Unternehmenssteuerreform: Standortattraktivität der Schweiz bleibt bestehen
Am 19.05.2019 hat das schweizerische Stimmvolk das Bundesgesetz über die Steuerreform und die Finanzierung der Alters- und Hinterlassenenversicherung (STAF) angenommen. Die STAF wird per 01.01.2020 in Kraft treten und einige Änderungen für in der Schweiz ansässige Unternehmen mit sich bringen, welche nachfolgend dargestellt werden.
Der lange Weg zur Unternehmenssteuerreform
Die Notwendigkeit einer Unternehmenssteuerreform geht zurück auf die Forderungen der Europäischen Union (EU) und den Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (BEPS) der OECD und den G20-Staaten aus dem Jahr 2013. Gestützt darauf hat sich die Schweiz gegenüber der EU als auch der OECD bereit erklärt, die als schädlich erachteten Steuerregime sowohl auf Bundes- als auch Kantonsebene abzuschaffen. Auf kantonaler Ebene konnten bislang Holding-, Verwaltungs- sowie gemischte Gesellschaften privilegiert besteuert werden, wodurch sie keiner oder einer reduzierten Gewinnsteuer sowie einer reduzierten Kapitalsteuer unterlagen. Auf Bundesebene konnten praxisgemäss Prinzipalgesellschaften sowie Swiss Finance Branches privilegiert besteuert werden.
Ursprünglich hätten diese privilegierten Steuerregime bereits mit der Unternehmenssteuerreform III per 01.01.2019 abgeschafft werden sollen. Dazu kam es jedoch nicht, weil die Unternehmenssteuerreform III in der Volksabstimmung vom 12.02.2017 vom schweizerischen Stimmvolk abgelehnt wurde. Deswegen befindet sich die Schweiz seit dem 05.12.2017 auf der grauen Liste der EU. Als Gegenmassnahme hat die Schweiz gegenüber der EU zugesichert, ihre als schäd-lich erachteten Steuerregime abzuschaffen und dazu von der EU bis Ende 2019 Zeit erhalten.
Im Sinne einer Sofortmassnahme hat die Eidgenössische Steuerverwaltung bereits im November 2018 verlauten lassen, dass ab dem 01.01.2019 auf Bundesebene keine privilegiert besteuerte Gesellschaften (Prinzipalgesellschaften und Swiss Finance Branches) mehr zugelassen werden, sofern diese Privilegien erstmalig in Anspruch genommen werden möchten. Der Bundesrat hat sodann auch beschlossen, dass diese Privilegien mit Inkrafttreten der STAF gänzlich abgeschafft werden sollen. Im Unterschied zu den Regelungen für kantonale Steuerregime bedarf die Abschaffung der Bundespraxen aber keiner gesetzlichen Anpassung, weshalb die zuvor erwähnte Aufhebung dieser Privilegien für neue Gesellschaften bereits auf den 01.01.2019 umgesetzt werden konnten.
Da aufgrund des internationalen Druckes weiterhin Handlungsbedarf bestand, wurde die Gesetzesvorlage überarbeitet und – um die Chancen bei einer allfälligen Volksabstimmung zu erhöhen – mit der Finanzierung der Alters- und Hinterlassenenversicherung verknüpft. Anlässlich der am 19.05.2019 durchgeführten Volksabstimmung wurde die STAF sodann im zweiten Anlauf angenommen.
Umsetzung der STAF auf Bundesebene
Auf Bundesebene wird es zu folgenden Änderungen kommen:
- Erhöhung der Teilbesteuerung von Dividendeneinkünften von natürlichen Personen aus im Privat- oder Geschäftsvermögen gehaltenen, qualifizierenden Beteiligungen (mindestens 10% des Aktienkapitals) auf 70%;
- Erweiterung der Transponierungsregel (Streichung der Ausnahme für Beteiligungen unter 5%);
- Aufdeckung von stillen Reserven bei Beginn der Steuerpflicht in der Schweiz sowie Besteue-rung stiller Reserven bei Wegzug aus der Schweiz (Wegzugsbesteuerung);
- Einführung einer Rückzahlungs- und Teilliquidationsregel beim Kapitaleinlageprinzip sowie
- Ausdehnung der Steueranrechnung von ausländischen Quellensteuern auf Schweizer Be-triebsstätten ausländischer Unternehmen.
Beachte | Bemerkenswert ist, dass es auf Bundesebene keine Gewinnsteuersenkung geben wird. Somit bleibt der Gewinnsteuersatz für Kapitalgesellschaften und Genossenschaften bei 8.5% (auf dem Gewinn nach Steuern) bzw. bei 7.83% (auf dem Gewinn vor Steuern; effektive Steuerbelastung).
Änderungen auf kantonaler Ebene
Mit der STAF werden die Kantone gezwungen, ihre Gesetzgebung ebenfalls per 01.01.2020 anzupassen und die privilegiert besteuerten Gesellschaften auf kantonaler Ebene aufzuheben.
Um den Fiskalschock für die bislang privilegiert besteuerten Gesellschaften zu mindern und einen allfälligen Wegzug dieser Gesellschaften und den damit verbundenen Verlust von Steuersubstrat zu verhindern, sehen die meisten Kantone zusätzlich zu den Massnahmen der STAF weitere flankierende Massnahmen vor. Als Hauptmassnahme sind in vielen Kantonen Gewinnsteuersatzsenkungen geplant. Drastische Gewinnsteuersenkungen sind in den Westschweizer Kantonen Genf, Jura, Freiburg und Wallis (Waadt hat bereits eine Gewinnsteuersenkung eingeführt), aber auch in Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Solothurn und Tessin vorgesehen.
Neben den Massnahmen, welche gemäss STAF auf Kantonsebene zwingend eingeführt werden müssen (z.B. Abschaffung der kantonalen Steuerregimes, Einschränkung des Kapitaleinlageprinzips), sind folgende Massnahmen fakultativ:
- Patentbox: Durch die Patentbox werden qualifizierende Reingewinne aus Patenten und vergleichbaren Rechten (Patentboxgewinne) auf kantonaler Ebene in reduziertem Umfang in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Mit anderen Worten können Patentboxgewinne zu einem bestimmten Umfang von der Bemessungsgrundlage ausgenommen werden. Zwar wird die Patentbox auf kantonaler Ebene zwingend eingeführt, den Kantonen steht es allerdings frei, den Umfang der Befreiung des Patentboxgewinnes festzulegen. Zwingend ist eine Mindestbesteuerung von 10%, d.h. Patentboxgewinne können maximal zu 90% befreit werden). Die Hälfte der Kantone sieht eine maximale Befreiung von 90% vor. In sieben Kantonen wird die Befreiung des Patentboxgewinnes jedoch weniger als 50% betragen (Appenzell Innerrhoden, Genf, Glarus, Luzern, Neuenburg, Thurgau und Uri).
- Zusätzlicher Abzug für Forschungs- und Entwicklungsausgaben: Die Kantone können für Forschungs- und Entwicklungsausgaben einen zusätzlichen Steuerabzug von bis zu 50% der effektiven Forschungs- und Entwicklungsausgaben vorsehen. Zwei Drittel der Kantone beabsichtigen einen solchen zusätzlichen Steuerabzug einzuführen. Neun Kantone haben bekannt gegeben, dass sie keinen zusätzlichen Steuerabzug für Forschungs- und Entwick-lungsausgaben gewähren wollen (Appenzell Innerrhoden, Basel-Stadt, Glarus, Graubünden, Luzern, Nidwalden, Schaffhausen, Thurgau und Uri).
- Ermässigung der Kapitalsteuer: Die Kantone können vorsehen, dass das Eigenkapital, welches auf Beteiligungen, Patenten und vergleichbaren Rechten sowie konzerninterne Darlehen entfällt, ermässigt in die Berechnung der Kapitalsteuer einfliesst. Praktisch alle Kantone sehen eine Reduktion bei der Kapitalsteuer vor. Einerseits durch die mit der STAF eingeführte Möglichkeit der tieferen Berücksichtigung von qualifiziertem Eigenkapital. Andererseits durch generelle Kapitalsteuerherabsetzungen.
- Erhöhung der Teilbesteuerung von Dividenden: Das Einkommen von natürlichen Personen aus qualifizierenden Beteiligungen, d.h. Dividenden, Gewinnanteile, Liquidationsüberschüsse und geldwerte Vorteile, ist gemäss STAF im Umfang von mindestens 50% steuerbar. Qualifizierende Beteiligungen sind Beteiligungsrechte von mindestens 10% an einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft. Die Kantone können somit eine höhere Teilbesteuerung von Dividendeneinkünften vorsehen. Aufgrund dieser Anpassungen sind nur die Kantone Appenzell Innerrhoden, Aargau, Glarus und Uri gezwungen, die Teilbesteuerung von Dividendeneinkünften zu erhöhen. Dennoch sieht über die Hälfte der übrigen Kantone eine Erhöhung der Teilbesteuerung auf 60% bis 80% vor (Appenzell Ausserrhoden, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Freiburg, Genf, Graubünden, Jura, Luzern, Neuenburg, St. Gallen, Schaffhausen, Solothurn und Thurgau).
Fazit | Insgesamt sind die Massnahmen der STAF positiv zu würdigen, da sie für den Wirtschafts- und Innovationsstandort Schweiz nicht unerhebliche Vorteile mit sich bringen.
So unterliegen in der Schweiz ansässige Unternehmen mit der Abschaffung der privilegierten Steuerregime alle dem gleichen Gewinnsteuersatz (faires Steuersystem). Davon ausgenommen sind jene Unternehmen, die von der Patentbox und dem zusätzlichen Abzug für Forschung und Entwicklung profitieren können. Auch sind die mit der STAF neu eingeführten Massnahmen international anerkannt, womit sich die Schweiz nicht mehr vorwerfen lassen muss, schädliche Steuerprivilegien anzubieten. Zu guter Letzt wird mit der STAF die Rechts- und Planungssicherheit für in der Schweiz ansässige Unternehmen geschaffen, wodurch der Wirtschafts- und Innovationsstandort Schweiz gestärkt wird.
Roland Wild ist Associate bei Schellenberg Wittmer AG in Zürich und dort als Rechtsanwalt und Dipl. Steuerexperte tätig.