Die Vertreterbetriebsstätte – Paradigmenwechsel bei der internationalen Aufteilung von Besteuerungsrechten
Der von der OECD Ende 2015 verabschiedete „Action Plan“ zur Bekämpfung von „Base Erosion and Profit Shifting“ hat in Aktionspunkt 7 vorgeschlagen, den Begriff der Betriebsstätte zu erweitern, um damit Gestaltungen zu verhindern, die eine Umgehung der Besteuerung im Marktstaat ermöglichen würden. Denn global tätige Unternehmen würden zuvor als Eigenhändler tätige Tochtergesellschaften – ohne entsprechende Anpassung der wahrgenommenen Aktivitäten und übernommenen Risiken – zu funktionsschwachen Kommissionären herabstufen. Letztere würden durch eine geringe Provision entlohnt mit entsprechend geringem Steueraufkommen im Marktstaat. Ein Zugriff auf die vom ausländischen Unternehmen erwirtschafteten Gewinne sei damit nicht möglich.
Ein erweiterter Betriebsstätten-Tatbestand
Nachdem die Rechtsprechung einzelner Staaten Versuchen der Finanzverwaltung, im eigenen Namen und auf fremde Rechnung tätige Kommissionäre als Betriebsstätten zu qualifizieren, eine Absage erteilt hatten (z.B. in Frankreich: Conseil dÉtat 31.3.2010, 304715 und 308525; Zimmer; in Norwegen: Noregs Hogsterett 2.12.2011, HR-2011-2245-A, Dell), wurde in BEPS Action 7 vorgeschlagen, den in Art. 5 Abs. 5 und 6 des OECD-Musterabkommens (OECD-MA) geregelten Begriff des „abhängigen“ und „unabhängigen“ Vertreters anzupassen und im Kommentar zum OECD-MA (OECD-MK) neu zu interpretieren. Diese Änderungsvorschläge wurden im Zuge des Update 2017 in OECD-MA und OECD-MK übernommen und in Art. 12 des Multilateralen Instruments (ML) den an einer entsprechenden DBA-Änderung interessierten Staaten zur Auswahl gestellt.
Während der Bestand eines abhängigen Vertreters i.S. des Art. 5 Abs. 5 OECD-MA i.d.F. vor dem Update 2017 zur Voraussetzung hatte, dass „…eine Person — mit Ausnahme eines unabhängigen Vertreters im Sinne des Absatzes 6 – für ein Unternehmen tätig [ist] und…in einem Vertragsstaat die Vollmacht [besitzt], im Namen des Unternehmens Verträge abzuschließen, und…die Vollmacht…gewöhnlich ausübt…“,soll es künftig für die Begründung einer Vertreterbetriebsstätte ausreichen, dass eine Person in einem Vertragsstaat für ein Unternehmen tätig ist und dabei gewöhnlich Verträge abschließt oder gewöhnlich eine zentrale Rolle übernimmt, die zum Abschluss von Verträgen führt, die routinemäßig ohne wesentliche Änderung von dem Unternehmen abgeschlossen werden. Auch der Tatbestand des unabhängigen Vertreters in Art. 5 Abs. 6 OECD-MA wurde beschnitten, indem eine Person, die ausschließlich oder fast ausschließlich im Auftrag eines oder mehrerer eng verbundener Unternehmen tätig ist, nicht als unabhängig gelten soll.
Deutschland und Österreich haben von der Übernahme des Art. 12 MLI Abstand genommen. Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass deshalb die Neufassung des Begriffs der Vertreterbetriebsstätte bedeutungslos wäre. Denn die Praxis zeigt, dass so mancher Staat die BEPS-bedingten Überlegungen nicht als Neukodifizierung, sondern nur als Bestätigung schon nach bisheriger DBA-Rechtslage bestehender Besteuerungsbefugnisse interpretiert. So auch das österreichische BMF, das in den erläuternden Bemerkungen zum MLI festhält, dass es keiner Aufnahme des Art 12 MLI in das österreichische DBA-Netz bedürfe, zumal von österreichischer Seite bei bestehender „faktischer Abschlussvollmacht“ schon bislang vom Bestand einer Vertreterbetriebsstätte ausgegangen worden sei.
Beachte | Erwähnt sei, dass BEPS-bedingte Änderungen weltweit in neu verhandelte bzw revidierte DBA Eingang gefunden haben. So auch in Österreich (z.B. Art. 5 Abs. 5, 6 und 7 DBA-Japan, BGBl III 2018/167).
Die extensive Neuauslegung des Begriffs der Vertreterbetriebsstätte kann dazu führen, dass ein international tätiger Konzern in seinem Absatzmarkt einerseits die Einkünfte einer dort ansässigen – im Marktstaat unbeschränkt steuerpflichtigen Tochtergesellschaft versteuern muss und zusätzlich durch eine Vertreterbetriebsstätte selbst beschränkt steuerpflichtig wird („two taxpayer approach“). Die Unterstellung einer Betriebsstätte ermöglicht den Marktstaaten damit einen anteiligen (originären) Zugriff auf die vom liefernden bzw leistenden Unternehmen erwirtschafteten Gewinne.
Deutschland und Österreich haben diese Zweigleisigkeit vermieden und in einem Protokoll zu Art. 5 des deutsch-österreichischen DBA (BGBl III 182/2002 idF BGBl III 32/2012) festgehalten, dass „…im Fall verbundener Unternehmen keines dieser Unternehmen als Vertreterbetriebsstätte eines anderen Unternehmens behandelt wird, wenn die jeweiligen – ohne dieses Einverständnis sonst zur Vertreterbetriebsstätte führenden – Funktionen durch Ansatz angemessener Verrechnungspreise einschließlich eines diesem verbleibenden Gewinns abgegolten werden.“ Ein Konzernunternehmen soll also nicht zur Betriebsstätte eines anderen Konzernunternehmens werden, wenn die sonst zur Vertreterbetriebsstätte führenden Aktivitäten fremdüblich abgegolten werden („one taxpayer approach“). Leider findet sich dieser Ansatz nur im deutsch-österreichischen DBA.
Ein großer Schritt zur Liefergewinnbesteuerung
Die Erweiterung des Tatbestandes der Vertreterbetriebsstätte bewirkt letztlich, dass dem Bestimmungsland ein Besteuerungsrecht an Liefergewinnen eingeräumt wird, das dieser bislang nicht hatte. Marktstaaten sollen auf Gewinne ausländischer Unternehmen zugreifen können und nicht nur auf jene, der dort ansässigen (funktionsgeschwächten) Vertriebsgesellschaften. Das kommt auch in den Leitlinien der OECD zur Ergebnisabgrenzung BEPS-bedingt neu entstehender Betriebsstätten zum Ausdruck (OECD, Additional Guidance on the Attribution of Profits to Permanent Establishments, BEPS Action 7, March 2018). Demnach soll zwecks Ergebnisabgrenzung zwischen Prinzipal und Vertreterbetriebsstätte letzterer der mit fremden Dritten erwirtschaftet Außenumsatz zugeordnet werden, auf dessen Grundlage – nach Abzug eines an den Prinzipal zu leistenden (fremdüblichen) Einkaufspreises – und der im Marktsaat anfallenden Kosten inklusive der an die Vertriebsgesellschaft geleisteten Provision der Gewinn der Vertreterbetriebsstätte ermittelt wird. Es wird demnach steuerlich unterstellt, dass die Betriebsstätte (fiktiv) wie ein Eigenhändler agiert.
Hinweis | Am Rande sei erwähnt, dass das zur Folge haben könnte, dass aufgrund der Zuordnung des Kundenumsatzes zur Betriebsstätte eine steuerliche Entstrickung für „Marketing Intangibles“ vorgenommen werden müsste.
Ausblick | Die BEPS-bedingte Absenkung der Betriebsstättenschwelle und vor allem die Aufweichung des Tatbestands der Vertreterbetriebsstätte lässt den Marktstaaten großen Interpretationsspielraum und bietet dem Fiskus damit die Möglichkeit, auch ohne eigene physischer Präsenz des liefernden oder leistenden ausländischen Unternehmens auf deren Gewinne zuzugreifen und einen deutlich größeren Teil des Steuerkuchens für sich zu beanspruchen, als das bislang nach den bestehenden Grundsätzen der internationalen Gewinnaufteilung möglich war. Einer bislang nicht zulässigen „Liefergewinnbesteuerung“ wird damit der Boden bereitet.
Die Rechtsprechung belegt bereits, in welchem Umfang manche Staaten auf solche Gewinne zugreifen. So haben z.B. indische Gerichte für gut befunden, einer Vertreterbetriebsstätte zwischen 25 % (z.B. Rolls Royce Singapore) und 50 % (z.B. Nortel India International Inc.) des Gewinns an den nach Indien gelieferten Produkten zuzuordnen. Aber auch ein in der Rechtssache Dell AS angerufenes dänisches Gericht wollte einer dänischen Vertreterbetriebsstätte des irischen Headquarters von Dell 60 % des Gewinns aus dem Verkauf von EDV-Equipment zuordnen. Erste Belege dafür, dass die Neufassung des Begriffs der Vertreterbetriebsstätte eine internationale Neuverteilung von Besteuerungssubstrat zur Folge haben wird, worauf global tätige Unternehmen reagieren werden müssen.