegung nahe, nach der die Verluste aus Termingeschäften die Summe aller Einzeltransaktionen eines Jahres sind, die im Minus beendet wurden (Bruttoverluste).
Beachte | Die Neuregelung würde in diesem Fall somit auch die unterjährige Verlustverrechnung von Bruttogewinnen und Bruttoverlusten aus Termingeschäften betreffen.
Was bedeutet diese Neuregelung nun für den aktiven Privatanleger?
Wird die unterjährige Verlustverrechnung bei Termingeschäften tatsächlich derart beschränkt, könnte dies gravierende Auswirkungen für aktive, kurzfristig orientierte Privatanleger haben, wie das folgende Beispiel verdeutlicht:
Ein Privatanleger handelt ein Termingeschäfts-Depot von 100.000 € und riskiert mit jeder Transaktion ein Prozent seines Depots. Er beendet im Erfolgsfall jede Transaktion bei ein Prozent Gewinn und hat bei dieser Strategie eine Trefferquote von 55 Prozent bei insgesamt 400 Transaktionen pro Jahr.
Bisherige Rechtslage | Rechtslage 2021 | |
Bruttogewinne | 220.000 € | 180.000 € |
Bruttoverluste | 220.000 € | 180.000 € |
Bemessungsgrundlage | 40.000 € | 210.000 € |
Abgeltungssteuer | 10.000 € | 55.000 € |
Nettoergebnis nach Steuern | 30.000 € | -15.000 € |
Im (nicht unrealistischen) Beispiel wird eine rentable Handelsstrategie durch die Einschränkung der steuerlichen Verlustverrechnung für den Anleger nachteilhaft. Auch eine zukünftige Verrechnung der verbleibenden Bruttoverluste ist ohne eine Strategieanpassung nicht zu erwarten, es ist eine dauerhafte Substanzbesteuerung zu befürchten. Wird vereinfachend die Verrechnung der Bruttoverluste vollständig außer Acht gelassen (was der tatsächlichen Wirkung bei großem Depotvolumen nahekommt), kann festgehalten werden, dass dieser Effekt sämtlichen Strategien droht, bei denen das Verhältnis von Bruttogewinnen zu Bruttoverlusten (Profit Factor) nicht mindestens 1,33 beträgt. Gleichzeitig verdeutlicht das Beispiel, dass es nicht ungewöhnlich ist, dass die Bruttoverluste eines kurzfristig orientierten Anlegers das Depotvolumen übersteigen. Die Verlustverrechnungsgrenze von 10.000 € wird daher auch für Kleinanleger mit entsprechendem Anlageverhalten Relevanz haben.
Bestätigt sich die oben unterstellte Auslegung der Vorschrift, ist von einer Anpassung des Anlageverhaltens von betroffenen Privatpersonen auszugehen. Möglich erscheint insbesondere, dass Anleger ihre Handelsstrategie oder die Auswahl der gehandelten Instrumente aufgrund der geänderten steuerlichen Rahmenbedingungen anpassen. Verlieren Strategien mit geringem Profit Factor ihre Vorteilhaftigkeit, sollten Anleger selektivere Strategien wählen, die weniger häufig im Markt sind, allerdings gleichzeitig eine höhere Trefferquote aufweisen. Bleibt die Vorschrift auf Termingeschäfte beschränkt, könnte ferner ein Ausweichen auf ungehebelte Basiswerte (z.B. Aktien) erwogen werden. Ebenfalls nicht auszuschließen ist, dass insbesondere kapitalstarke Kurzfristanleger den nun ungünstigen steuerlichen Rahmenbedingungen für Privatanleger ausweichen und ihre Handelsaktivitäten in eine Kapitalgesellschaft auslagern (oder im Worst Case sogar ganz aus Deutschland weg verlagern).
Fazit | Mit der Neufassung von § 20 Abs. 6 EStG hat der Gesetzgeber die steuerlichen Rahmenbedingungen für Termingeschäfte bei Privatanlegern deutlich verschärft. Bestätigt sich die Auslegung, dass mit der Neuregelung auch die unterjährige Verrechnung von Gewinnen und Verlusten eingeschränkt werden, würden voraussichtlich zahlreiche aktuell von kurzfristig orientierten Privatanlegern genutzte Strategien unrentabel werden.
Bemerkenswert an dieser Neuregelung ist insbesondere, dass es – im Unterschied zu anderen Verlustverrechnungsbeschränkungen – an offensichtlichen Rechtfertigungsgründen fehlt. So ist § 15a EStG mit Blick auf den Gleichlauf von zivilrechtlicher Haftung und steuerlicher Verlustverrechnung gerechtfertigt, die Regelung zum Verlustabzug in § 10d EStG (zeitliche und betragsmäßige Begrenzung des Verlustrücktrags, Mindestbesteuerungsregelung) zur Vermeidung von kurzfristig drohenden Aufkommensausfällen nachvollziehbar. Vergleichbare Rechtfertigungsgründe sind für die Neuregelung von § 20 Abs. 6 EStG nicht erkennbar. Insbesondere kann das Argument von drohenden Aufkommensverlusten für das Versagen eines unterjährigen Verlustausgleichs nicht angeführt werden, schon gar nicht bei einer Beschränkung auf 10.000 €. Gleichzeitig ist der Anwendungsbereich der Neuregelung im Vergleich zur Mindestbesteuerungsregelung in § 10d EStG deutlich breiter (auch Kleinanleger könnten schnell betroffen sein), die Rechtsfolgen deutlich gravierender. Während bei der Mindestbesteuerung die zeitliche Streckung der steuerlichen Verlustverrechnung der Regelfall sein dürfte, ist bei der Neufassung von § 20 Abs. 6 EStG in vielen Fällen von einem langfristigen oder dauerhaften Unterbleiben der Verlustverrechnung auszugehen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Die Wirkung dieser Neuregelung könnte eine bestimmte Gruppe von Privatanlegern deutlich spürbarer treffen, als die mögliche Einführung einer Finanztransaktionssteuer.